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# taz.de -- Hamburger Filmfest: "Wir sind das Fußvolk"
> Die Filmemacherin Susan Gluth hat eine Doku über die Working Poor
> gedreht. Ihre Protagonistinnen fand sie direkt vor der Haustür - in der
> elterlichen Wäscherei im Hamburger Elbvorort Groß-Flottbek.
Bild: Gerti macht Pause
Die Wäscherei Utecht liegt versteckt in einer Seitenstraße, in der keine
Villen stehen wie in den Straßen außenrum. Dafür ist die Einfahrt zum
Hintereingang direkt von der Hauptstraße erreichbar: Hier wird die Wäsche
angeliefert, in großen Säcken, die dann vielleicht bei Monika landen, wenn
die gerade da ist. "Ich helf aus, wenn Not am Mann ist", sagt Monika, die
ihre langen, fast weißen Haare mädchenhaft trägt, manchmal hat sie eine
Spange drin. Der Film soll schön geworden sein, das hat sie gehört, "auch
mit dem Hund".
Monikas Hund heißt Bonnie und sitzt unter der Trommel, in der Monika die
Wäsche sortiert. Bonnie ist sehr klein, genau wie Monika, und sehr alt.
Gleich in der ersten Szene des Films tritt Bonnie auf, zuerst hört man nur
Monikas Stimme, die den Hund ruft, dann treten beide heraus aus dem
Schatten der S-Bahn-Station Veddel, sie sind auf dem Weg zur Arbeit. Es ist
ein langer Weg, erst Bus, dann S-Bahn. Monika wohnt in Wilhelmsburg und
nicht im feinen Groß-Flottbek, wo die Wäscherei ihre Kunden hat. Daher die
lange Fahrt, die auch eine Fahrt vom armen ins reiche Hamburg ist.
Mit "Wasser und Seife" hat die Filmemacherin Susan Gluth eine Doku über die
Working Poor gedreht. 150 Euro bleiben Monika, wenn sie die laufenden
Kosten abzieht. 150 Euro im Monat. Im Film rechnet sie die Centbeträge vor,
die sie sich leistet, weil sie Kartoffeln kauft, die keine Erde mehr dran
haben, daraus kocht sie dann Eintopf, in ihrer engen Wohnung in
Wilhelmsburg. "Fleisch eher nicht", sagt sie, ohne Begründung. Fleisch
bekommt ihr Hund Bonnie, wenn er Geburtstag hat, Schweinebraten.
Mit Bonnie spricht Monika viel, auch im Film, ganze Reden richtet sie an
den kleinen Terrier. Früher hatte Monika Kinder, vier. "Dann bin ich
abgehauen", sagt sie ungefähr in der Mitte des Films. Sie floh, "weil er
gesoffen hat" - "er" ist der Vater. "Mein Fehler war, dass ich die Kinder
nicht mitgenommen habe", sagt sie, und das ist vielleicht die Stelle des
Film, an der sie am meisten von sich preisgibt.
Es ist nicht so, dass Monika oder die beiden anderen Arbeiterinnen in der
Wäscherei, die in dem Film die Hauptrollen spielen, jammern würden. Nein,
sie träumen vom Geld, sie füllen Lottoscheine aus, aber dass dies Träume
bleiben, gehört zu ihrem Leben. Es ist ein Leben zwischen der Wäscherei, in
der Maschinen zischen, und den kleinen Fluchten, in denen sie sich
eingerichtet haben. Monika führt ihren Hund aus, sie gönnt sich einen
Becher Kaffee an der S-Bahn-Station. In ihren Blumenkästen wachsen
plötzlich Sonnenblumen, aus den Körnern des Vogelfutters, und als sie das
sieht, leuchtet Monikas Gesicht.
An der Wand ihres Apartments hängen Teller, einer aus jeder Stadt, in der
sie war. "Das sind so Busfahrten, morgens hin, abends zurück, mehr kann man
sich ja nicht leisten."
"Wasser und Seife" ist nicht der erste Film von Susan Gluth. Ihr letzter
davor war "Shadows of Fate", eine Doku über zwei Flüchtlingsmädchen aus
Darfur, ebenfalls nicht gerade ein heiteres Thema. "Ich zeige, was ist",
sagt Gluth, auch in ihrem neuesten Film wolle sie nicht werten, sondern
einfach hinsehen. Und Gluth sieht hin, in langsamen Einstellungen zoomt sie
sich an ihre Protagonistinnen heran, lässt ihnen Zeit, ihre Geschichte zu
erzählen. Sie hört ihnen auch zu, wenn sie versuchen, sich ihre Lage schön
zu reden - doch alle kommen sie früher oder später an den Punkt, an dem sie
darüber sprechen, warum ihr Leben ist, wie es ist. "Wir sind das Fußvolk",
sagt der Mann von Tanja-Alexandra, deren Mutter 40 Jahre in der Wäscherei
gearbeitet hat. Bei Tanja-Alexandra selbst sind es nun auch schon 27. Sie
will bleiben, "wenn die Gesundheit mitmacht und der Betrieb Bestand hat",
sagt sie, während der Film sie im Bus sitzend zeigt, wie sie von
Groß-Flottbek ins benachbarte Osdorf fährt, wo sie hingezogen ist, weil
ihre Eltern da wohnten und ihre Schwester auch. Der Mann von
Tanja-Alexandra ist Konditor und verdient mehr als sie, aber "ich würde
auch für weniger Geld arbeiten", sagt er.
Tanja-Alexandra hat eine Frisur wie Tina Turner, sie schminkt sich die
Augen schwarz und verwendet viel Zeit auf ihre Fingernägel, die in der
Wäscherei kaputt gehen. Die Hoffnungen ruhen auf der Tochter der Schwester,
die das einzige Kind in der Familie ist. Im Film sieht man, wie sie in die
Wäscherei kommt, weil sie wieder durch die Führerscheinprüfung gefallen
ist. Ihr Traum, erzählt sie, sei eine Lehrstelle bei Lidl, "da kann ich
nach Griechenland gehen".
Inzwischen, sagt Susan Gluth, arbeite das Mädchen bei Lidl als Kassiererin,
ohne Lehrstelle. Gluth kennt ihre Protagonistinnen seit langem. Die
Wäscherei, in der sie arbeiten, gehört ihren Eltern, sie selbst half dort
in den Ferien aus. Dem Film merkt man das nicht an, ihr Stiefvater, der
alte Chef, taucht nur gelegentlich auf und wirkt eher verzweifelt in dem
Chaos zwischen Kunden und streikenden Maschinen, aus denen das Wasser
tropft. Er würde gerne mehr bezahlen, sagt er, aber die Preise seien nun
mal, wie sie sind.
Schuld an der Misere ist keiner, nicht die Arbeiterinnen, nicht der Chef.
Als ungelernte Kraft kann man nicht viel vom Leben erwarten, das zeigt der
Film, der auch im ZDF laufen soll, in der Reihe "Das kleine Fernsehspiel".
Am Ende sieht man Monika, wie sie mit Bonnie durch den Alten Elbtunnel
geht, eine kleine Frau mit einem kleinen Hund. Ihr Leben, sagt Monika, sei
doch gar nicht so schlecht, sie habe schön ihre Ruhe.
Doch es ist eine andere Szene, die im Gedächtnis bleibt. Sie zeigt Monika
mit Bonnie, wie sie in ein Hundegeschäft gehen will, aber dort kommt ein
großer Hund heraus, viel größer als Bonnie. Monika nimmt Bonnie auf den
Arm, weicht einen Schritt zurück. Und wartet.
25 Sep 2008
## AUTOREN
Daniel Wiese
## TAGS
Sklaverei
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