# taz.de -- Debatte McCain und Palin: Ein impulsiver Militarist | |
> Wenn McCain die US-Wahlen gewinnt, werden auch die Europäer einen hohen | |
> Preis zahlen. Die Nominierung von Sarah Palin zeigt, dass McCain ein | |
> Hasardeur ist. | |
Bild: Joe Lieberman bei einem Auftritt im vergangenen Januar in Washington | |
Die USA wenden eine Menge Geld auf, um Europäer mit der amerikanischen | |
Gesellschaft und Kultur vertraut zu machen. Es gibt Stipendien für Schul- | |
und Hochschulbildung sowie Reisezuschüsse für potenzielle oder tatsächliche | |
Führungskräfte. Es gab (und mitunter gibt es sie immer noch) diskrete | |
Zahlungen an Akademiker, Journalisten und Politiker durch die CIA. Darüber | |
hinaus werden Figuren des öffentlichen Lebens, die den USA freundlich | |
gesinnt sind, nach Harvard, Princeton oder Stanford eingeladen. (Die | |
unabhängigen Geister müssen für ihre Reisen allein aufkommen.) | |
Wenn ich die stereotypischen Berichte vieler deutscher Kommentatoren über | |
unsere Wahl lese, erscheinen mir diese Ausgaben weitgehend verschwendet. | |
Plumpe Klischees sind im Überfluss zu finden. Differenziertes Denken | |
hingegen fällt nur durch seine Abwesenheit auf. | |
Nehmen wir die Nominierung von Sarah Palin als republikanische Kandidatin | |
für die Vizepräsidentschaft. Jeder von den Republikanern propagierte Unsinn | |
wurde in Deutschland wie eine Wahrheit wiederholt. Angeblich sei Palin die | |
Stimme des Kleinstadt-Amerikas - und mehr noch die Rache an den allzu | |
gebildeten Snobs, die auf die Provinz herabblicken. Nur gibt es nicht | |
besonders viel, worauf man hinabschauen könnte. Die US-amerikanische | |
Volkszählung von 2000 ergab, dass 80 Prozent der Amerikaner in | |
Ballungsgebieten leben. | |
Palin war John McCains zweite Wahl. Eigentlich hatte er seinen Freund, den | |
demokratischen Renegaten und Senator Joe Lieberman aus dem Bundesstaat | |
Conneticut, bevorzugt. Lieberman ist Imperialist, aber kulturell eher | |
liberal gesinnt - und er ist Jude. Seine Nominierung hätte die christlichen | |
Fundamentalisten noch weiter gegen McCain aufgebracht, dessen Leben nicht | |
unbedingt durch heilige Askese aufgefallen ist. (Die Fundamentalisten | |
ziehen den jüdischen Anwälten israelische Generale vor.) Andererseits hätte | |
Liebermans Nominierung die republikanischen Chancen bei Wechselwählern | |
erhöht, McCains einziger Weg ins Weiße Haus. Stattdessen verwarf der | |
Kandidat impulsiv einen Großteil seiner bisherigen Strategie. | |
McCain nominierte Palin als eine authentische Stimme des konservativen | |
Christentums. Sie nimmt die Bibel wörtlich und möchte, dass christliche | |
Schöpfungsgeschichte statt Evolution an Schulen unterrichtet wird. Sie ist | |
homophob und eine scharfe Verfechterin sexueller Abstinenz vor der Ehe. Die | |
Schwangerschaft ihrer unverheirateten 17-jährigen Tochter hat Palins | |
Anziehungskraft für ihre Befürworter nicht geschmälert. Ihnen scheint die | |
Schwangerschaft nur ein Beweis dafür zu sein, dass Gott wirklich gebraucht | |
wird - und die Zahl vorehelicher Geburten ist schließlich in denjenigen | |
Bundesstaaten am höchsten, die auch die höchste Zahl fundamentaler Christen | |
aufweisen. Die Stimmengewinne, die Palin der McCain-Kampagne einbringt, | |
werden sehr wahrscheinlich wieder aufgefressen werden durch Verluste bei | |
jenen Bürgern, die diese Auffassung von Religion abstoßend finden. | |
Christliche Fundamentalisten stellen 20 Prozent der amerikanischen Wähler - | |
und nicht alle von ihnen sind Republikaner. | |
McCain steht nun vor der Hürde, sich seinen Wählern als ein unabhängiger | |
Kandidat zu präsentieren, der offen für Ideen und Anhänger beider Parteien | |
ist. Die Bush-Jahre wurden während des Parteitags mit einer Kunstfertigkeit | |
wegretuschiert, die einem stalinistischen Parteitag zur Ehre gereicht | |
hätte. Palin ist dabei nur eine mäßige Hilfe. Sie festigt die Basis der | |
extrem parteitreuen Republikaner, die stetig enttäuscht sind, dass ihre | |
Ideen gelobt und ihre Kandidaten ignoriert werden. Vielleicht kann sie die | |
Stimmen weißer Frauen aus der Arbeiterklasse an sich ziehen, deren | |
ökonomische Bedürfnisse und soziale Interessen sie in einer rationaleren | |
Nation dazu bringen würden, die Demokraten zu wählen. Das sind die Wähler, | |
auf die Obama fremd und bedrohlich oder zumindest sozial abgehoben wirkt. | |
Die Schwierigkeiten McCains sind vielfältig. Seine wirtschaftliche und | |
soziale Agenda ist von der Bushs nicht zu unterscheiden: Er möchte Steuern | |
und Regierungsausgaben senken und den Rest dem Markt überlassen. Er | |
behauptet, gegen "Washington" zu sein, wo er seit 1982 lebt und arbeitet. | |
Und nun hat er eine tollwütige Parteikriegerin verpflichtet. Berücksichtigt | |
man ihre Unerfahrenheit (ihre Berater haben jeden Medienkontakt bis auf | |
weiteres unterbunden), McCains Alter und seine schlechte Gesundheit, so | |
wird deutlich, dass Palins Nominierung ein kolossal unverantwortliches | |
Glücksspiel darstellt. Noch ist jedenfalls nicht klar, ob sie einer | |
weiteren Untersuchung ihrer Vergangenheit standhält. | |
Der Vizekandidat entscheidet den Wahlausgang nur selten. Lyndon B. Johnson | |
hat zwar John F. Kennedy beim Wahlerfolg von 1960 geholfen, indem er den | |
Bundesstaat Texas für sich gewann und die demokratischen Wähler aus den | |
Südstaaten überzeugte. Außer Politikprofessoren und Journalisten hat sich | |
aber seitdem niemand große Sorgen über die Vizekandidaten gemacht. Palin | |
könnte ebenso schnell wieder in Vergessenheit geraten, wie sie in der | |
Öffentlichkeit aufgetaucht ist. | |
Momentan führt Obama in den Umfragen mit einem hauchdünnen Vorsprung von 2 | |
bis 3 Prozentpunkten. Als Partei hingegen liegen die Demokraten mit | |
mindestens 10 Prozentpunkten vor den Republikanern in den Umfragen für | |
Senat und Repräsentantenhaus. Kann Obama diese Demokraten durch | |
wirtschaftliche und soziale Themen mobilisieren, so könnte er die Wahl | |
gewinnen. McCain setzt stark auf das Thema einer Bedrohung aus dem Ausland, | |
die nur er allein abwehren könne. Bisher haben die Demokraten davor | |
zurückgeschreckt, ihn als das zu charakterisieren, was er ist: ein | |
impulsiver Militarist, der Amerikas Macht für grenzenlos hält. Vielleicht | |
werden sie dazu jedoch gezwungen - schon durch die Logik des Wahlkampfes -, | |
obwohl sie selbst auch nur einer etwas verfeinerten Version unserer | |
imperialen Obsession anhängen. Als Abschiedsgeschenk für McCain sind George | |
Bush und Dick Cheney dabei, einen Konflikt mit Russland um die Ukraine zu | |
entfachen - der zeitlich passend noch vor der Wahl im November explodieren | |
soll. | |
Europas Öffentlichkeit und Regierungen, die McCains einzigartige | |
Kombination von Aggressivität und Dummheit fürchten, könnten Obama helfen. | |
Sie könnten deutlich machen, dass sie nicht als Zuarbeiter einer | |
militärischen und politischen Isolierung Russlands dienen werden - und dass | |
sie nicht bereit sind, sich der amerikanischen Abenteuerlust zu | |
unterwerfen. Dies würde sicherlich ein Maß an Autonomie verlangen, das man | |
von den meisten Regierungschefs der Europäischen Union bisher kaum kennt. | |
Aber es ist kein Trost, dass wir in den USA nicht die Einzigen wären, die | |
einen hohen Preis für einen Sieg McCains zahlen würden. | |
7 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Norman Birnbaum | |
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USA | |
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