# taz.de -- Kein Sex für Schmerzensmann: Franz Kafka und die Pornos | |
> Franz Kafka hatte Pornohefte in seinem Bücherschrank, hat ein britischer | |
> Literaturwissenschaftler herausgefunden. Das eignet sich als Skandälchen. | |
Bild: Haben diese Augen Pornografie betrachtet? | |
"Franz Kafka war ein Porno-Ferkel", hieß es gestern im Berliner Kurier. Was | |
war passiert? Bis heute hat jedes ernstzunehmende Feuilleton und jede nicht | |
ernstzunehmende Zeitung darüber berichtet: Franz Kafka hatte pornografische | |
Texte in seinem Bücherschrank! | |
Der britische Literaturwissenschaftler James Hawes war mit dieser | |
Erkenntnis an die Öffentlichkeit gegangen. Kafka habe Pornomagazine | |
gesammelt, sprach er voller Empörung, und es sei nicht nur | |
normalschmuddelig, nein, es seien sodomitische Szenen und auch - man | |
erschrickt geradezu - "girls on girls" zu sehen. All dies könne man in | |
seinem demnächst erscheinenden Buch "Excavating Kafka" lesen - und | |
anschauen. | |
Abgesehen davon, dass dieser Herr offensichtlich die in jedem erotischen | |
Werk geradezu obligatorischen "lesbischen" Szenen für eine besonders große | |
Sauerei hält - die Nachricht ist keine. | |
Kafka hatte die Zeitschriften Der Amethyst und Die Opale abonniert, und da | |
sie so teuer waren, teilte er sich das Abonnement mit Max Brod. | |
Herausgegeben wurden sie von dem umtriebigen Literaturentdecker und | |
-förderer Franz Blei, der in einer anderen Zeitschrift übrigens Kafkas | |
ersten Text publizierte. Bei dem, was Blei versammelte, handelt es sich | |
unter anderem um sogenannte Erotika, Schweinigeleien für den gebildeten | |
Herrn. In diesen Magazinen erschienen auch Texte von Rudolf Borchardt, | |
Robert Walser oder Carl Einstein. Robert Musil, der eng mit Franz Blei | |
befreundet war, wird ebenfalls eines der Hefte besessen haben. Ist da also | |
jemand auf ein ganzes Nest von "Porno-Ferkeln" gestoßen? | |
Das ist Quatsch. Dennoch nutzen einige Kollegen die Gelegenheit, um | |
festzustellen, dass Kafka "kein Heiliger" gewesen sei. Das wiederum ist | |
interessant. Man weiß, dass Kafka Bordellbesucher war, er hatte | |
Liebesbeziehungen mit vielen Frauen, nun könnte es zudem sein, dass er | |
daheim auch masturbiert hat. Wer aber, außer der Papst selbstredend, tut | |
das denn nicht? | |
Bei einem Juden allerdings empört festzustellen, dass er kein Heiliger sei, | |
entbehrt nicht einer gewissen Komik. Aber es sagt viel über die Autoren aus | |
- noch immer wird Kafka, gerade hierzulande, als unterm Vater leidender | |
Schmerzenmann gesehen, als schmachtend Liebender oder er wird sogar zum | |
Propheten des Holocaust verkitscht. Dass die Werke dieses Autors sehr | |
komisch waren, dass Kafka eher ein entschlossener Künstler als ein | |
verzärtelter Kindmann war, diese Ansichten finden noch immer keinen | |
Nachhall in dem öffentlichen Kafka-Bild. Sonst nämlich wäre der Mensch | |
Kafka nicht mehr jener Mensch, dessen stilisiertes Leben das Extraordinäre | |
seines Werkes verstellen hilft. Kafka soll uns als schöner trauriger Toter | |
erhalten bleiben. Nur so ist zu erklären, wie die Ente vom Porno-Kafka für | |
so viel Geschrei sorgen kann. | |
JÖRG SUNDERMEIER | |
8 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Jörg Sundermeier | |
## TAGS | |
Franz Kafka | |
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