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# taz.de -- Kommentar Konflikt im Kaukasus: Und der Verlierer heißt - Russland
> Der Kaukasuskrieg hat Russland nichts genutzt. Durch den Verlust von
> Südossetien wird Georgien langfristig stabiler - und Abchasien könnte
> ganz unabhängig werden.
Es gibt einen Aphorismus in Abchasien, der viel über die Zukunft dieser
Provinz am Schwarzen Meer aussagt, die sich von Georgien loslösen will.
"Die Russen", sagen die Leute, "werden die letzten sein, die unsere
Unabhängigkeit anerkennen. Lange vorher werden es Europa und Georgien tun."
Wie das? Geht es in dem jüngsten Krieg in Georgien nicht gerade darum, dass
Russland die beiden abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien gegen
Georgien unterstützt?
Was immer in den letzten Tagen an Thesen und Ansichten verbreitet wurde -
das meiste ist Propaganda und hat mit der komplizierten Situation vor Ort
wenig zu tun. So hat der russische Präsident Medwedjew die beiden
politischen Führer der Südosseten und Abchasen demonstrativ im Kreml
empfangen und dabei verkündet, ihnen sei nach diesem Krieg nun definitiv
nicht mehr zuzumuten, noch einmal unter georgischer Oberhoheit zu leben.
Dennoch wird sich Russland hüten, die beiden Territorien als unabhängige
Staaten anzuerkennen.
Der Grund ist nicht nur, dass Russland schwerlich genügend relevante Länder
weltweit finden würde, die diesen Schritt ebenfalls vollziehen und ihm
damit politisches Gewicht verleihen würden; eine Unabhängigkeit dieser
Provinzen liegt auch gar nicht in russischem Interesse. Stellt man die
schlichte Leninsche Frage "Wem nutzt es?", dann muss man nüchtern
feststellen: Russland hat jedenfalls nicht von diesem Krieg profitiert.
Warum nicht? Weil der vorherige Zustand Russlands Interessen am meisten
gedient hat. Für diese Feststellung ist es nicht nötig, die komplizierte
Geschichte des Kaukasus bis in die Antike zurückverfolgen, wie es jetzt
manche tun. Es reicht, sich die Situation seit der Auflösung der
Sowjetunion anzuschauen.
Seit den frühen 90er-Jahren gibt es vier sogenannte ungelöste
Territorialkonflikte im Bereich der ehemaligen Sowjetunion. Das sind
Abchasien und Südossetien in der früheren Sowjetrepublik Georgien,
Bergkarabach in der früheren Sowjetrepublik Aserbaidschan und Transnistrien
in Moldawien. Durch diese ungelösten Konflikte können sich die Länder nicht
stabilisieren; ihre Entwicklung wird behindert und damit ist ihre
Emanzipation von Russland nur eingeschränkt möglich. Machtpolitisch ist
Moldawien dabei am wenigsten interessant. Das bettelarme Land zwischen
Rumänien und der Ukraine interessiert im Westen nicht besonders; und auch
in Moskau ist die Unterstützung für die Stalinisten in Transnistrien
wahrscheinlich eher alten Seilschaften als geostrategischen Interessen
geschuldet. Ganz anders sieht es bei Georgien, Aserbaidschan und Armenien
aus: Diese Landbrücke zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer ist der Weg,
der zwischen Russland und Iran hindurch bis nach China führt. Auf dieser
Route kommt nicht nur das Öl und Gas aus dem Kaspischen Becken nach Europa
- auch das Gas und Öl aus Turkmenistan und Kasachstan sollen diesen Weg
nehmen.
Russland hat nach der Auflörung der Sowjetunion zwar nicht verhindern
können, dass Georgien, Aserbaidschan und Armenien sich für unabhängig
erklärten, aber die drei Territorialkonflikte führten dazu, dass Russland
gewichtigen Einfluss behielt. Der Status quo war und ist daher für Russland
die beste denkbare Situation. Die Frage ist, ob es Russland gelingen kann,
nach dem Krieg diesen Zustand wiederherzustellen beziehungsweise in
Karabach weiterhin aufrechtzuerhalten.
Beginnen wir mit Karabach, das zu Aserbaidschan gehört, in dem aber
mehrheitlich Armenier leben. Es ist bislang wenig beachtet worden, dass
Karabach auch ein Auslöser für den Krieg in Georgien gewesen sein dürfte.
Seit Monaten verhandeln Aserbaidschan und Armenien intensiv über eine
Lösung in Karabach. Wie in Georgien sind die USA auch in Aserbaidschan zum
großen Bruder avanciert, obwohl man angesichts der autokratischen Regierung
von Präsident Alijew hier nicht lautstark von Demokratie, Menschenrechte
und den gemeinsamen westlichen Werten schwafelt, sondern schlicht die
Kontrolle über die reichen Ölvorkommen sichern will. Damit Aserbaidschan
verlässlichere Strukturen entwickeln kann, ist es wichtig, den leidigen
Karabachkonflikt endlich zu befrieden. Washingtons Sonderbeauftragter für
den Kaukasus, Matthew Bryza, drängt Alijew mit Unterstützung des zweiten
großen Bruders in Ankara deshalb heftig, ein Referendum in Karabach
anzuerkennen und damit praktisch die Zugehörigkeit Karabachs zu Armenien zu
akzeptieren.
Diese Entwicklung hat bei Saakaschwili offenbar Torschlusspanik ausgelöst.
Würde Aserbaidschan die Abtrennung Karabachs hinnehmen, wäre es nur
logisch, dass alle Welt ihn drängen würde, auch bei Abchasien und
Südossetien nachzugeben. Es ist reine Show, wenn der Westen nun die Fahne
der territorialen Integrität Georgiens schwenkt. Für die USA und Europa ist
nicht wichtig, ob Abchasien und Südossetien zu Tiflis gehören - bedeutsam
ist, dass Georgien endlich zu einem stabilen Staat wird. Je eher das Land
die beiden Konfliktherde loswird, umso eher kann Georgien Nato-Mitglied
werden und auch an die EU herangeführt werden. Saakaschwili hat deshalb
wahrscheinlich tatsächlich nicht auf US-Ermutigung den Einmarsch in
Südossetien befohlen, sondern im Gegenteil war der Einmarsch ein letzter
verzweifelter Versuch, USA, Nato und EU für sein im Kern chauvinistisches
Rückeroberungsprojekt einzuspannen. Saakaschwili ist ein Hasardeur, der
sich für die USA immer mehr zu einem unkalkulierbaren Risiko auswächst.
Auf die Wünsche, Ängste und das Leiden der Bevölkerung in Südossetien und
Abchasien ist in dem Machtpoker der letzten Jahre so wenig Rücksicht
genommen worden, wie es zukünftig der Fall sein wird. Hätte Saakaschwili
den Krieg in Südossetien gewonnen, wäre es dort zu einer ethnischen
Säuberung gekommen. Jetzt sind stattdessen die vorher noch in Südossetien
lebenden Georgier vertrieben und massakriert worden. Da Südossetien als
unabhängiger Staat völlig undenkbar ist, wird eine kommende georgische
Regierung irgendwann die De-facto-Vereinigung mit Nordossetien auch formal
anerkennen und Russland um ein paar Quadratkilometer größer. Wie gesagt:
Für Russland ist dies nicht unbedingt ein taktischer Gewinn - wird doch
Georgien durch den Verlust Ossetiens stabiler.
Auch in Abchasien hat Russland viel zu verlieren. Die Provinz hat durchaus
das Potenzial zu einem unabhängigen Staat. Anders als die Südosseten wollen
die Abchasen jedoch nicht von Russland geschluckt werden. Doch Russland hat
nicht zwei blutige Kriege in Tschetschenien geführt, um nun Abchasien in
die Unabhängigkeit zu entlassen und damit neue Konflikte im Nordkaukasus zu
riskieren. So paradox es sich deshalb anhören mag: Will der Westen
verhindern, dass Moskau Abchasien auf unabsehbare Zeit zu seinem
Protektorat macht, muss er selbst die Unabhängigkeit Abchasiens fördern und
fordern.
17 Aug 2008
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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