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# taz.de -- Fredener Musiktage: Klatsch- und Kulturgeschichte
> Das Fagus-Werk von Walter Gropius ist als Vorläufer des Bauhaus in die
> Architekturgeschichte eingegangen. In der Fabrikhalle wird zum 125.
> Geburtstag des Architekten Musik aufspielen
Bild: Das Fagus-Werk von Walter Gropius: Schon die offen gelassenen Ecken recht…
Musik und Architektur, der flüchtige, leichte, fließende Ton und die Starre
von Stein, Zement, Glas oder Holz: Hier scheint es keinen Übergang zu
geben, nur Fremde, nur Gegensatz. Goethe allerdings sah das anders:
Architektur, sagte er, sei gefrorene Musik. Und wollte damit wohl andeuten,
dass beiden dieselben mathematischen Konstruktionsgesetze zugrunde liegen,
die sich das eine Mal im Raum, das andere Mal in der Zeit entfalten.
Auf den Fredener Musiktagen lässt sich nun ein Brückenschlag der besonderen
Art zwischen diesen einander fernen und doch so nahen Disziplinen erleben.
Am 9. August steht der 125. Geburtstag vom Bauhausbegründer Walter Gropius
auf dem Programm des Kammermusikfestivals. Begangen werden soll er mit
Musik von Alban Berg, Gustav Mahler, Alma Mahler-Werfel, und Arnold
Schönberg im nahe gelegenen Alfeld an der Leine. Um genau zu sein: in dem
von Gropius 1911 gebauten Fagus-Werk, das als Vorläufer des Bauhauses, als
das jugendhafte Antlitz einer neuen Zeit in die Architekturgeschichte
eingegangen ist.
Allein das Fagus-Werk lohnt einen Abstecher nach Alfeld. Und am Gebäude ist
es wiederum ein Detail, das bereits seinen Ruhm als Baurevolution
rechtfertigt. Es sind die offen gelassenen Ecken an der Fassade. Bis dahin
waren die Ecken in der Baukultur wesentlich für die Statik. Sie hielten,
stützten, umklammerten das Gebäude - und wurden dementsprechend
wuchtig-massiv ausgeführt und ausgekleidet. Die Eckpfeiler waren die
Garanten der Monumentalität, in die sich der bodenschwere Geist des
Wilhelminismus und später des Faschismus schleppte.
Das Fagus-Werk ist gebaute Kritik an jenem Ungeist. Große Glasflächen
gliedern die anmutig-schlichte Fassade in die Vertikale, die tragenden,
ockergelben Klinkerstreben erscheinen dagegen zurückgesetzt. Luftig und
leicht wirkt so der Bau, umso mehr, als er auf dunkelfarbigen, in lockeren
Abständen gelegten Klinkerabsätzen ruht.
Und nun dazu die Musik, die, wie der Kurator Utz Köster sagt, "das Bauwerk
beleuchten soll, wie auch umgekehrt das Bauwerk die Musik in einem anderen
Kontext erklingen lässt." Die möglichen Relationen scheinen vielfältig: So
steht Gustav Mahler auf dem abendlichen Programm, ein Komponist, in dessen
Werken sich vielleicht erstmals die Agonie der klassischen Harmonie
widerspiegelt. Hohlformen der Tradition entdeckte Adorno darin, ein Wort,
das sich auch auf die zierlosen, kubischen Formen des Neuen Bauens münzen
ließe. Arnold Schönbergs frühes Stück "Verklärte Nacht", das in einer
Klaviertrioversion im Fagus-Werk aufgeführt wird, entfaltet sich immer
wieder über Raster und Repetitionen und lässt damit eine Schlichtheit und
Strenge anklingen, die schließlich im Neuen Bauen ebenso wie in der
atonalen Musik eingelöst wird. Ein Zusammenhang, der sich in Alfeld anhand
von Alban Bergs Violinkonzert überprüfen lässt.
Man kann sich aber auch an sehr viel handfestere Bezüge halten: an das
Beziehungsgeflecht, das Gropius, Mahler, Schönberg und Berg umspannt und
dessen Knoten sich in der Hand einer abwechselnd als Femme fatale oder
Grand Dame geschilderten Frau schürzt: in der Hand von Alma Mahler-Werfel.
Schönberg widmete ihr zu ihrem 70. Geburtstag einen vierstimmigen Kanon mit
dem vielsagenden Text: "Gravitationszentrum eigenen Sonnensystems, von
strahlenden Satelliten umkreist, so stellt dem Bewunderer dein Leben sich
dar."
Nun aber zum Anfang der Soap: Sommer 1910. Mahler arbeitet an seiner 10.
Symphonie. Die deutlich jüngere Alma fühlt sich vernachlässigt. In einem
Kurort verdreht die für ihre Schönheit gerühmte Frau dem damals noch
unbekannten Architekten Gropius den Kopf. So sehr, dass der ihr einen
flammenden Brief schreibt - und versehentlich an Mahler statt an seine Frau
adressiert.
Den Komponisten bringt die unfreiwillig aufgedeckte Affäre seiner Frau an
den Rand des Grabes. Im Manuskript seiner letzten, unvollendet gebliebenen
Symphonie, das Alma später, von aller Pietät absehend, veröffentlicht,
findet sich das Protokoll der Katastrophe, Eintragungen wie: "Ach! Ach!
Ach! Leb' wol mein Saitenspiel! Lebe wol, Leb wol. Leb wol." Oder
umschweifslos: "Für dich leben! Für dich sterben! Almschi!" Ein knappes
Jahr später erliegt Mahler dann tatsächlich einem Herzleiden. Vier Jahre -
und einige Liebhaber - ziehen allerdings noch ins Land, bis Alma in
Erinnerung ihres heftigen Sommerflirts mit Gropius die Ehe eingeht.
Viel scheint die beiden nicht verbunden zu haben. Alma empfand den Bund mit
Gropius als sozialen Abstieg. An Architektur wenig interessiert, empfing
sie in ihrem Wiener Salon lieber Musiker und Künstler, die ihr als
Mahler-Witwe den Hof machten. Gropius ging seinerseits die Musik auf den
Senkel. So dauerte es nicht lange, bis sich Alma für den Schriftsteller
Franz Werfel zu erwärmen begann.
Immerhin brachte man zuvor in einem Gemeinschaftsprojekt eine Tochter,
Manon Gropius, auf den Weg. Und damit kommt nun auch Alban Berg ins Spiel.
18-jährig starb Manon 1935 an Kinderlähmung. Die Beerdigung war ein
Großereignis, der Theologe Johannes Hollnsteiner, der damalige Geliebte der
Mutter, hielt die Leichenrede. Und Berg komponierte erschüttert sein
elegisches Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels", das er noch kurz vor
seinem eigenen Tod vollenden konnte.
Wer auf diesem Feld sich weiter unterrichten, wer die Kulturgeschichte um
den Klatsch erweitert wissen will, sollte sich schon früher im Fagus-Werk
einfinden. Am Nachmittag liest Oliver Hilmes aus seinem Buch "Alma Mahler.
Witwe in Wahn". Im Anschluss daran werden eigene Liedkompositionen dieser
schillernden Persönlichkeit vorgestellt. Lieder, die sie komponierte trotz
ihrer von Mahler und anderen Männern geschürten Zweifel, ob sich das für
eine Frau überhaupt schicke.
7 Aug 2008
## AUTOREN
Maximilian Probst
Maximilian Probst
## TAGS
Festival
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