# taz.de -- Geänderte Ernährungsgewohnheiten: Wenn Fruktose zum Problem wird | |
> Immer häufiger leiden Menschen an einer Fruktose-Unverträglichkeit. Erste | |
> Mediziner fordern eine Kennzeichnungspflicht für Fruchtzucker. | |
Bild: Gefährliches Zeug: Laut neuen Schätzungen verträgt jeder vierte Europ�… | |
Andreas Weidinger* ging es häufig schlecht, wenn er ein Glas Orangensaft | |
getrunken hatte. Er reagierte mit Bauch- und Kopfschmerzen. Auch andere | |
Lebensmittel machten dem 40-jährigen Münchner immer öfter zu schaffen: | |
Birnen, Äpfel, Fruchtsäfte, Nüsse, Bier und sein morgendliches Müsli konnte | |
er nicht mehr so recht genießen. Wie Andreas Weidinger geht es immer mehr | |
Menschen - sie leiden an einer sogenannten Fruktosemalabsorption. | |
Europaweit soll nach aktuellen Schätzungen jeder Vierte ein Zuviel an | |
Fruchtzucker nicht vertragen können - Bauchschmerzen, Blähungen, Schwindel, | |
Übelkeit, Kopfschmerzen und depressive Verstimmungen können die Folge sein. | |
Jede dritte Reizdarmdiagnose lässt sich auf diese Zuckerunverträglichkeit | |
zurückführen. | |
Zu viel, das heißt konkret mehr als 25 Gramm Fruchtzucker pro Tag. Wer sich | |
also vollwertig ernährt, mit fünf Portionen Obst und Gemüse und 30 Gramm | |
Ballaststoffen aus Vollkornprodukten täglich, der hat diese Grenze schnell | |
überschritten. | |
"Schließlich liefert bereits ein Apfel etwa elf Gramm Fruchtzucker", so | |
Florian Velten, Mediziner an der Universität in Heidelberg. In | |
Vollkornprodukten stecken Fructane, die der Körper auch in einzelne | |
Fruchtzuckermoleküle zerlegt. Obendrein konsumieren viele der | |
gesundheitsbewussten Zeitgenossen auch kalorienreduzierte Fertigprodukte. | |
In diesen wird häufig Kristallzucker, zu gleichen Teilen aus Glukose und | |
Fruktose bestehend, durch reinen Fruktosesirup ersetzt. | |
Mit dem Slogan "ohne Haushaltszucker" werden diese Produkte von den | |
Herstellern dann angepriesen. Schließlich wird Fruchtzucker | |
insulinunabhängig im Körper verstoffwechselt, was die Fettdepots schonen | |
soll. Neuere Studien zeigen jedoch, dass Fruktose keineswegs zu einer | |
schlankeren Linie verhilft oder einen gestörten Zuckerstoffwechsel wieder | |
ins Lot bringt. | |
Aber auch die Fans von gesüßten Getränken und Fertigprodukten sind | |
gefährdet. Denn häufig werden etwa Limonaden mit aus Mais gewonnenem "High | |
Fructose corn syrup" (HCFS) gezuckert - vor allem in den USA. "Er ist | |
billiger herzustellen und besitzt bei gleicher Menge eine höhere Süßkraft | |
als normaler Kristallzucker", so Maximilian Ledochowski, Mediziner an der | |
Uni Innsbruck und Buchautor. | |
Eine US-amerikanische Studie hat im Jahr 2004 aufgedeckt, dass der | |
HCFS-Konsum in den Vereinigten Staaten von 1970 bis 1990 um 1.000 Prozent | |
angestiegen ist. Schon ein halber Liter US-Cola liefert 30 Gramm Fruktose. | |
Obwohl etwa in Deutschland hergestellte Limonaden meist noch mit Saccharose | |
gesüßt werden, befürchten Experten, dass HCFS auch hierzulande immer | |
häufiger zum Einsatz kommt - ohne dass dies besonders deklariert werden | |
muss. | |
Die steigenden Fruktosemengen bereiten dem menschlichen Verdauungsapparat | |
erhebliche Beschwerden. Denn: Fruktose wird im Darm wesentlich langsamer | |
aufgenommen als Glukose, die als hauptsächlicher Energielieferant für | |
Gehirn und andere Organe schnell zur Stelle sein muss. | |
Der menschliche Darm ist mit einem Fruktosetransporter ausgestattet. Dieser | |
als GLUT5 bezeichnete Transporter ist genetisch bedingt aber nicht bei | |
allen Menschen gleich häufig im Darm vertreten. Bei jedem Zweiten gelangen | |
darum große Mengen Fruktose mit dem Nahrungsbrei auch in den Dickdarm. Als | |
gesundheitsfördernd geltende Pflanzenstoffe wie Flavonoide, der | |
Zuckeraustauschstoff Sorbit (etwa in Kaugummi) und Laktose aus | |
Milchprodukten hemmen zudem den GLUT5-Transporter in seiner Arbeitsweise. | |
Der lange im Darm liegende Fruchtzucker zieht schließlich Wasser aus den | |
umliegenden Geweben an - es kommt zu Durchfall. Im Dickdarm verspeisen | |
Mikroorganismen die energiereiche Fruktose und erzeugen dabei Gase, die zu | |
Verstopfung und Blähungen führen können. | |
Mit der Zeit verändert sich auch die Darmflora. Die Bakterien, die Zucker | |
vergären, vermehren sich explosionsartig, bis sie schließlich auch im | |
Dünndarm siedeln. Die Malabsorption wird chronisch, die Symptome werden | |
immer schlimmer - und das alles, obwohl die Ernährung der Betroffenen | |
"gesund" zu sein scheint. | |
Die mangelhafte Fruchtzuckerverdauung schlägt aber auch aufs Gemüt. Denn | |
die Aminosäure Tryptophan kann nicht mehr so gut aus der Nahrung ins Blut | |
übergehen. Tryptophan braucht der Körper aber zur Synthese des | |
Neurotransmitters Serotonin. Die Folge sind depressive Verstimmungen und | |
permanenter Hunger auf Süßes. | |
Eine Besserung tritt meist durch Meiden von Fruktose ein. Der Heidelberger | |
Wissenschaftler Florian Velten empfiehlt eine professionelle | |
Ernährungsberatung. Am Anfang sollte man nämlich nicht nur bestimmte Obst- | |
und Gemüsesorten, Nüsse und Vollkornprodukte meiden, sondern auch auf | |
gesüßte Joghurts, Wurst- und Fleischwaren, Fischkonserven und Ketchup | |
verzichten. Eine Interventionsstudie des St.-Josef-Hospitals in Bonn-Beuel | |
belegte kürzlich, dass 88 Prozent der Betroffenen bereits nach kurzer Zeit | |
auf eine solche Diät ansprechen. | |
Weil Fruktose auch die Entstehung des metabolischen Syndroms fördert, | |
fordern Wissenschaftler wie Kaspar Berneis vom Universitätsspital in Zürich | |
eine Kennzeichnungspflicht für HCFS und andere Fruktosezusätze in Form | |
exakter Mengenangabe. | |
Dass Andreas Weidinger unter einer Fruktosemalabsorption litt, offenbarte | |
übrigens ein Atemtest (H2-Test), den er im Krankenhaus durchführen ließ. Er | |
trank fortan weniger Säfte und stieg um auf fruktosearmes Obst wie | |
Aprikosen, Bananen und Orangen. Kopf- oder Bauschmerzen plagen ihn heute | |
kaum noch. | |
* Name geändert | |
8 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
## TAGS | |
Zucker | |
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