# taz.de -- Druck auf Presse und Zivilgesellschaft: Satanische Gelder in Nicara… | |
> Mit absurden Vorwürfen geht der von Präsident Daniel Ortega kontrollierte | |
> Justizapparat gegen unliebsame Kritiker und unabhängige NGOs vor. | |
Bild: Dichter Ernesto Cardenal und andere Intellektuelle protestierten nach der… | |
In Nicaragua werden die Freiräume für kritische Presse und | |
Zivilgesellschaft immer enger. Derzeit sehen sich die unabhängige | |
Frauenbewegung Movimiento Autónomo de Mujeres (MAM), das Forschungsinstitut | |
CINCO und andere NROs, die auch mit europäischen Geldern gefördert werden, | |
mit Rufmordkampagnen und gerichtlichen Schikanen verfolgt. Carlos Fernando | |
Chamorro, Chef des CINCO, ortet die Verantwortlichen "in höchsten | |
Regierungskreisen" und meint damit Präsident Daniel Ortega und dessen | |
mächtige Frau Rosario Murillo. | |
Der Sitz des CINCO in Managua, wo noch fünf weitere Organisationen ihre | |
Büros haben, wurde am 10. Oktober von der Polizei aufgebrochen. Beamte der | |
Staatsanwaltschaft schleppten Computer und mehrere Kartons mit Dokumenten | |
davon. Der Zugang zum Gebäude wurde mit einem Plastikband mit dem Aufdruck | |
"Tatort" abgesperrt. Was man in den Buchhaltungsunterlagen entdecken will, | |
ist nebulös. "Irreguläre und ungewöhnliche Operationen" heißt es im | |
Durchsuchungsbefehl. | |
Die von der Regierungsspitze kontrollierten Medien trommelten schon seit | |
Wochen wegen angeblicher Geldwäsche "im Dienste des Imperialismus". | |
Juristisch konnte dieser Vorwurf aber nicht untermauert werden, denn der | |
Ursprung und Bestimmung der Gelder, um die es geht, sind völlig | |
transparent. CINCO hat sich vertraglich verpflichtet, Gelder an die MAM, | |
die als Bewegung keine Rechtspersönlichkeit besitzt, weiterzuleiten. Es | |
geht um einen 2006, noch vor der Wahl Daniel Ortegas, eingerichteten | |
Unterstützungsfonds für die Zivilgesellschaft (Fondo Común de Apoyo a la | |
Sociedad Civil para la Gobernabilidad Democrática). | |
Der Fonds wird von einem Konsortium aus acht europäischen Regierungen und | |
regierungsnahen Hilfswerken gespeist und soll unter anderem der | |
öffentlichen Kontrolle staatlicher Gebarung und der Verhinderung von | |
Korruption dienen. MAM bekommt ein Projekt gefördert, das die Rolle der | |
Frau in der Öffentlichkeit stärken soll. Die Frauenorganisationen stehen | |
schon längere Zeit unter Beschuss weil sie sich für die Aufhebung des vor | |
zwei Jahren vom Parlament beschlossenen totalen Abtreibungsverbots | |
einsetzen. Zahlreiche Frauen, die nach heimlichen Abtreibungen oder auch | |
nur Komplikationen vor der Geburt eingeliefert wurden, sind verblutet, weil | |
die mit hohen Strafen bedrohten Mediziner sie nicht behandeln wollten. | |
Alle, die sich zumindest für die Wiederherstellung der vorigen Rechtslage | |
mit medizinischer Indikation einsetzen, werden von First Lady Rosario | |
Murillo und ihren Handlangern als Kindsmörder beschimpft. In Zusammenhang | |
mit der Finanzierung des Demokratieprojekts der Frauenbewegung trommelten | |
die von Murillo kontrollierten Medien gegen die "satanischen Gelder". | |
Carlos Fernando Chamorro, Sohn des einst von Diktator Anastasio Somoza | |
ermordeten Verlegers Pedro Joaquin Chamorro und der späteren Präsidentin | |
Violeta Barrios de Chamorro, fiel schon vor rund 15 Jahren bei Ortega in | |
Ungnade, als er aus der Parteizeitung Barricada ein pluralistisches Medium | |
machen wollte. In seinem wöchentlichen TV-Magazin prangert er jetzt immer | |
wieder Korruption und Machtmissbrauch an: unter den Rechtsregierungen | |
genauso wie unter dem seit bald zwei Jahren regierenden ehemaligen | |
Revolutionskommandanten Ortega. | |
Ein letztes Jahr aufgedeckter Korruptionsskandal, dessen Spuren ins | |
sandinistische Parteisekretariat und den Präsidentenpalast führten, endete | |
damit, dass der Hauptzeuge wegen Verleumdung verurteilt wurde. Untersucht | |
wurde nichts. Chamorro wurde Ziel einer Rufmordkampagne. Zivilgesellschaft, | |
das sind für die Regierung die zentral gesteuerten und von sandinistischen | |
Funktionären angeführten Komitees der Bürgerbeteiligung (CPC), die in allen | |
Gemeinden geschaffen wurden. Unabhängige Bewegungen und kritische | |
Organisationen werden pauschal als Handlanger finsterer Interessen | |
gebrandmarkt. | |
"Schlimmer als unter Somoza" titelte eine Zeitung nach der Razzia am Sitz | |
der Organisationen. In einem Manifest protestierten die bekanntesten | |
Künstler und Intellektuellen gegen die staatliche Willkür, darunter der | |
Dichter Ernesto Cardenal, der Schriftsteller und ehemalige Vizepräsident | |
Sergio Ramírez und die Autorin Gioconda Belli. | |
17 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
## TAGS | |
Literatur | |
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