# taz.de -- Beinamputierte Sportlerin bei Olympia: Vom Trauma zum Traum | |
> Nach einem Unfall musste der Südafrikanerin Natalie du Toit ein | |
> Unterschenkel amputiert werden. Beim Schwimm-Marathon gewann sie den 16. | |
> Platz - und die Herzen. | |
Bild: Natalie du Toit ist die erste amputierte Sportlerin bei Olympia. | |
Die anderen 23 Freiwasserschwimmerinnen haben ihre Sachen längst gepackt, | |
als sich eine junge Frau mit auffallend kräftigem Oberkörper mühsam aus dem | |
Wasser schiebt. Als das geschafft ist, sitzt sie, die Handflächen seitlich | |
aufgestützt, auf den Holzplanken neben der olympischen Ruderstrecke und | |
atmet tief durch. Für ein paar Sekunden ist Natalie du Toit ganz allein. | |
Dann überreicht ihr Neville Smith, ihr Coach, vorsichtig eine Prothese, die | |
sich die 24-Jährige sofort über den Stumpf ihres linken Beines stülpt. Sie | |
steht auf, lässt sich von Smith in den Arm nehmen und geht langsam davon. | |
Natalie du Toit, die erste amputierte Sportlerin bei Olympischen Spielen, | |
ist mit ihren Kräften am Ende. "Die Frauen haben ein Tempo vorgelegt, das | |
ich wirklich nicht erwartet habe", wird sie gleich sagen. In einem von elf | |
TV-Interviews, die sie unmittelbar nach dem Rennen gibt. Weder um die | |
Siegerin Larisa Ilchenko aus Russland noch um die Britinnen Keri-Anne Payne | |
(Silber) und Cassandra Patten (Bronze) wird auch nur annähernd solch ein | |
Rummel veranstaltet. Und zwischen tiefen Schlucken aus ihrer Wasserflasche | |
wiederholt du Toit immer wieder geduldig die Sätze: "Ich habe alles | |
gegeben. Ich bin wirklich froh, dass es vorbei ist. Ein Traum ist für mich | |
wahr geworden." | |
Der Traum, sich mit nichtbehinderten Sportlern bei Olympia zu messen. Bei | |
den Paralympics in Athen war sie schon, holte vor vier Jahren fünf goldene | |
und eine silberne Medaille. Dieses Ergebnis will sie in drei Wochen in | |
Peking wieder erreichen. Doch das ganz spezielle Erlebnis war das gestrige | |
Marathonschwimmen gegen 23 gesunde Kolleginnen. Unter die besten fünf | |
wollte Natalie du Toit trotz ihres offensichtlichen Nachteils schwimmen. Am | |
Ende kam sie in persönlicher Bestzeit auf Rang 16 und sagte: "Ich bin etwas | |
enttäuscht. Aber ich hätte es nicht besser machen können." | |
Du Toits offensiver Umgang mit der eigenen Behinderung hat vor allem mit | |
der Zeit vor ihrem folgenschweren Unfall im Februar 2001 zu tun. Mit 14 | |
vertrat die gebürtige Kapstädterin Südafrika bei den Commonwealth Games, | |
mit 16 verpasste sie nur knapp die Teilnahme an den Olympischen Spielen in | |
Sydney. "Ich gehörte zur Weltspitze", sagt die junge Frau mit dem markanten | |
Gesicht. Doch wenige Tage nach ihrem 17. Geburtstag war auf einen Schlag | |
alles anders. | |
Ihre Eltern hatten ihr einen Motorroller gekauft, weil sie ständig zwischen | |
Pool und Schule hin und her pendeln musste. An einem Montagmorgen, | |
unmittelbar nach dem Schwimmtraining, fuhr Natalie du Toit auf dem Weg zur | |
Schule über einen Parkplatz, den auch viele Autofahrer wegen einer | |
verkehrsreichen Kreuzung in der Nähe als Abkürzung nutzten. Eine Frau | |
rammte sie mit ihrem Wagen von der Seite, durch die Wucht des Aufpralls | |
wurde du Toit mitsamt Roller in die Luft katapultiert. "Mein Bein", | |
erinnert sich die Schwimmerin an den anschließenden Aufprall, "platzte auf | |
- so, wie wenn du eine Tomate auf den Boden wirfst." | |
Vier Tage lang versuchten die Ärzte, ihr Bein zu retten, am fünften Tag | |
mussten sie den linken Unterschenkel amputieren. Drei Monate nach der | |
Operation stieg du Toit wieder ins Becken. "Ich wusste gar nicht, ob ich | |
überhaupt wieder schwimmen kann", erinnert sie sich. Sie konnte - auch wenn | |
es am Anfang "unerträglich wehtat". Doch du Toit lernte, mit den Schmerzen | |
und mit der Behinderung zu leben. In nichtolympischen Jahren arbeitet sie | |
nun in Südafrika als Motivationstrainerin in Schulen, Betrieben und Kirchen | |
- und nach der gestrigen Enttäuschung erklärte sie tapfer: "Jetzt hoffe ich | |
eben auf die nächsten Spiele in London." | |
Dann will Natalie du Toit wieder zum Schwimmmarathon gegen ihre | |
nichtbehinderten Kolleginnen antreten. "Ich denke nicht einmal darüber | |
nach, dass ich kein Bein habe", sagt sie. Ihren Konkurrentinnen geht es | |
genauso. "Ich habe großen Respekt vor ihr", betont Angela Maurer, die | |
gestern Vierte wurde. "Im Rennen", sagt die Wiesbadenerin, "guckt man nicht | |
und denkt: Da ist die Natalie mit dem einen Bein." | |
Eine Einstellung ganz im Sinne von du Toit, die kein Mitleid will, sondern | |
eine "Botschaft, nicht nur für Behinderte" hat: "Es geht mir darum, | |
Negatives in ein gutes Licht zu rücken." Woraufhin die russische Siegerin | |
Ilchenko ihr am liebsten eine Ecke von ihrem Goldstück abgeschnitten hätte. | |
Und weil das nicht geht, schlug sie vor: "Ich würde Natalie einfach eine | |
Extramedaille anbieten." | |
21 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Andreas Morbach | |
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American Pie | |
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