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# taz.de -- Gespräch mit dem türkisch-jüdischen Historiker Rifat Bali: "Faru…
> Das türkisch-jüdische Verhältnis ist weitaus komplizierter, als man es in
> türkischen Schulbüchern lernt, erklärt der Historiker und Publizist Rifat
> Bali.
Bild: Die Türken als neue Juden zu bezeichnen, sei "übertrieben, populistisch…
taz: Herr Bali, der Wissenschaftler Faruk Sen aus Essen hat in einer
türkischen Zeitung die türkischen Einwanderer in Europa als "neue Juden"
bezeichnet und dafür in Deutschland viel Kritik geerntet. Was halten Sie
von seiner Gleichsetzung?
Rifat Bali: Soweit ich das von außen beurteilen kann, haben die Türken in
Europa unter verschiedenen Formen der Ausgrenzung zu leiden. Sie deshalb
"neue Juden" zu nennen, erscheint mir aber übertrieben, populistisch und
effekthascherisch.
Faruk Sen hat in seinem Beitrag auch daran erinnert, dass die Türkei
zwischen 1933 und 1945 verfolgte Juden aus Deutschland aufgenommen habe,
und sie dafür gelobt. Sie haben diese Ära hingegen kürzlich als "die
schweren zwölf Jahre" für die türkischen Juden bezeichnet. Warum?
Wenn man Faruk Sen und andere reden hört, könnte man glatt glauben, die
Türkei hätte tausenden von verfolgten Menschen die Tore geöffnet. In
Wirklichkeit nahm man nur eine sehr begrenzte Zahl deutsch-jüdischer
Wissenschaftler auf, weil man sich erhoffte, sie könnten beim Aufbau eines
modernen Universitätswesens nutzen. Ansonsten war die Türkei sehr um
Neutralität bemüht. Eine größere Zahl jüdischer Flüchtlinge aufzunehmen,
hätte dies gefährdet.
Und weshalb war das für die türkischen Juden dann eine schwierige Zeit?
Die junge Republik forderte von Juden wie von allen anderen Minderheiten,
sich zu assimilieren. Das hätte kein großes Problem sein müssen, hätte die
Republik im Gegenzug ihr Versprechen erfüllt, diese Assimilierung mit
Gleichberechtigung zu vergüten. Stattdessen wuchsen die Ressentiments, die
1934 in den antijüdischen Pogromen in Ostthrakien und 1942 in der
Einführung einer "Kopfsteuer" für Nichtmuslime gipfelten.
Faruk Sen weiß das nicht?
Das dürfen Sie mich nicht fragen. Aber als Wissenschaftler müsste er das
wissen - auch wenn diese Dinge nicht an türkischen Schulen unterrichtet
werden.
Wie wird die deutsche Debatte um Faruk Sen in der Türkei wahrgenommen?
Sofern darüber geschrieben wird, lautet der Tenor: Wir haben ja schon immer
gesagt, dass die Türken in Deutschland zu leiden haben - Faruk Sen hat das
nur ausgesprochen.
Faruk Sen schrieb seinen Artikel, um dem türkisch-jüdischen Geschäftsmann
Ishak Alaton in dessen Kampf gegen Antisemitismus unterstützen. Was war der
Hintergrund?
Alaton hatte sich in einem offenen Brief darüber beklagt, dass einem
israelischen Geschäftsmann namens Sami Ofer verweigert worden war, in der
Türkei Investitionen zu tätigen. Er hatte dahinter antisemitische Motive
vermutet. In einem Interview wiederholte er seinen Vorwurf und kritisierte,
dass in der Türkei Xenophobie und Antisemitismus verbreitet seien - zwar
nicht in der Bevölkerung, wohl aber im Staat.
Eine zutreffende Analyse?
Was den Fall Sami Ofer anbetrifft, bin ich mir da nicht so sicher. In der
Türkei sind bei solchen Geschäften Beziehungen und Bestechungsgelder
wichtiger - ich vermute, dass Ofer in erster Linie an solchen Dingen
gescheitert ist. Dass er Jude ist, dürfte allenfalls eine nachrangige Rolle
gespielt haben.
Und was den Antisemitismus anbetrifft?
Den Antisemitismus allein im Staat und nicht in der Gesellschaft zu
verorten, entspricht einer "linken" Sicht der Dinge, die nicht viel mit der
Realität zu tun hat. Der Antisemitismus ist in der Türkei in bestimmten
Medien und Gesellschaftskreisen verbreitet. Wollte man den Staat in diesem
Zusammenhang kritisieren, dann dafür, dass er diesem Antisemitismus
tatenlos zusieht.
Wie äußert sich dieser Antisemitismus?
Im islamistischen Antisemitismus finden sich Motive, die aus dem
christlichen und dem nazistischen Antisemitismus stammen - etwa, indem man
sich auf die "Protokolle der Weisen von Zion" beruft. Als türkische
Besonderheit kommt die Paranoia vor angeblich "heimlichen", zum Islam
konvertierten Juden dazu, denen man nachsagt, das Land zu beherrschen. Im
Zuge des Irakkriegs ist der Antisemitismus aber auch in Teilen des
säkularen Establishments gewachsen. Man glaubt, hinter der Entstehung eines
quasi eigenständigen kurdischen Staates im Nordirak einen israelischen Plan
zur Schwächung der Türkei und der ganzen Region zu erkennen. Der
Antisemitismus unter einem Teil der Linken wiederum verweist stärker auf
den israelisch-palästinensischen Konflikt.
Wenn Sie von Antisemitismus islamistischer Kreise sprechen - meinen Sie
damit auch die Regierungspartei von Ministerpräsident Erdogan?
Nein, denn nach dem Bruch mit der Milli-Görüs-Bewegung hat sich dessen AKP
niemals antisemitischer Propaganda bedient. Das gilt auch für die meisten
Medien, die sie unterstützen. Es gibt aber ein islamistisches Spektrum, das
der AKP nahe steht und nach wie vor einen militanten Antisemitismus
propagiert. Es wird etwa von der Tageszeitung Vakit repräsentiert, die
nicht nur antisemitisch, sondern auch extrem homophob und faschistoid ist.
Vakit muss nicht fürchten, wegen Volksverhetzung belangt zu werden, sondern
wird vom Ministerpräsidenten wie vom Präsidenten hofiert.
Der AKP droht ein Verbot, weil sie dem säkularen Establishment ein Dorn im
Auge ist. Auf welcher Seite stehen die nichtmuslimischen Minderheiten in
diesem Konflikt?
Das kann ich nur aus meiner persönlichen Beobachtung beantworten. Die
Griechen sind völlig dezimiert und haben keine wahrnehmbare Stimme. Die
Armenier unterstützen eher die AKP, weil sie sie für liberaler,
europafreundlicher und toleranter halten. Unter den türkischen Juden ist
diese Auffassung ebenfalls zu treffen, aber die meisten von ihnen tendieren
eher zu den Kemalisten. Dass die Juden skeptischer sind, hat den einfachen
Grund, dass die AKP aus der antisemitischen Milli Görüs hervorgegangen ist
und diese Tendenzen in ihrer Basis zumindest duldet.
Sind unter der AKP die Ressentiments gegen die Minderheiten gewachsen?
Sicher. Aber der wachsende Nationalismus entspringt eher der kemalistischen
und nationalistischen Opposition gegen die AKP und gegen einen EU-Beitritt.
Ihre säkularen Gegner in der Türkei unterstellen der regierenden AKP, sie
wolle das Land islamisieren.
Das ist nicht ganz falsch. Nicht in dem Sinne, dass die AKP hier ein
klares, heimliches Programm verfolgen würde, wie ihr vorgeworfen wird. Aber
ihr Ziel ist tatsächlich, das Land islamischer und konservativer zu machen.
Das sieht man allein an dem Lebensstil, den die Protagonisten der AKP
pflegen. Und niemand kann ernsthaft behaupten, dass die AKP-Leute ihren
Lebensstil verändert hätten.
Die meisten liberalen und linken Intellektuellen halten die AKP dennoch für
das kleinere Übel.
Weil sie die säkularen Kemalisten und Nationalisten für anachronistisch und
rückständig halten, die AKP dagegen für liberal und demokratisch. Ich halte
das für Schönfärberei. Die AKP ist nicht liberal - sie ist konservativ,
islamisch und auf ihre Weise nationalistisch.
Wird man sie verbieten?
Ich glaube: ja. Aber an ihre Stelle wird eine neue Partei treten - und der
Konflikt wird fortdauern
4 Jul 2008
## AUTOREN
Deniz Yücel
## TAGS
Antisemitismus
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