# taz.de -- Randy Newmans neue Platte "Harps and Angels": Nach dem Tod erst mal… | |
> Eigentlich ist Randy Newman heute Oscar-schwerer Filmmusiker. Alle | |
> Jubeljahre bringt er aber ein neues Album heraus. Das jüngste wird von | |
> der Kritik hymnisch gefeiert. | |
Bild: Ein New Yorker im Geiste, in New Orleans geboren und wohnhaft in Los Ange… | |
Als Randy Newman vor zwei Jahren bei den Jazzopen der BW Bank in Stuttgart | |
auftrat, begann er sein Konzert sinnigerweise mit dem Titel "Its Money That | |
I Love". Der vordergründige Sarkasmus des Stückes, der eine tiefere | |
Wahrheit birgt, prallte allerdings an den kalten Manifestationen des Geldes | |
ringsum ab: "SüdLeasing" stand hoch oben an einem der gläsernen Gebäude des | |
Pariser Platzes geschrieben. Alles erinnerte einen hier an La Défense, wo | |
man auch im Hochsommer ein bisschen fröstelt. | |
Ähnlich muss sich Randy Newman fühlen, wenn er mit seinen Songs in Amerika | |
anzukommen versucht: Er singt irgendwie gegen eine Wand aus Glas; das | |
Erzählte spiegelt sich in den Zuhörern, wird aber doch nicht recht | |
reflektiert. Da gibt es seit Jahrtausenden schöne Literatur, lyrische Ichs | |
und Rollenprosa, und wenn Newman in seinen Songs in das Kostüm eines | |
Redneck-Rassisten, Spießers oder amerikanischen Patrioten schlüpft, wird er | |
in seiner Heimat gleich haftbar gemacht. Europa geht verständnisvoller mit | |
ihm um, hängt ihm an den Lippen und bügelt mit aufgeklärtem Kunstsinn alle | |
Widersprüche glatt, die Newman interessant machen. | |
Dass so ein New Yorker im Geiste, der in New Orleans geboren wurde, | |
ausgerechnet in Los Angeles lebt, gehört zu diesen Ambivalenzen. Woody | |
Allens Alvy Singer im "Stadtneurotiker" brauchte nur ein paar Stunden | |
Hollywood, um von Schwindelgefühlen und Übelkeit heimgesucht zu werden. | |
Randy Newman singt hingegen "I Love L. A.". Er tut das natürlich mit einem | |
sibyllinischen Lächeln, weiß aber die Annehmlichkeiten der Traumfabrik zu | |
schätzen. Als Filmkomponist (mit 16 Oscar-Nominierungen, einmal hat er ihn | |
bekommen, für "If I Didnt Have You" aus "Monsters AG") ist er in die | |
Fußstapfen zweier seiner Onkel getreten, führt die Tradition ausgefeilter | |
Broadway-Musicalnummern und überschäumender Cinemascope-Scores fort. So | |
kann er sich auch seine sehr eigenen Alben leisten, die inzwischen fast in | |
Zehnjahresabständen erscheinen. Er muss kein Blatt vor den Mund nehmen. | |
Sein jüngster Streich heißt "Harps and Angels", und die Kritik hierzulande | |
hat ihn dafür mit Pauken und Trompeten gefeiert. Newman wird in den | |
Besprechungen meist zum guten Gewissen der USA degradiert: Man schätzt an | |
ihm das Europäische oder besser Jüdische, seinen Humor, seine giftigen | |
Texte, seinen Hang zur Verstellung, seine Intelligenz. Alles richtig. Aber | |
das Schöne an Randy Newman ist eben auch, dass er sich über alles | |
Eindeutige lustig macht. Es ist eine literarische Vorgehensweise, keine | |
politische, auch wenn man ihm letztere gerne unterstellt. Newman ist | |
womöglich ein moralischer, auf keinen Fall aber ein moralisierender | |
Erzähler. Man darf Newmans Songwriting nicht mit Zynismus verwechseln; | |
seine Satire basiert auf der Nähe zu den Figuren, von denen er singt. Er | |
mag sie abscheulich finden. Aber er kennt diese Südstaatensturköpfe, | |
windigen Selbstbetrüger und selbstgerechten Loser genau, weil das Monströse | |
des Normalen immer auch ein bisschen in ihm selber steckt. | |
Kurz: Das Album ist großartig, obwohl es nichts bietet, was Newman nicht | |
schon geschrieben hätte, vielleicht sogar pointierter. Das viel zitierte "A | |
Few Words in Defense of Our Country", eine von Zeile zu Zeile mehr außer | |
Kontrolle geratende und zuletzt umkippende Rechtfertigungsrede auf die | |
Bush-Regierung, ist ein Update von "Political Science"; "Easy Street" | |
erinnert an "Its Lonely at the Top". Die Selbstzitate sind unüberhörbar. | |
Man könnte von Unbeirrtheit sprechen oder von Traditionsbewusstsein, nur | |
dass Newmans Stimme inzwischen noch weniger für die höheren Lagen gemacht | |
ist. | |
Musikalisch darf man "Harps and Angels" als Beweis dafür betrachten, dass | |
manche uralten Formen - Blues, Ragtime, Broadway-Melodien, die von | |
Streichern auf Wattewolken gebettet sind - noch immer tolle Effekte | |
erzielen können. Der Titelsong, in dem ein Herzinfarktkandidat die Englein | |
singen hört, ist ein Blues, der so liebevoll mit Orgel und Chor untermalt | |
wird, dass einem selbst vor den letzten Dingen nicht grauen muss. Und der | |
strauchelnde Mann mit Nahtoderfahrung kommt nach einem klärenden Gespräch | |
an allerhöchster Stelle noch mal davon. Und die Erkenntnis, dass es im | |
Jenseits mit dem Leben weitergehen könnte, wird gleich auf den irdischen | |
Boden der Tatsachen zurückgeholt: "So get a drink", heißt die letzte Zeile. | |
Randy Newman schafft es, auch dem Spiel mit dem Pathos der Vergänglichkeit | |
einen Witz hinterherzuschicken. ULRICH RÜDENAUER | |
21 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Rüdenauer | |
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USA | |
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