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# taz.de -- Außerhalb von Raum und Zeit: Stille Tage auf der Transromanica
> Serbien möchte den Tourismus fördern und setzt dabei auch auf die
> klösterliche Kultur. Doch die Pläne der Regierung stoßen vor Ort nicht
> nur auf Zustimmung
Bild: Sommer in Serbien
Ein rechteckiger Glocken- und Wachturm thront über dem Haupteingang des
orthodoxen Klosters Studenica in Westserbien. Der Blick fällt sogleich auf
die massive Muttergotteskirche im romanischen Stil, dem größten der drei
Gotteshäuser, deren farbenprächtige Fresken gerade restauriert werden. Im
gepflegten Innenhof, der von einer mit Ziegeln bedeckten Natursteinmauer
umgeben ist, gedeihen Flieder, Rosen, Lilien und Kirschbäume. Felder, auf
denen Getreide oder Mais wächst, umgeben die Anlage und gehen über in
Wälder, hinter denen sich die bis zu 2.000 Meter hohen Gipfel des
Stari-Vlah-Gebirges bis zum Horizont erheben.
Studenica ist eines der bedeutendsten mittelalterlichen Klöster Serbiens.
Begonnen wurde der Bau im12. Jahrhundert. Der heilige Sava, eine der
herausragendsten Persönlichkeiten des serbischen Mittelalters, wirkte hier
von 1208 bis 1215 als Vorsteher. Heute ist es eines von schätzungsweise
hundert noch aktiven orthodoxen Klöstern; neun Mönche und sieben Novizen
leben hier. Zwischen den Städten Kraljevo, 170 Kilometer südlich von
Belgrad gelegen, und Novi Pazar, unweit der Grenze zum Kosovo, liegen viele
dieser Klöster. Die Region ist Teil der „Transromanica“, einer europäisch…
Kulturroute, die sich dem romanischen Erbe Europas widmet.
Der Besuch einer deutschen Journalistengruppe in Studenica fängt nicht
gerade glücklich an. Der englischsprachige Mönch, der durch die Anlage
führen sollte, hat sich kurzfristig in den Urlaub abgemeldet. Und der Abt,
mit dem ebenfalls ein Gesprächstermin vereinbart worden war, nimmt gerade
an einer Sitzung teil, von der niemand sagen kann, wie lange sie dauern
wird. Die Begegnung mit dem Abt ist der Gruppe deshalb wichtig, weil die
durchaus kundigen Mönche und Nonnen in anderen Klöstern ungern auf Fragen
antworten, die über Kunsthistorisches hinausgehen. Einzelne möchten ihren
Namen nicht nennen, „um nicht aus der Gemeinschaft hervorzutreten“. Ist es
nun Zufall oder Absicht, dass die Gesprächspartner in Studenica nicht zur
Verfügung stehen? Fühlen sich die Mönche in ihrer abgeschiedenen Lebensform
von Besuchergruppen gestört? Oder liegt das Problem etwa daran, dass die
Gruppe aus Deutschland kommt?
In vorangegangenen Gesprächen wurde immer wieder die deutsche Besatzung
während des Zweiten Weltkriegs angesprochen, die Teilnahme Deutschlands am
Nato-Krieg gegen Serbien und die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo
durch die Bundesregierung - manchmal sachlich, manchmal mit einem
ausgesprochen bitteren Unterton. „Es macht euch im Westen ja nichts aus,
wenn man uns etwas abschneidet“, sagte etwa der 58-jährige Kustos des
Klosters Zica, Rados Rakus. Er meint natürlich das Kosovo.
Doch schließlich klappt in Studenica doch noch alles. Ein ehemaliger Novize
und Gast des Klosters erklärt sich bereit, die Besucher zu führen, eine
Teilnehmerin übersetzt aus dem Serbischen ins Deutsche - nicht das einzige
Mal während der viertägigen Reise, dass jemand aus der Gruppe dolmetschen
muss. Abt Tihon empfängt schließlich doch noch in einem Besucherraum. Der
Wohnzimmerschrank ist neben Büchern auch mit Gläsern und Alkoholika gut
bestückt. Einige der Gäste ziehen türkischen Kaffee vor - „nicht
türkischer, wir sagen einheimischer“, korrigiert der Abt.
Abt Tihon, in schwarzer Kutte und mit Vollbart, ist 36 Jahre alt, hat
Malerei in Belgrad studiert und lebt seit 12 Jahren im Kloster. Abt ist er
seit vier Jahren. Wie sieht er die Aufgabe der serbischen Orthodoxie in
dieser Zeit der Kriege und Umbrüche im ehemaligen Jugoslawien? Für den Abt
ist die Mission seiner Kirche in Krieg- und Friedenszeiten die gleiche.
„Man darf die serbische Orthodoxie nicht so verstehen, dass sie der Nation
dient“, sagte er und weist darauf hin, dass die Orthodoxie nicht nach
Nationen, sondern nach Patriarchatssitzen organisiert ist. „Wir sind
Serben, gut, aber das Christentum ist auf einer höheren Ebene angesiedelt.“
Unversehens fühlt man sich in die Zeit der Romanik zurückversetzt, der
ersten gesamteuropäischen Kultur- und Geistesströmung nach dem Zerfall des
Römischen Reiches. Ihrem Verständnis nach ist die eigentliche,
entscheidende Realität außerhalb von Raum und Zeit angesiedelt, auf einer
„höheren Ebene“ also, wie es sich auch in den monumentalen Kirchen und
später in den gotischen Kathedralen widerspiegelt. Diese europäische
Dimension sieht Abt Tihon durchaus. „Alles, was es in Europa Gutes gab,
manifestiert sich in Studenica“, sagt er und verweist auf die romanische
Architektur.
Wie passt das abgeschiedene klösterliche Leben mit der Öffnung zum
Tourismus im Rahmen der „Transromanica“ zusammen? Der Abt verweist auf das
zum Kloster gehörende Gästehaus, das um ein Restaurant erweitert werden
soll. Besucher seien frei, an den Gottesdiensten teilzunehmen, die im
Stehen abgehalten werden und bis zu dreieinhalb Stunden dauern können. Eine
Integration in das klösterliche Leben mit Übernachtung in den Zellen ist
aber nicht vorgesehen. Abt Tihon sieht auch Schattenseiten der neuen
Entwicklung: „In einem Kloster, das viel weltliche Programme macht, gibt es
bald keine Mönche mehr“, gibt er zu bedenken. „Wir betreiben keinen
Ausschluss, aber wir sind Menschen, die als Mönche den Stress der Welt
hinter uns gelassen haben. Das Mönchsein ist uns wichtig, aber Mönche haben
auch Einfluss auf die Welt, zum Beispiel, wenn sie anderen Menschen
helfen.“
Westserbien ist eine arme, vernachlässigte Region. Die kleinen Dörfer mit
ihrer Blumenpracht in den Vorgärten, dem Gemüse und Obst für den
Eigenverbrauch liegen gegen Abend wie ausgestorben da. Nur in etwas
größeren Ortschaft sitzen Männer im Café, während Frauen Einkaufstüten na…
Hause schleppen. Viele Familien haben hier Angehörige in den jüngsten
Kriegen verloren, als die Männer in der serbischen Armee oder einer der
Milizen für ein Großserbien kämpften. Alkoholismus ist weit verbreitet.
Gelegentlich sieht man Anti-EU-Aufkleber. Eine touristische Erschließung
der Region würde Arbeitsplätze schaffen und neue Perspektiven bringen.
Allerdings muss dafür noch viel getan werden. Das Verkehrsnetz ist schlecht
ausgebaut, und abgesehen von Kurorten oder größeren Städten sind
Restaurants und Übernachtungsmöglichkeit dünn gesät. Diese Probleme kennt
Gordona Plamenac zur Genüge. Sie ist seit gut einem Jahr Geschäftsführerin
der Nationalen Tourismusorganisation Serbiens (NTOS). Für Plamenac, deren
verstorbener Mann Deutscher war, steht und fällt ihre Arbeit mit der
Perspektive einer Mitgliedschaft Serbiens in der EU.
In einem Belgrader Restaurant zählt die engagierte Touristikerin die
Vorteile auf: Das Image Serbiens würde sich verbessern, europäische
Standards im Rechtssystem, der Verwaltung, im Schulsystem eingeführt, die
Infrastruktur ausgebaut ... Sie kann sich gar nicht mehr bremsen, auch wenn
sie die Probleme sieht, wie die geforderte Auslieferung mutmaßlicher
Kriegsverbrecher an das Tribunal in Den Haag oder die Kontroverse um das
Kosovo. Aber: „Ich lebe für den Moment, wo alle diese Dinge gelöst sind“,
sagt sie und fügt hinzu: „Natürlich können wir auch alleine leben, aber das
ist nicht die Philosophie der Menschen. Irgendwann werden wir alle Mitglied
der EU sein, sogar das Kosovo.“
Neben dem Problem der EU-Mitgliedschaft kennt die engagierte
Tourismus-Managerin auch die zweite große Herausforderung für ihre Arbeit:
Mit der langen kroatischen Adria-Küste kann das Land nicht konkurrieren.
Ihr Job ist es, für Serbien ein eigenes touristisches Profil zu entwickeln,
und da kommt ihr das Transromanica-Projekt, an dem sich Serbien seit 2007
beteiligt, gerade recht. Donaukreuzfahrten mit Ausflügen ins Land, die
Vermarktung der Kurorte, Wandern, Radfahren entlang des inzwischen bis zum
Mündungsdelta ausgebauten Donauweges - das sind ihre Projekte.
„Nischentourismus“ nennt sie das. Plamenac referiert die Erfolge: Über zwei
Millionen Touristen im vergangenen Jahr, davon 700.000 Ausländer, das
bedeutet eine Steigerung von 30 Prozent im Vergleich zu 2006. Vor allem
Franzosen und Russen kämen, aber auch etwa 30.000 bis 40.000 Deutsche. Nun
soll der Kulturtourismus verstärkt beworben werden.
Und die Klöster in Westserbien? „Die Mönche halten eine gewisse Distanz zu
den Besuchern, sie wollen in ihrer Lebensart nicht gestört werden“, sagt
sie im Hinblick auf die Erfahrungen der Journalistengruppe. Doch wenn es
nach Gordona Plamenac geht, werden sich die Mönche von Studenica und in den
anderen Klöstern umstellen müssen.
Diese Reise wurde ermöglicht von der Nationalen Touristenorganisation
Serbien (NTOS).
10 Sep 2008
## AUTOREN
Beate Seel
## TAGS
Reiseland Serbien
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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