# taz.de -- Immer noch fremd: „Ausgerechnet Albanien“ | |
> Wer nach Albanien fährt, erlebt – neben großartiger Landschaft – eine | |
> Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit, die es anderswo schon längst nicht | |
> mehr gibt. | |
Bild: Auf dem Skanderbeg-Platz in Tirana | |
Türkisblaues Meer, ein weiter Kieselstrand, zwei Touristen aus | |
Süddeutschland vor einem Wohnmobil, eine Flasche Wein, und das ganze | |
getaucht in die lieblich-weiche Lichtstimmung kurz nach Sonnenuntergang. | |
Nichts Besonderes eigentlich. | |
Doch wir befinden uns an der Südküste, im kleinen Küstenort Dhermi an der | |
„Albanischen Riviera“, in einem Land also, das bislang nicht als | |
klassisches Reiseziel aufgefallen ist. | |
„Ausgerechnet Albanien“ war auch die erste Reaktion der Freunde daheim, als | |
sie von den Reiseplänen erfuhren. Ausgerechnet in dieses Land, über das | |
eine Menge Vorurteile und Halbwahrheiten existieren. | |
Bei Albanien denken die meisten Mitteleuropäer nach wie vor vor allem an | |
Kriminalität, Drogenschmuggel und Blutrache. Tatsächlich ist die | |
Gefährdungslage für Individualreisende im europäischen Durchschnitt nicht | |
höher als in anderen osteuropäischen Ländern. Doch wer sich auf das | |
unbekannte Balkanland einlässt, erlebt nicht nur eine grandiose Landschaft, | |
sondern auch eine Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit, die in Europa längst | |
nicht mehr selbstverständlich ist. | |
Der kleine skurril anmutende Ort Dhermi liegt unterhalb des imposanten | |
Llogarapasses und ist nur über eine kleine holprige Straße zu erreichen. | |
Dem Besucher bietet sich zunächst einmal der Anblick von verfallenen | |
Hotelbauten vergangener Jahre und den typischen kleinen Betonkuppeln aus | |
der Zeit des paranoiden Diktators Enver Hoxha, der aus Angst vor einer | |
Invasion durch seine zahlreichen Feinde das halbe Land mit | |
Zwei-Mann-Bunkern befestigen ließ. Unverwüstlich und daher auch nur schwer | |
zu beseitigen, prägen sie nicht nur hier in Dhermi das Erscheinungsbild des | |
Landes. | |
Wer sich von aufgerissenen Straßen und den mahnenden Betonrelikten der | |
sozialistischen Epoche nicht abschrecken lässt, entdeckt schnell den Reiz | |
dieser kleinen Strandsiedlung, die vor allem unter albanischen und | |
zunehmend europäischen Jugendlichen sehr beliebt ist - kleine Herbergen mit | |
dazugehörender Pizzeria direkt oberhalb des sauberen Kieselstrandes bieten | |
nahezu perfektes Urlaubsfeeling. In der Hauptsaison sorgen Freiluftdiscos | |
für die unvermeidbare Rundumbeschallung des sonst eher beschaulichen Ortes. | |
Zumeist gelangt der vorsichtige Westeuropäer allerdings erst mal auf einer | |
Art Schnuppertrip mit der Fähre aus der Touristenhochburg Korfu für einen | |
Tag ins Land der Skipetaren. Er landet im für albanische Verhältnisse | |
mondänen Sarande - einer ziemlich aufgeräumten und touristisch gut | |
erschlossenen Stadt im Süden des Landes. Hier sorgen Palmen, preiswerte und | |
saubere Hotels mit Seeblick sowie mediterrane Küche für ein wohliges | |
Urlaubsgefühl, ideal, um dem ängstlichen Besucher aus Europa die Angst vor | |
„dem Albaner“ zu nehmen. | |
Ein Ausflug in die Ausgrabungsstätte Butrint rundet den Tagestrip kulturell | |
ab und sorgt für einen gelungenen Einstieg in ein Land, das den meisten | |
Menschen immer noch fremd ist. | |
Die touristische Zukunft Albaniens liegt jedoch nicht in den Tagestouristen | |
aus Korfu, sondern in der Entwicklung eines stabilen längerfristigen | |
Tourismus für das ganze Land. So gibt es in Albanien nicht nur die Strände | |
und Ortschaften der ca. 130 Kilometer langen Südküste zu entdecken, sondern | |
auch grandiose Berglandschaften in den albanischen Alpen und eine | |
dynamische und im wahrsten Wortsinne bunte Hauptstadt Tirana mit einem | |
ebenso bunten Nachtleben. | |
Seit einigen Jahren entdecken immer mehr Touristen aus West- und | |
Mitteleuropa das kleine Land auf dem Balkan als Urlaubsregion. Neben | |
organisierten Busreisen bieten sich vor allem den motorisierten | |
Individalreisenden unzählige Möglichkeiten für Endeckungsreisen - ohne dass | |
diese befürchten müssen, ausgeraubt oder gar Opfer eines Autodiebstahles zu | |
werden. Die größten Gefahren lauern derzeit eher im Straßenverkehr. Der | |
Zustand einiger Straßen sowie der ambitionierte Fahrstil der Einheimischen | |
könnten am Ende doch dafür sorgen, dass man ohne seinen geliebten fahrbaren | |
Untersatz nach Hause reist. Da viele Albaner Englisch, Italienisch oder | |
manchmal sogar Deutsch sprechen, dürfte die Verständigung kein größeres | |
Problem darstellen. Besonders zu achten ist hierbei auf Offenheit und vor | |
allem Respekt gegenüber der einheimischen Bevölkerung. | |
Wegen der vor allem abseits der Hauptstrecken immer noch recht schlechten | |
Straßenverhältnisse sollten Reisende ausreichend Zeit für den Albanien-Trip | |
einplanen. Zeit, die man sich in diesem Land aber ohnehin stets nehmen | |
sollte - allein schon, um den am Wegesrand stehenden Schafhirten freundlich | |
um ein Foto zu bitten. Schon ein altes albanisches Sprichwort sagt „Einer, | |
der sich immer beeilt, kommt ständig zu spät.“ | |
Seit ein paar Jahren werden enorme Summen in den Ausbau des Straßennetzes | |
gesteckt und die Reisezeiten innerhalb des Landes damit erheblich verkürzt. | |
Die aktuelle albanische Regierung unter Sali Berisha möchte das Land | |
zumindestens infrastrukturell fit machen für den angestrebten EU-Beitritt | |
im Jahr 2015. Ob das jedoch nur durch gute Straßen zu erreichen sein wird, | |
ist zweifelhaft. | |
Fehlende Rechtssicherheit und ungeklärte Eigentumsverhältnisse bremsen die | |
touristische Entwicklung enorm. Die zahlreichen nicht vollendeten | |
Hotelneubauten zeugen von den erheblichen Problemen, die den Ausbau der | |
Infrastruktur behindern. Zudem fehlen in touristischen Zentren wie Tirana | |
oder Sarande oftmals die konkreten Anlaufstationen für ausländische | |
Touristen. | |
So bleibt Albanien wohl auch noch eine ganze Weile eher ein Ziel für | |
Individualtouristen mit einem Hang fürs Außergewöhnliche. Für Menschen, | |
denen Originalität und Herzlichkeit wichtiger sind als Postkartenidylle und | |
durchorganisierter Massentourismus. | |
So wie für die illustre Herrenrunde aus Hannover, die mit dem Fahrrad die | |
komplette albanische Südküste bewältigt hat. Gekommen, um „das Unbekannte | |
zu entdecken“, waren sie wie die meisten Touristen von der | |
Kontaktfreudigkeit und Hilfsbereitschaft begeistert, mit der Reisende | |
empfangen werden. | |
So findet man als Tourist in Albanien zurzeit noch genau das, was man | |
anderswo meist vergeblich sucht. In den touristisch teilweise bis zur | |
Unkenntlichkeit erschlossenen Destinationen des Mittelmeerraumes hat | |
oftmals der Massentourismus mit seinen negativen Auswirkungen den | |
ursprünglichen Charakter der jeweiligen Regionen zerstört, also genau das, | |
was den eigentlichen Reiz dieser Länder einmal ausgemacht hat. Dass dieses | |
Schicksal eines Tages auch mal Albanien ereilen könnte, ist angesichts der | |
momentanen Bauwut leider nicht auszuschließen. Umso lohnender erscheint | |
daher ein Besuch des kleinen Balkanlandes zum gegenwärtigen Zeitpunkt. | |
Vermutlich werden Ihre Freunde auch besorgt, aber auch etwas neidisch | |
sagen: „ ausgerechnet Albanien!“ | |
16 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Marc-Steffen Unger | |
## TAGS | |
Reiseland Albanien | |
Albanien | |
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