# taz.de -- Podiumsdiskussion zur AKW-Frage: Atomkraft - Nicht schon wieder | |
> Die AKW-Frage stellt sich angesichts des Klimawandels neu: | |
> Podiumsdiskussion über den Umschwung in der Bevölkerung, die Heuchelei | |
> und die Kohle. | |
Bild: Rebecca Harms warf der Bundesregierung in Klimafragen Heuchelei vor. | |
Anfangs scherzen die Teilnehmer der Podiumsdiskussion "Atomkraft - Nicht | |
schon wieder" noch miteinander. Joachim Pfeiffer, Koordinator in | |
Energiefragen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der Geschäftsführer der | |
Deutschen Umwelthilfe (DUH) Rainer Baake brechen in Gelächter aus. Neben | |
Pfeiffer und Baake mit dabei: Rebecca Harms, Anti-Atom-Aktivistin und | |
Abgeordnete der Grünen im Europaparlament sowie Boris Palmer, bundesweit | |
bekannter grüner Oberbürgermeister von Tübingen. Dann wird es allerdings | |
schnell kontrovers, weil Pfeiffers Thesen bei den Mitdiskutanten heftige | |
Reaktionen auslösen. So warf Rebecca Harms der Bundesregierung in | |
Klimafragen Heuchelei vor, weil sie auf EU-Ebene viele Vorschläge | |
blockiere. | |
Atomausstieg und Kohleausstieg - geht das überhaupt und noch dazu | |
gleichzeitig? Nein, meint Joachim Pfeiffer. Trotz verbesserter | |
Energieeffizienz und massivem Ausbau erneuerbarer Energien bräuchten wir | |
andere klimaneutrale Stromquellen. "Und das ist nun einmal in Deutschland | |
Kernkraft", so Pfeiffer. Dann folgt die entscheidende Zahl: "Ich bin der | |
Meinung, wir sollten die deutschen Kernkraftwerke weiter betreiben. Was | |
international übliche Laufzeiten sind, also 60 Jahre. Wir haben im Moment | |
gerade mal 32 Jahre vorgesehen. Dann können wir im Jahr 2020 60 bis 70 | |
Prozent der Stromproduktion in Deutschland kohlendioxidfrei machen, nämlich | |
aus 30 Prozent Kernenergie und 30 bis 35 Prozent erneuerbaren Energien." | |
Die Gegenargumente kommen Schlag auf Schlag: ungelöste Endlagerfrage, kein | |
Schutz vor terroristischen Angriffen, Unzuverlässigkeit - immerhin sei im | |
vergangenen Jahr teilweise ein Viertel der deutschen AKW-Kapazität vom Netz | |
gewesen. Das Publikum freut sich. Nur Pfeiffer winkt ab: | |
"Nebenschauplätze", und handelt sich aufgebrachte Zwischenrufe ein. | |
Dennoch: Pfeiffer ist nicht alleine. Im Juli sprach sich erstmals seit | |
Jahren eine Mehrheit von 54 Prozent der Bevölkerung für eine Verlängerung | |
der AKW-Laufzeiten über das Jahr 2021 hinaus aus. Wenn die Gewinne der | |
Stromkonzerne, wie es die Union derzeit vorschlägt, in die Forschung zu | |
erneuerbaren Energien sowie an den Verbraucher zurückfließen würden, fänden | |
sogar mehr als zwei Drittel eine Laufzeitverlängerung gut. | |
Den von der Union vorgeschlagenen Deal - längere Laufzeiten gegen Geld für | |
die Verbraucher und für die Erneuerbaren - findet Rainer Baake | |
"gefährlich". Denn: "Hier wird getan, als gäbe es eine neue Allianz von | |
Kernenergie und Erneuerbaren." Wenn nun die Förderung von erneuerbaren | |
Energien von den Laufzeiten der AKW abhängig gemacht würden, wäre das | |
tatsächlich eine Renaissance der Atomtechnologie. Die Verknüpfung Kernkraft | |
und Erneuerbare sei ganz anders, so Baake: Die heutigen Grundlastkraftwerke | |
seien zunehmend Wind- und Solarkraftwerke - wenn denn nun, wie von der | |
Bundesregierung beschlossen, ihr Anteil bis zum Jahr 2020 auf 30 Prozent | |
steigen soll. "AKW und große Kohlekraftwerke sind dazu eine direkte | |
Konkurrenz, weil sie ja auch in der Grundlast laufen." | |
Das betrifft Tübingens Bürgermeister Palmer konkret. Seine Stadtwerke haben | |
sich gerade am neuen Kohlegroßkraftwerk Brunsbüttel beteiligt. Lieber hätte | |
er weiter in kleinere Kraft-Wärme-Anlagen (KWK) in Tübingen investiert, die | |
sehr effektiv gleichzeitig Strom produzieren und Heizwärme liefern. Doch | |
hier stimme die Rahmengesetzgebung des Bundes nicht, obwohl die | |
Bundesregierung den Anteil der KWK-Anlagen verdoppeln wolle. | |
"Kraftwärmekopplung rentiert sich derzeit nicht", so Palmer. Er fordert | |
deshalb eine Quote von 20 oder 25 Prozent bis zum Jahr 2020. "Wir haben in | |
Tübingen schon jetzt über 30 Prozent Anteil an Blockheizkraftwerken und | |
bauen noch zu. Die Stadtwerke könnten die Prozente über der Quote | |
verkaufen. "Damit würde es uns sehr viel leichter gemacht, auf eine | |
Beteiligung wie in Brunsbüttel zu verzichten", stellt Palmer fest. Rebecca | |
Harms bringt es auf den Punkt: "Man kann beide Ausstiege erreichen, aus | |
Atom und aus Kohle. Es heißt ja nicht, dass der Kohleausstieg sofort sein | |
muss." | |
14 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
taz-Genossenschaftsversammlung: Eine Frage der Haltung | |
Die taz-Genossenschaftsversammlung war auch in diesem Jahr ein Forum | |
intensiver Diskussion. Und eine Plattform mit hoffnungsvoller Aussicht: Auf | |
die Zukunft der taz. |