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# taz.de -- Proteste beim G8-Treffen in Japan: Die Pokemon-Demonstranten
> Wer glaubt, mit der Protestkultur in Japan sei's nicht weit her, der
> irrt. Die G8-Demonstrationen haben wenig Zulauf, sind dafür aber umso
> kreativer, bunter, mangamäßiger.
Bild: Japanische Landwirte in Kuh-Demo-Kluft protestieren in Sapporo.
TOYAKO taz Zahlenmäßig müssten aus Sicht der Veranstalter die Proteste
gegen den G-8-Gipfel im nordjapanischen Toyako eigentlich ein Desaster
sein. Zur Auftaktdemonstration am Samstag kamen gerade einmal 5.000
Menschen. Vor einem Jahr in Heiligendamm waren es 16-mal so viel.
"Bei uns fliegen keine Steine, und zu Straßenschlachten kommt es auch nur
selten", sagt Hide Oyagi von Attac Japan. Die japanische Zivilgesellschaft
sei nicht auf Konflikt ausgerichtet. Umso mehr Wert scheinen die wenigen
globalisierungskritischen Aktivisten auf ihr Äußeres legen. Und die sind in
der Tat beachtlich, wie die Demo am Samstag in Sapporo bewies: Anarchisten,
die sich in giftgrünen und orangefarbenen Pokémon-Kostümen vermummten. Auf
Holzsandalen trippelnde Geishas, die ständig über ihre blau-weißen Kimonos
stolperten und dabei unbeeindruckt mit ihren Fächern im Takt zum
80er-Jahre-Hit "Never Ending Story" von Limahl wedelten. Hinter ihnen eine
20-jährige Ballerina im quietschroten Minirock, die mit Seifenwasser
herumspritzte. Und streikende Bauarbeiter, die sich auf ihren Betonmischern
mit Gefangenentransportern ein Rennen um die Spitze des Demozugs lieferten.
Wer behauptet, in Japan gebe es keine Protestkultur, der irrt. Nur ist
nicht Action auf der Straße angesagt - allein auf das Outfit kommt es an.
So liefen neben den Reisbauern von Via Campesina Punks mit gepflegt
verschrubbelten Haaren, eine aufgetakelte Demonstrantin im
Hello-Kitty-Kostüm mittleren Alters zerrte ihren Spitz hinterher, dem sie
zuvor in gilligrüner Farbe "No G 8" ins Fell gesprüht hat. Und selbst so
genannte "Cosplayer" waren auf der Demo vertreten. Dabei handelt es sich um
Leute, die sich wie ihre Manga-Idole schminken, ihre Haare merkwürdig in
die Höhe fönen und silbermetallicfarbene Hosenanzüge tragen.
Von "Kawaii-Bewegung" spricht der 23-jährige Demo-Organisator Okashi. Diese
für europäische Verhältnisse sehr überzogene Kitschkultur kommt von
"niedlich" und ist an sich nicht politisch. In Schulen gebe es
Uniformpflicht, wer arbeitet, müsse Anzug und Krawatte tragen, erläutert
Okashi. Deswegen gibt es bei Japanern allgemein den Drang, sich in der
Freizeit exzentrisch zu kleiden.
Was auf europäische Augen sehr grell wirken mag, ist einigen angereisten
Demonstranten vom Alten Kontinent keineswegs fremd. Ein Aktivist aus
Deutschland weist darauf hin, dass auch Demonstranten bei den G-8-Protesten
in Heiligendamm mit der Clown-Armee und dem Pink-Silver-Block auf
quietschige Farben gesetzt haben.
Es wirklich knallen zu lassen, darauf legen die meisten von ihnen keinen
Wert. Wer sich in Japan auch nur in Initiativen wie Attac oder Greenpeace
engagiert, gilt schon als ganz schön mutig, sagt Oyagi. Die meisten jungen
Leute würden einem streng vorgezeichneten Weg folgen. Wer abweicht, gilt
als aufmüpfig und das werde in der japanischen Mehrheitsgesellschaft nicht
gerne gesehen.
Damit ist auch zu erklären, warum auf der Demo in Sapporo nicht nur die
Polizisten vor allem damit beschäftigt waren, eine Gruppe von französischen
Demonstranten von der Straßenspur zu drängen, weil sie zu fünft in einer
Reihe liefen. Erlaubt sind auf Japans Demos vier. Auch die Demoveranstalter
waren um den Erhalt der öffentlichen Ruhe bemüht. Angeheuerte Ordner
achteten tunlichst darauf, dass die Demonstranten nicht mehr als eine
Fahrbahn beanspruchen. Und an Ampeln mussten die Demonstranten
stehenbleiben. "Wenn der Verkehr unterbrochen wird, sind die Autofahrer
sauer", sagte Oyagi. "Das ist nicht in unserem Sinne." Auf der Demo am
Samstag hatte dies zur Folge, dass sich der schmale, aber sehr lange
Demozug nach jeder Straßenkreuzung in Einzelteile zerstückelte. Bis zum
Abschluss war er völlig zerfasert. Eine gemeinsame Kundgebung konnte
deswegen nicht mehr stattfinden.
Für die japanische Polizei aber stellen selbst feiernde
Pokémon-Demonstranten eine Störung der öffentlichen Ordnung dar. Bei der
Demo am Samstag nahmen die Polizisten zunächst den DJ fest, weil er die
Musik zu laut eingestellt hatte. Dann schlugen sie auf den Fahrer des
Lautsprecherwagens ein und schleppten ihn ab. Der Grund: Er hatte es gewagt
zu hupen.
8 Jul 2008
## AUTOREN
Felix Lee
## TAGS
Pokemon
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