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# taz.de -- Tagung über Poesie und Politik des Mittelmeers: Traum vom Superkon…
> Die mythologische Großerzählung von Atlantropa und der Damm von
> Gibraltar: Am Wochenende fand in Berlin eine Tagung über "Das Mittelmeer
> 1860-1960" statt.
Bild: Ein Fischer vor der spanischen Seite von Gibraltar.
Das Mittelmeer, ein Sehnsuchtsort. Sosehr die Faszinationsgeschichte des
Mediterranen ganze Bibliotheken und Museen bestückt, so ist das Binnenmeer
zwischen den Kontinenten doch auch ein Problemfall. Zum Beispiel in den
Augen Nicolas Sarkozys, auf dessen Betreiben am 13. Juli die mittlerweile
so genannte "Union für das Mittelmeer" aus der Taufe gehoben werden soll.
Leider hat der Geostratege am Wochenende eine Konferenz im Berliner
Pergamonmuseum verpasst - sie hätte ihm historische Anhaltspunkte dafür
geben können, warum dieses politische Bündnis so heikel und nicht nur bei
seinen nordafrikanischen und arabischen Anrainerstaaten heftig umstritten
ist.
"Das Mittelmeer 1860-1960. Poesie und Politik eines Raumes" hieß eine vom
Kunsthistorischen Institut Florenz und dem Berliner Museum für Islamische
Kunst ausgerichtete Veranstaltung am Wochenende. Dass eine politische
Vereinheitlichung der Region es ebenso schwer haben muss, wie mythologische
Großerzählungen zwangsläufig zu kurz greifen - das machte insbesondere der
in Halle lehrende Ethnologe Thomas Hauschild plausibel. Hauschild, der im
Zuge seiner jahrelangen Feldforschungen magische Praktiken in Süditalien,
Spanien und dem Maghreb untersucht hat, verweist auf je spezifische
Prägungen und regional und geografisch bedingte Katastrophenerfahrungen,
aus denen sich der kulturelle Zusammenhang erst ergibt.
Wenn also ein Gott über dem Mittelmeer herrscht, dann ist es der "Gott der
kleinen Dinge". Was nichts anderes bedeutet, als dass der Teufel im Detail
steckt. Mustergültig, so Hauschild, sei ein Essay Alfred Sohn-Rethels von
1926: In "Das Ideal des Kaputten" beschrieb der marxistische Theoretiker
das besondere Weltverhältnis der Neapolitaner, die die Ungeheuerlichkeit
technischer Apparaturen erst dann zu ertragen bereit seien, wenn eine
Maschine einmal kaputtgegangen und eigenhändig repariert worden sei. In der
ständigen Reparatur, diesem "Einspringen" in den "feindlichen und
verschlossenen Automatismus der Maschinenwesen", erkennt Sohn-Rethel eine
Einverleibung von Technologie, die wiederum das Gefühl einer unumschränkten
"Daseins-Allmacht" hervorbringt. Noch heute, bemerkte Hauschild trocken,
geben Mittelmeerstaaten ein Drittel ihres Bruttosozialprodukts allein für
Reparaturen der Infrastruktur aus. Wo in der mediterranen Bricolage, der
Bastelei, rituelle magische Praktiken aufscheinen, muss der Anschluss an
den Zivilisationsprozess ein gebrochener sein.
Besser als durch den Historiker Alexander Gall wäre der Unterschied zu
einem eher nordeuropäisch geprägten Technik-Rationalismus kaum aufzuzeigen
gewesen. Sein anschließendes, leider weitgehend thesenfreies
Power-Point-Referat erinnerte an eine größenwahnsinnige Ingenieursfantasie.
Etwa zeitgleich zu Sohn-Rethels Essay hatte der Münchner Architekt Herman
Sörgel in den Zwanzigerjahren den Plan erarbeit, das Mittelmeer durch einen
Dammbau bei Gibraltar, also die Unterbrechung des atlantischen
Wasserzuflusses, weitgehend trocken zu legen und Europa und Afrika so zu
einem einzigen Kontinent zusammenwachsen zu lassen.
Das Projekt namens "Atlantropa" träumte von Eisenbahnverbindungen, wo
vorher Wasser war, und von einem neuen Superkontinent, den Sörgel später
vergeblich auch den Nationalsozialisten schmackhaft zu machen versuchte.
Gemessen an diesem technizistischen Makroprojekt nimmt sich Sarkozys "Union
für das Mittelmeer" heute bloß als harmlose tagespolitische
Absichtserklärung aus. Das aber war überhaupt der Tenor der Tagung: Die
Kulturen des Mittelmeeres laufen jeder Idee von einer vereinheitlichen
Bereinigung zuwider. Claus-Peter Haase, der Direktor des Museums für
Islamische Kunst, bewies das anhand der Klassifizierungsprobleme, die viele
Objekte aus seiner Sammlung mit sich bringen, und auch László Moholy-Nagys
berühmter Film über das Hafenviertel von Marseille zeigt eine unentwirrbare
Melange aus chaotischen Straßenszenen, Müll und zerrissener Architektur -
wer wollte all das auf einen Nenner bringen?
Die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel plädierte daher abschließend
und folgerichtig für eine Konzentration auf die Erforschung der drei
europäischen Binnenmeere als Kulturräume. Schließlich leuchtet ja wohl auch
das ein: Nur weil alle von Globalisierung und vom Internet reden, tobt das
Leben nicht bloß im Transatlantischen und auf der Datenautobahn.
8 Jul 2008
## AUTOREN
Stefanie Peter
## TAGS
Kulturwissenschaft
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