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# taz.de -- Flüchtling in Deutschland: Böser Zauber der Bürokraten
> Eine Geschichte wie ein Film-Plot: Ein Flüchtling aus Benin liebt eine
> deutsche Transsexuelle. Doch bisher gibt es kein Happy-End. Denn die
> Ausländerbehörde spielt mit.
Bild: Manchmal lässt das Recht von Ausländern ganz schön lange auf sich wart…
Es ist das, was man nicht ergründen kann, heißt es über den Voodoo in
Benin. Das Land am Golf von Guinea gilt als Wiege der Religion, die
hierzulande mit Püppchen assoziiert wird, in die man Nadeln steckt, um
jemanden zu verhexen. Nico Pehounde ist mit Voodoo aufgewachsen und vor der
Religion geflohen. Er wurde ausgewählt, das Priesteramt zu bekleiden, doch
"die Kraft, die wirksam ist", wollte der Mathematikstudent lieber in der
abstrakten Welt der Geometrie, der quadratischen Funktionen und
Differentialgleichungen ergründen als in der beseelten Natur.
Nun sitzt Nico Pehounde in einem Kreuzberger Café zusammen mit seiner
Lebensgefährtin Daniela, und beide sinnen darauf, ein Mittel zu finden, um
das unergründliche Wirken der deutschen Bürokratie zu verstehen.
In der Hoffnung, Schutz zu finden vor seiner Großfamilie und den
Dorfbewohnern, die nicht dulden können, dass ein Auserwählter sich dem Kult
entzieht, ist Pehounde im Jahr 2003 nach Europa und Deutschland gekommen.
"Man kann nicht nein sagen", erklärt der Dreißigjährige mit den
Schmucknarben des Voodoo auf den Wangen und wechselt vom Deutschen ins
Französische, um sich besser zu erklären: "Während der
Initiationszeremonien habe ich gemerkt: Das ist nichts für mich. Ich wollte
lieber weiter studieren. Aber es bringt Unglück über die Gläubigen, wenn du
dich weigerst. Um sich zu schützen, müssen sie dich umbringen."
Dem Richter im Asylverfahren versuchte er zu erklären, warum er aus Benin
fliehen musste. "Der hat nur gesagt: Warum sind Sie nicht zur Polizei
gegangen?" Was weiß ein solcher Richter über ein Land, in dem das
Gesetzbuch Strafen vorsieht "für jedwede Person, die sich an Handlungen
beteiligt, die den Ablauf der Regenzeit verändern"? Der Asylantrag wurde
abgelehnt. Seitdem hat er den prekären Status "geduldet".
Seit fünf Jahren lebt Nico Pehounde nun in der ostdeutschen Provinz im
Kreis Jerichower Land in Sachsen-Anhalt. Den Landkreis durfte er in all den
Jahren nur mit der schriftlichen Genehmigung der Ausländerbehörde
verlassen. "Verlassensgestattung" heißt das Papier, das Asylbewerber und
Geduldete brauchen, um sich außerhalb des Wirkungsbereiches der zuständigen
Ausländerbehörde aufhalten zu dürfen. Diese gesetzliche Regelung wird
beschönigend "Residenzpflicht" genannt. In Wahrheit handelt es sich nicht
um eine Wohnsitzauflage, sondern um eine dauerhafte Einschränkung der
Bewegungsfreiheit. Ein Leben in den engen Grenzen eines Landkreises also.
Welcher Einheimische würde die Grenze seines Landkreises benennen können?
"Als Asylbewerber hast du sie schneller im Kopf, als du Deutsch lernst",
sagt Nico Pehounde. Ob jemand gegen die Auflage verstößt, wird von der
Polizei mit Vorliebe auf Bahnhöfen und in Zügen kontrolliert, und zwar
gezielt bei Menschen, die aussehen wie er: dunkel. Wird man beim ersten Mal
ohne Verlassengenehmigung außerhalb des zugewiesenen Landkreises erwischt,
gilt das noch als Ordnungswidrigkeit. Danach wird das Reisen jedoch zu
einer Straftat. Die Kräfte, die hier wirken, sind repressiv und
willkürlich: Wer den zuständigen Landkreis verlassen darf, das liegt im
Ermessen der Ausländerbehörde.
"Als ich hierherkam, dachte ich: Europa, das heißt Demokratie und
Rechtsstaat. Dass ich gezwungen bin, in einem Heim zu wohnen, weit weg von
Menschen, die ich treffen möchte, es mir verboten ist, zu arbeiten und mich
frei zu bewegen, das habe ich nicht für möglich gehalten", erklärt Nico
Pehounde.
Er fährt trotzdem nach Berlin, trifft dort Landsleute, setzt sich anfangs
sehnsüchtig in Mathematikvorlesungen und lernt auf einer Silvesterparty
2006 Daniela kennen. Daniela ist transsexuell, biologisch männlichen
Geschlechts. Eine unerwartete Liebesgeschichte beginnt unter extremen
Schwierigkeiten: Nico verstößt gegen die Auflagen der Ausländerbehörde,
wenn er die rund 140 Kilometer zu Daniela nach Berlin fährt, und macht sich
damit strafbar. Und Daniela kann ihn nicht besuchen, weil Nico sein Zimmer
mit drei anderen Männern im Asylbewerberheim teilen muss.
"Meine Nerven liegen blank", sagt Daniela und zieht wütend an der
Zigarette. Vor eineinhalb Jahren haben sie und Nico eine eingetragene
Lebenspartnerschaft begründet, wie das Heiraten in ihrem Fall unromantisch
heißt. Wie die Ehe, so steht die eingetragene Partnerschaft unter
besonderem Schutz. "Wir gingen davon aus, dass wir nur zur Behörde gehen
müssen und einen Antrag auf permanenten Aufenthalt stellen. Wir dachten,
alles wäre eine Formsache und in wenigen Wochen erledigt."
Offensichtlich ist im Jerichower Land noch nicht angekommen, dass die
eingetragene Partnerschaft aufenthaltsrechtlich der Ehe gleichgestellt ist.
Seit nunmehr eineinhalb Jahren kämpfen sie um eine positive
"Verbescheidung" durch die Ausländerbehörde und um die Möglichkeit,
zusammenleben zu können. Bis jetzt vergeblich.
Die Erteilung des Aufenthaltstitels wird von der Behörde in Burg bei
Magdeburg beharrlich verweigert - mit wechselnden Begründungen. Selbst die
Fahrten nach Berlin muss Nico Pehounde nach der Gründung der
Lebensgemeinschaft mit Daniela weiterhin illegal unternehmen. Natürlich
wird er erneut "erwischt", und es kommt zum Prozess, der der
Ausländerbehörde ein willkommener Anlass ist, die Entscheidung über den
Aufenthaltstitel auszusetzen, bis das Strafverfahren abgeschlossen ist.
Der zuständige Richter, "er hatte ein Herz für uns beide", so Daniela,
stellte das Verfahren ein. Dann könne Pehounde die "Straftat" der
Residenzpflichtverletzung nicht mehr begehen, so seine Begründung, er könne
dann ja ganz legal mit seiner Frau zusammenleben. Aber das Treiben der
Ausländerbehörde ist eine Gleichung mit Unbekannten.
Jetzt hieß es plötzlich, man wisse ja nicht, ob noch andere Verfahren
anhängig seien. Auf Nico Pehoundes Bitte, ihn wenigsten von Burg aus nach
Berlin "umzuverteilen", solange dieses Verfahren laufe. Die Behörde
reagierte mit dem Vorschlag, seine Partnerin könne ja nach Burg kommen, und
bot dem Paar großzügig ein "Separee" zum gemeinsamen Übernachten im
Asylbewerberheim an.
Beide fanden das Ansinnen nicht nur entwürdigend, sondern angesichts der
feindlichen Einstellung gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensentwürfen
anderer Bewohner und im Gedanken an die aktive Neonaziszene, für die sie
gleich mehrfach das Feindbild abgeben, auch gefährlich. Sie lehnten ab.
"Als Transsexuelle wird man gehindert, normal zu heiraten, und als
Verpartnerte diskriminiert", sagt Daniela.
Nachdem die Staatsanwaltschaft Stendal im August 2008 bestätigte, dass
keine weiteren Verfahren gegen Nico Pehounde anhängig seien, vertrat die
Ausländerbehörde in Burg nunmehr die Auffassung, er solle ausreisen. Das
Paar könne dann ja eine Familienzusammenführung beantragen.Für seine
Anwältin, Rebecca Müller, ist es "unerklärlich", schreibt sie an die
Ausländerbehörde, "wie es zu Ihrer Auffassung, die zumal unberechtigt ist,
kommen konnte".
Also zurück auf Los: Ausreisen ins Herkunftsland, dort bei der deutschen
Botschaft ein Visum zur Familienzusammenführung beantragen? Nach Meinung
der Anwältin ist dies gesetzlich überflüssig. Die Ausländerbehörde in Burg
müsse berücksichtigen, dass der Antrag auf Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis gemäß Aufenthaltsverordnung auch im Inland gestellt
werden kann, ohne dass es eines vorherigen Visumverfahrens bedürfe. Eine
Entscheidung über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis liege vielmehr
zumindest im Ermessen der Behörde, auch im Hinblick auf die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.
Streitpunkt war zwischenzeitlich auch der Status der gleichgeschlechtlichen
Lebenspartnerschaft. So argumentierte die Ausländerbehörde, dass eine
gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft nicht den Schutz des Art. 6 GG
genieße, sodass die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt werden kann. "Es ist
unglaublich", so die Anwältin, "dass eine derartige Meinung noch bei den
deutschen Behörden vertreten wird." Für Nico Pehounde und seine Anwältin
ist der Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung
der Lebenspartnerschaft erworben.
In einem logischen Argument soll die Fertigkeit des Denkens zum Ausdruck
kommen, heißt es in der Mathematik. Das Denken der Ausländerbehörde
beschränkt sich auf das Ersinnen immer neuer Gründe, einen Aufenthaltstitel
zu verweigern.
"Der Ablehnungsbescheid Ihres Antrags auf Aufenthaltsgenehmigung liegt
schon bereit", teilt die zuständige Sachbereichsleiterin Nico Pehounde in
der Ausländerbehörde Burg mit. Das der Bescheid noch nicht verschickt
wurde, dafür ist das Innenministerium verantwortlich. Einen Tag nach einer
Solidaritätsveranstaltung von 60 Menschen am 25. September vor der
Ausländerbehörde in Burg wird aus der Landeshauptstadt nun Sachaufklärung
gefordert. "Jetzt ist mein Fall also letztlich auf der politischen Ebene
gelandet?", erkundigt sich Nico Pehounde. Aber die Politik sei vermutlich
noch unergründlicher, als es die Bürokratie ist, befürchtet er.
"Alles, was zählt", lautete das offizielle Motto im Jahr der Mathematik,
das sich dem Ende zuneigt. Deutsche Universitäten werben um ausländische
Studierende. Nico Pehounde könnte schon lange einer von ihnen sein. Der
Kult des Voodoo hat kleine Kerben auf den Wangen hinterlassen, die Algebra
der deutschen Bürokratie tiefe im Gemüt.
23 Oct 2008
## AUTOREN
Beate Selders
Jürgen Weber
## TAGS
Heiraten
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