# taz.de -- Berliner Problembezirk leidet unter Bildungsarmut: Proletarier Neuk… | |
> Eine Untersuchung der Humboldt-Uni belegt, dass sich die soziale | |
> Situation im Norden des Bezirks dramatisch verschärft. Der | |
> Bezirksbürgermeister fürchtet Unruhen. Das Problem sind laut der Studie | |
> die Armen und Ungebildeten unter den Migranten. | |
Bild: Es ist nie zu spät: Neuköllner, hoffentlich auf dem Weg zu Volkshochsch… | |
Die soziale Situation in Neukölln droht aus dem Ruder zu laufen: Laut einer | |
Studie der Humboldt-Universität (HU) haben sich die Verhältnisse im Norden | |
des Bezirks weiter verschärft. Auch Britz-Nord zählt inzwischen zu den | |
Problemzonen. "Man muss vermeiden, dass Neukölln das Armenhaus Berlins | |
wird", warnte Stadtsoziologe Hartmut Häußermann am Mittwoch. | |
Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), Auftraggeber der Studie, | |
fürchtet, dass ohne Sofortmaßnahmen im Bildungsbereich der soziale Frieden | |
in Gefahr gerät und es zu Unruhen wie vor zwei Jahren in Paris kommen | |
könnte. | |
Kernergebnis der von Häußermann und seinen Kollegen verfassten | |
Untersuchung: In Neukölln, der deutschen Hauptstadt der | |
Hartz-IV-Gemeinschaften, driften die Viertel auseinander. Die Stadtexperten | |
bezeichnen den Neuköllner Norden und inzwischen auch den Britzer Norden als | |
"Gebiete mit Ausgrenzungstendenz". Dort gibt es Gegenden, in denen drei | |
Viertel aller Kinder bis 15 Jahre in Hartz-IV-Familien leben. 60 Prozent, | |
also fast zwei Drittel der jungen Menschen im Norden beziehen selbst | |
Arbeitslosengeld II. Andere Gebiete des Bezirks, in denen es nicht so viele | |
Probleme gibt, sind hingegen stabil. | |
Buschkowsky will als Konsequenz in Nord-Neukölln und Britz-Nord | |
flächendeckend Quartiersmanagements einrichten. Sämtliche Schulen in diesen | |
Gebieten sollen in Ganztagsschulen umgewandelt werden. Alle Grundschulen, | |
die zu mehr als 40 Prozent von Kindern aus Einwandererfamilien besucht | |
werden, sollen Schulstationen und damit Sozialarbeiter bekommen. Kritikern, | |
die solche Vorschläge angesichts der finanziellen Lage Berlins als | |
unrealistisch abkanzeln, hielt Buschkowsky entgegen, dass "eine | |
Schulstation weniger kostet als zwei Knastplätze". Außerdem forderte der | |
Bürgermeister, den Kindergartenbesuch zur Pflicht zu machen, und Eltern, | |
die ihre Kinder nicht in die Schule schicken, das Kindergeld zu streichen. | |
An den Hauptschulen fehlten bis zu 27 Prozent der Schüler mehr als 21 Tage | |
im Schuljahr. | |
Häußermann stärkte dem Politiker den Rücken. "Buschkowsky betreibt keinen | |
Alarmismus", sagte er. Gleichzeitig mahnte er, Verbote und Kürzungen | |
müssten mit Fördermaßnahmen einhergehen. Das Schlüsselproblem sei die | |
Integration des Proletariats unter den Einwanderern. | |
Die migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im | |
Abgeordnetenhaus, Bilkay Öney, stimmte dem teilweise zu. Aus Erfahrung | |
wisse sie, dass vor allem die zugezogenen Roma- und Sintifamilien Probleme | |
mit der Kultur hier hätten, sagte sie der taz. Einige Vorschläge | |
Buschkowskys seien durchaus grüne Ideen - etwa der nach mehr | |
Ganztagsschulen und die besondere Ausstattung für Problemschulen. "Er hat | |
aber ein paar Vorhaben, die nicht realisierbar sind", stellte Öney klar. | |
Damit spielte sie auf die Anregung an, die Buschkowsky von seinem | |
Rotterdam-Besuch mitgebracht hat: Zeugnisse sollen nur noch an die Eltern | |
persönlich ausgehändigt werden (siehe Interview). | |
Der Bürgermeister räumte selbst ein, dass seine Appelle und Vorschläge wohl | |
nicht eins zu eins umsetzbar seien. Ihm sei es mit der Studie darum | |
gegangen, die persönlichen Eindrücke wissenschaftlich zu belegen. "Wenn wir | |
Bewusstsein und Betroffenheit schaffen, reagiert die Politik Schritt für | |
Schritt." Damit geht es Buschkowsky wohl ähnlich wie dem Experten | |
Häußermann und dessen Vorschlag, Kinder und Jugendliche mit Bussen in | |
benachteiligte Schulen zu bringen und so - ähnlich den Busrouten nach | |
Aufhebung der Rassengesetze in den USA - für soziale Durchmischung zu | |
sorgen. Stichhaltige Argumente dagegen gibt es nach Ansicht Häußermanns | |
nicht. Aber die Politiker fürchteten um ihre Wählerklientel in den | |
behüteten Bezirken. | |
9 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Kristina Pezzei | |
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