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# taz.de -- Rütli-Kiez als Investitionsmekka: Problemschule wird Avantgarde
> Neben der Rütli-Schule entsteht ein Kiezzentrum mit Kitas, Jugendclubs
> und Fußgängerzone. Künftig können die Schüler der einstigen
> "Ghettoschule" sogar das Abitur machen.
Bild: Die schlechten Zeiten sind vorbei: Die drei Freundinnen Sonaj, Rabia und …
Als die Lehrer der Rütlischule vor zwei Jahren die weiße Fahne hissten und
angesichts gewalttätiger Jugendlicher in einem Brandbrief das Aus für die
eigene Anstalt forderten, war das für Wolfgang Schimmang kein "besonders
beglückender Augenblick". Plötzlich interessierte sich "ganz Deutschland
für uns", sagt der Schulstadtrat aus Berlin-Neukölln, "sogar ein
Fernsehteam aus Schweden wollte wissen, wieso diese Rütlischule geschlossen
werden will".
Heute weiß Schimmang, dass der Brandbrief der Rütli-Lehrer "in der Summe
ein Signal dafür war, dass die Politik so nicht mehr weiterkommt mit den
sozialen Brennpunkten". Denn die todgeweihte Gettoschule, das Aschenputtel
aus Neukölln, hat einen Prinzen geheiratet und verwandelt sich so gleichsam
über Nacht in ein bundesweit strahlendes Modellprojekt, den
"Rütli-Campus2". Es soll das ganze Wohnquartier rund um um die Schule aus
dem Schlamm ziehen.
Als am gestrigen Mittwoch wieder Fahnen gehisst wurden, da taten es nicht
verzweifelte Lehrer, sondern Christina Rau. Die frühere Präsidentengattin
steht als Schirmherrin für den totalen Imagewandel der Rütlischule. Niemand
spricht hier mehr von Getto oder Chancenlosigkeit, sondern alle nur noch
von Vision und Chancengleichheit. Denn die gesamte Rütlistraße, in der die
berühmt gewordene Hauptschule liegt, soll gesperrt werden. Alle Schulen,
Kitas und Jugendclubs rundherum fusionieren zu einem "Quadratkilometer
Bildung".
"Wir wollen auf dem Rütli-Campus zeigen, dass uns jedes Kind wichtig ist -
von Anfang an", sagte Christina Rau. Konkret heißt das: Alle Schranken
zwischen den Bildungseinrichtungen werden fallen. Die Kitas sollen eng mit
der Franz-Schubert-Grundschule zusammenarbeiten, die von nebenan auf den
Campus ziehen wird. Und die Rütlischule wird etwas anbieten können, was
bislang unvorstellbar war für ihre Schüler: das Abitur. Aus der jetzigen
Hauptschule wird eine Gemeinschaftsschule, die nebenan liegende Realschule
wird geschluckt.
Die beiden etatstärksten Berliner SenatorInnen für Stadtentwicklung sowie
für Bildung und Wissenschaft kamen, um dem Projekt ihren Segen zu geben.
Und der bärbeißige Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), bundesweit
berühmt für Law-and-Order-Sprüche, flötete: "Auf dem Rütli-Campus herrscht
ein anderer Geist, hier wird kein Wachschutz mehr gebraucht." Sagt er, der
in Neukölln nicht nur die real existierende Rütlischule von muskelbepackten
Privatbullen bewachen lässt. Dennoch kamen die Organisatoren mit den
rosaroten Visionen kurzzeitig ins Schleudern, als berlinüblich gnadenlose
Kiezbewohner wissen wollten, "wie viel Sozialarbeiter hier arbeiten werden
und wie viele junge Lehrer Sie einstellen".
Die Frage ist eher, wie viele Kiezghettos man mit einen derartigen Aufwand
veredeln könnte, der jetzt für das Kollaps-Symbol Rütlischule betrieben
wird. Auf dem Rütli-Campus werden Millionen investiert, von Staat und
privaten Stiftungen. Die Heinz-und-Heide-Dürr-Stiftung wird "early
excellence"-Kindergärten einrichten, die Freudenberg-Stiftung pumpt 1,5
Millionen Euro in das Projekt. Verdiente Rütli-SchülerInnen bekommen
USA-Stipendien, die Bahn will Rütlischülern Lehrstellen geben und der
Rotary Club schießt jedes Jahr 3.000 Euro in die
Franz-Schubert-Grundschule.
Eine Idee, die unter Stadtraumexperten lange bekannt ist, soll Wahrheit
werden. Schule nicht mehr als lästiges Anhängsel eines heruntergekommenen
Straßenzugs. Sondern als "gesellschaftliches Zentrum", so Bürgermeister
Buschkowsky.
31 Jan 2008
## AUTOREN
Christian Füller
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