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# taz.de -- Debatte Gesundheitsfonds: Zweiklassenmedizin bleibt
> Der neue Gesundheitsfonds ist unsolidarisch. Er schont die Arbeitgeber
> und belastet die Arbeitnehmer. Die Kassen werden um die Gesunden und
> Wohlhabenden konkurrieren.
Bild: Das weibliche Herz wird notdürftiger versorgt – das zeigen Daten zu He…
In der Theorie klingt der Gesundheitsfonds gar nicht so schlecht: Ab Januar
2009 soll für alle gesetzlich Versicherten ein einheitlicher prozentualer
Beitragssatz gelten, und den gesetzlichen Krankenkassen wird eine Pauschale
aus diesem Fonds ausbezahlt. Es soll also nicht mehr vorkommen, dass die
Kassenbeiträge je nach Region und sozialer Schichtung der Mitglieder
schwanken. Für mehr Gerechtigkeit zwischen den Kassen soll dabei ein
sogenannter morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich sorgen, der
auch das Krankheitsrisiko der Mitglieder in den einzelnen Kassen
berücksichtigt.
Ein Gesundheitsfonds als solcher wäre also nicht das Problem. Doch die
konkreten Pläne der großen Koalition enthalten eine Vielzahl an
unsolidarischen Regelungen, die durch diesen Fonds erst ermöglicht werden
und die unser bisheriges Versicherungssystem weiter untergraben.
Das beginnt damit, dass die grundsätzlich richtige Idee eines einheitlichen
Beitragssatzes sofort wieder konterkariert wird: Wenn die Kassen mit der
Pro-Kopf-Prämie nicht auskommen, die ihnen einheitlich aus dem Fonds
zugewiesen wird, dann dürfen sie zusätzliche Beiträge erheben. Diese
Zusatzkosten werden verstärkt jene Versicherten treffen, die sogenannten
Versorgerkassen angehören, in denen sich die eher ärmeren Schichten
sammeln. Diese Zusatzkosten werden allein vom Arbeitnehmer getragen.
Gleichzeitig wird mit diesen Zusatzgebühren, die maximal 1 Prozent des
Bruttogehalts ausmachen dürfen, der Arbeitnehmeranteil weiter erhöht - und
die Arbeitgeber werden relativ entlastet.
Auch die Wohlhabenderen, die im Durchschnitt gesünder sind, profitieren:
Die Versicherungen können künftig verstärkt Beiträge an jene
zurückerstatten, die keine Leistungen in Anspruch nehmen.
Zudem wird der Gesundheitsfonds eingeführt, ohne zu gewährleisten, dass den
Kassen überhaupt ausreichend Mittel zur Verfügung stehen. Am Dienstag will
die Regierung entscheiden, wie hoch der einheitliche Beitragssatz sein
soll. Doch schon vorab war aus Regierungskreisen zu hören, dass er
"möglichst niedrig" angesetzt wird. Das Wahljahr soll nicht durch deutliche
Beitragssteigerungen belastet werden. Dabei haben die Ersatzkassen
errechnet, dass mindestens 15,8 Prozent nötig wären. Momentan liegt der
Beitragssatz noch bei durchschnittlich 14,9 Prozent.
Ab 2010 ist in jedem Fall absehbar, dass der Gesundheitsfonds in die Miesen
gerät, denn die geplante Reform sieht vor, dass der Beitragssatz erst
angepasst wird, wenn die Krankenkassen via Gesundheitsfonds nur noch 95
Prozent der benötigten Mittel einnehmen. Die zu erwartenden
Preissteigerungen werden also nicht sofort aufgefangen.
Eine solide Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen hätte nur Aussicht
auf Erfolg gehabt, wenn auch die privaten Krankenversicherungen einbezogen
worden wären. Zudem hätte die jetzige Beitragsbemessungsgrenze von 3.600
Euro abgeschafft werden müssen. Lohnunabhängige Einnahmen wie Mieten oder
Zinsen werden auch weiterhin bei der Beitragsfestsetzung nicht
berücksichtigt. So aber bleibt es bei der Zweiklassenmedizin - die
Solidarität mit den Armen und Kranken wird allein den kleinen und mittleren
Einkommen zugemutet.
Hinzu kommt, dass der Gesundheitsfonds aber auch gar nichts dazu beiträgt,
die eigentlichen Probleme des Gesundheitswesens anzugehen. So werden die
Mittel bisher nicht effizient eingesetzt; der Sachverständigenrat hat
wiederholt eine massive Über-, Unter- und Fehlversorgung kritisiert, die zu
unnötigen oder vermeidbaren Kosten führt. Doch der Fonds spart keinen Cent,
er verteilt nur um. Pessimisten erwarten sogar eine Verteuerung für die
Versicherten.
Der krankheits- oder morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich, der
die unterschiedliche Häufung von Kranken bei den einzelnen Kassen
kompensieren soll, ist zunächst zu begrüßen. Für diesen Ausgleich aber sind
schematisch 80 häufige Erkrankungen definiert worden. Doch ist diese Zahl
von 80 Krankheiten mitnichten medizinisch oder epidemiologisch begründet,
sondern ist das Resultat eines Deals zwischen zwei Parteien: Ich sage 100,
du sagst 60, heraus kommen 80.
Wünschenswert wäre, dass in den Risikostrukturausgleich auch soziale
Kriterien eingingen. Die Kompetenz, mit einer Krankheit - zumal einer
schweren oder chronischen - umzugehen, hat auch einen sozialen Hintergrund,
wie unsere tägliche Erfahrung zeigt: Bei der Betreuung und Behandlung etwa
eines Zuckerkranken macht es bei den Kosten einen Riesenunterschied, ob es
sich bei dem Patienten um einen wohlsituierten Angestellten oder um einen
Patienten mit Migrationshintergrund handelt. Diese sozialen Differenzen
wird der Morbi-RSA jedoch nicht abbilden. Warum nicht gleich eine höhere
Pauschale für Kassen mit einkommensschwachen Mitgliedern?
Der Fonds soll und wird aber auch dazu führen, dass der Wettbewerb zwischen
den Krankenkassen um die sogenannten guten Risiken verschärft wird: Dieser
erfolgt künftig nicht mehr über den Beitragssatz, sondern über
Beitragsrückerstattungen und Wahltarife, die weitgehend nur von Jungen und
Gesunden genutzt werden. Die Kassen rechnen schon heute, wie man gute
Risiken gewinnen kann: So bringt der zuckerkranke Mittelschichtler der
Kasse einen Zusatzausgleich aus dem Fonds, kostet aber nicht viel, da er
seine Erkrankung weitgehend selbst im Griff hat. Ein zuckerkranker armer
Migrant wird hingegen viel kosten und ist deshalb als "schlechtes Risiko"
unerwünscht. Der gesunde Kranke ist der Versicherte der Zukunft. Dieser
Wettbewerb um "günstige Risiken" bedeutet eine weitere Zerstörung des
Solidarprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Deshalb lehnt der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte den
Gesundheitsfonds in der jetzigen Form ab. Uns geht es um die - auch
finanzielle - Sicherung einer ausreichenden medizinischen Versorgung für
alle. Diese kann und muss in einer reichen Ökonomie wie der deutschen
finanzierbar sein. Heute von notwendiger Rationierung medizinischer
Leistungen zu sprechen, wie dies der Präsident der Bundesärztekammer tut,
bedeutet eine Bankrotterklärung von Gesundheitspolitik und Ärzteschaft. Wir
meinen, dass Gesundheit und Krankheit keine Waren und Wettbewerb und
Marktwirtschaft keine Heilmittel für die Probleme des Gesundheitswesens
sind. Stattdessen werden sie die solidarischen Regelungen weiter aushöhlen
und das Gesundheitswesen zu einer Gesundheitswirtschaft oder Industrie
werden lassen. Ein Blick in die USA genügt, um zu sehen, wohin dieser Weg
führt: Die Amerikaner haben das teuerste Gesundheitssystem der Welt, aber
keineswegs die höchste Lebenserwartung, schon gar nicht die beste
Versorgung für alle Mitglieder der Gesellschaft.
WULF DIETRICH
6 Oct 2008
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Wulf Dietrich
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Gender
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