# taz.de -- Frauenstudium: "Theoretisch gleichberechtigt" | |
> Seit 100 Jahren dürfen Frauen ganz offiziell an preußischen Hochschulen | |
> studieren. Allerdings hatten Dozenten ein Vetorecht, sagt die Politologin | |
> Claudia von Gélieu. | |
taz: Frau von Gélieu, erzählen Sie doch mal, was vor 100 Jahren an der | |
Berliner Uni los war. | |
Claudia von Gélieu: Eigentlich gar nichts. Da waren Semesterferien wie | |
heute auch. Allerdings: Das Wintersemester 1908 brachte dann in der Tat | |
Bewegung an die Berliner Universität. | |
Wieso? | |
Weil per Erlass des preußischen Kultusministers vom 18. August 1908 Frauen | |
an preußischen Hochschulen zum Studium zugelassen wurden - und damit auch | |
an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, dem Vorläufer der | |
Humboldt-Uni. | |
Aber es gab doch auch vor 1908 schon Frauen in Berlin, die später sehr | |
berühmt wurden … | |
Ja, Frauen wie Helene Stöcker oder Alice Salomon, die in der Frauenbewegung | |
wichtige Rollen gespielt haben, machten schon vor 1908 ihren Doktor an der | |
Berliner Universität. Die erste war 1899 Else Neumann, eine Physikerin. | |
Auch die Kernphysikerin Lise Meitner, 1926 erste außerordentliche | |
Professorin in Berlin, kam schon 1907 nach Berlin. Seit 1895 waren Frauen | |
als Gasthörerinnen zugelassen. Aber sie konnten ihren Abschluss immer nur | |
mit Sondergenehmigungen machen und waren immer abhängig vom Wohlwollen der | |
einzelnen männlichen Dozenten. | |
Was änderte sich denn 1908? | |
Frauen waren endlich grundsätzlich zum Studium in Preußen zugelassen - und | |
damit zumindest theoretisch gleichberechtigt. | |
Na, das klingt doch nach einer kleinen Revolution? | |
Eigentlich ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Preußen gehörte zu den | |
Spätzündern, was die Zulassung des Frauenstudiums angeht. In beinahe allen | |
anderen deutschen Ländern konnten Frauen Jahre vorher schon studieren. Die | |
Widerstände dagegen waren gerade in Berlin sehr groß - und so blieb es auch | |
nach 1908 bei der Einschränkung, dass Dozenten keine Frauen in ihren | |
Veranstaltungen akzeptieren mussten. Es gibt dazu viele spannende | |
Geschichten. | |
Erzählen Sie mal eine. | |
Die Frauenrechtlerin Ottilie von Hansemann bot der | |
Friedrich-Wilhelms-Universität eine Spende in Höhe von 200.000 Reichsmark | |
an, wenn die Uni diese Regelung streichen würde. Das war viel Geld. Aber in | |
dem Fall hat ausnahmsweise nicht das Geld bestimmt. Da waren die Herren in | |
ihrem Antifeminismus konsequent. | |
Also war der Erlass nur Makulatur? | |
Das kann man auch nicht sagen. Innerhalb kürzester Zeit machten die Frauen | |
immerhin 10 Prozent der Studierenden in Berlin aus. | |
Was waren denn die Fächer, die Frauen damals wählten? | |
Das ist ganz interessant: Viele Frauen, die um diese Zeit ihr Studium in | |
Berlin aufnahmen, taten sich durch ihre Leistungen in Fächern wie Physik | |
und Chemie hervor. Das zeigt ja zumindest: dass es nichts mit angeborenen | |
Genen zu tun hat, wenn Frauen sich heute nur wenig für | |
naturwissenschaftliche Fächer interessieren. | |
Dennoch: Auch heute gibt es in Berlin noch Studiengänge, an denen gerade | |
einmal 6 Prozent der Studierenden weiblich sind … | |
Das hat natürlich damit zu tun, dass viele Männerkulturen sich beständig | |
gehalten haben. Auch an den Universitäten. Wenn in vielen Studiengängen | |
beharrlich nichts unternommen wird, um auch die Interessen von Frauen | |
aufzugreifen, dann verwundert das nicht. Es hat sich zwar viel verbessert, | |
aber manches ist eben auch nach 100 Jahren noch steinzeitlich geblieben. | |
18 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
Martin Kaul | |
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Wissenschaft | |
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