# taz.de -- die wahrheit: Hab erbarmen, Indra | |
> Endlich ist dieser Horrormonat vorbei. Es war der feuchteste August, seit | |
> die Aufzeichnungen vor 171 Jahren begannen - täglich reines Herbstwetter | |
> zum Quadrat. | |
Endlich ist dieser Horrormonat vorbei. Es war der feuchteste August, seit | |
die Aufzeichnungen vor 171 Jahren begannen - täglich reines Herbstwetter | |
zum Quadrat. Im keltischen Kalender beginnt der Herbst ja auch am 1. | |
August. "Lughnasadh", so haben die Kelten diese Jahreszeit nach ihrem Gott | |
Lug Lamfhota benannt, was "klug mit langen Armen" bedeutet. Die langen Arme | |
hatte er vermutlich vom Schwimmen. Lughnasadh war bis ins 19. Jahrhundert | |
die Zeit des "Handfastings", der Ehe auf Probe, die ein Jahr und einen Tag | |
dauerte. Danach konnte man die Sache beenden oder einen Bund auf längere | |
Zeit eingehen. Außerdem läutete der August die Ernte ein, es war eine Zeit | |
der Märkte, Familienzusammenkünfte und anderer Festlichkeiten. | |
Die fielen in diesem Jahr aus. Sogar die große Landwirtschaftsmesse in | |
Tullamore, das wichtigste Ereignis im bäuerlichen Kalender, musste abgesagt | |
werden, weil sich die Wiese höchstens für eine Bootsmesse geeignet hätte. | |
In Dublin wurden Mitte August sieben Grad gemessen. Überall traf man auf | |
nörgelnde Touristen. Wer im August nach Irland gereist ist, wird so bald | |
nicht wiederkommen - ganz zu schweigen von den beiden Franzosen, die in | |
ihrem Auto ertrunken sind. | |
Was ist bloß aus dem feinen irischen Nieselregen geworden, für den die | |
Grüne Insel berühmt ist? Stattdessen kam das Wasser mit solcher Wucht | |
herunter, dass es Brücken wegriss, Straßen unterspülte und Eisenbahngleise | |
wegschwemmte, sodass ein Zug entgleiste. Nur aus so manchen Wasserhähnen | |
kam kein Wasser mehr, wie die Bewohner ungläubig feststellen mussten, weil | |
die Rohre durch den Regen beschädigt worden waren. | |
Ausgerechnet an dem Samstag Mitte August, der sich als der nasseste Tag in | |
der Geschichte Dublins entpuppte, bestellte ich mir eine indische Mahlzeit, | |
die normalerweise binnen 45 Minuten ins Haus geliefert wird. Kaum hatte ich | |
aufgelegt, da setzte der Regen ein. Und wie: Innerhalb von vier Stunden kam | |
mehr Wasser herunter als sonst in einem Monat. Zur selben Zeit ging ein | |
wichtiges Spiel in der irischen Traditionssportart "Gaelic Football" zu | |
Ende, und das Stadion liegt um die Ecke vom indischen Restaurant. Nach zwei | |
Stunden rief der Lieferfahrer an und beschrieb anschaulich das Chaos, das | |
auf den Straßen herrschte. Er sei vor einer Stunde losgefahren und befinde | |
sich jetzt in der Dorset Street, sagte er. Aber in dieser Straße liege doch | |
sein Restaurant, wandte ich ein. "Eben", entgegnete er entnervt. "Ich bin | |
in der vergangenen Stunde 250 Meter weit gekommen. Deshalb kehre ich jetzt | |
um. Schmier dir ein Brot." | |
Ich bat ihn, es später noch mal zu versuchen, wenn Regen und Verkehr | |
nachgelassen haben. Nachts um halb zwölf stand der Restaurantbesitzer vor | |
der Tür, in der Hand eine Plastiktüte mit meinem Essen, und entschuldigte | |
sich pausenlos. Es sei ja nicht seine Schuld, entgegnete ich, oder habe er | |
etwa zum indischen Regengott Indra gebetet? Der Restaurantbesitzer | |
beteuerte seine Unschuld, schenkte mir die Mahlzeit und versprach, sich | |
sogleich an den Sonnengott Vischnu zu wenden, damit wir einen großartigen | |
September bekämen. Es hat offenbar funktioniert. Am Wochenende schien | |
bereits zweimal kurz die Sonne. | |
7 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotschek | |
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