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# taz.de -- Theater in Bremen: Bremer Lehrstück vom Missverständnis
> Durch den Abschied vom Posten des Bremer Hausregisseurs macht Christian
> Pade den Weg frei für eine wohlwollende Aufnahme seiner Inszenierung von
> Kleists Zerbrochnem Krug. Die Erwartung knalliges Sinnenfutter zu
> liefern, hat er auch dabei konsequent enttäuscht
Bild: Keine Buhs, keine Pfiffe: Christian Pade inszeniert am Theater Bremen Hei…
Ganz verraucht ist die Verriss-Lust noch nicht. Zum Beispiel hat der
Star-Kritiker der Lokalzeitung seine Besprechung der Zerbrochne
Krug-Premiere mit "Ho-ho-ho!"-Interjektionen garniert, mangels polemischer
Einfälle. Aber sonst bricht sich unverhofftes Wohlwollen Bahn. Schon der
Beifall war recht herzlich, auch noch als der Regisseur Christian Pade an
die Rampe getreten ist: keine Buhs, keine Pfiffe, als hätte man bemerkt,
dass der Mann ja doch kluges Schauspieler-Schauspiel auf die Bühne bringen
kann.
Er selbst hat dabei etwas verkniffen in die Ränge geschaut, als traute er
dem Braten nicht, aber das kann auch am Scheinwerferlicht liegen, man weiß
das nicht so recht. Immerhin gäbe es auch inhaltliche Gründe. Noch vor
einem Monat firmierte Pade als Mitglied der Leitung des Bremer Theaters -
sein Titel: Hausregisseur. Damit ist es jetzt vorbei.
Der Begriff Hausregisseur lässt vor allem an jemanden denken, der die
großen Repertoire-Brocken mit markanter persönlicher Handschrift auf die
Bühne bringt. Möglichst sinnlich. Und gerne auch knallig. Leute wie Luk
Perceval oder Falk Richter an der Berliner Schaubühne etwa, Volker Hesse in
Köln, oder, ein bisschen historisch, aber sehr prägend: Bert Brecht. Noch
historischer natürlich Goethe in Weimar, aber das ist ein schlechtes
Beispiel, weil er ja auch Intendant war - und die Uraufführung vom
Zerbrochenen Krug vergeigt hat.
In Bremen eingeführt hatte das Amt der eher opernaffine Generalintendant
Hans Joachim Frey zu Beginn seiner ersten Spielzeit inne. Und damit Pade
betraut. Kein Unbekannter: In Hamburg hat er an der Staatsoper Simone
Youngs Debüt inszeniert: "Matthis der Maler" von Paul Hindemith. Ein Spezi
Frank Schirmers ist er auch, noch aus dessen glorreichen Stuttgarter Zeit.
Und in Hannover hat er sogar Theatergeschichte geschrieben: Als erster hat
er einen Roman von Michel Houellebecq dramatisiert, "Ausweitung der
Kampfzone", im Jahr 2000 war das. Und seither inszeniert er nahezu in jeder
Saison für Intendant Wilfried Schulz. An Pade schätze er besonders dessen
"Fähigkeit aus spröden Stoffen intelligentes Theater zu machen", sagt der.
"Sein Einlassen auf das Spiel der Sprache", kurz: "das Denken auf der
Bühne" - mit dem er "auch im Hinblick auf die Besuchszahlen erfolgreich
ist".
Knallig klingt das nicht. Und auch Pades Selbstbeschreibung als
"Cunctator", also Zauderer, fügt sich nicht ins Raster: Beim Zaudern fällt
es schwer, Wucht zu entwickeln. Zaudern und Stücke, die jeder irgendwie im
Kopf hat - das passt nur ganz selten. Zum Beispiel Schillers Wilhelm Tell,
klassische Schullektüre, im Herbst 2007 Pades erste Bremer Regie. Ein
Fiasko.
Im Frühjahr 2008 dann die zweite Arbeit: Tankred Dorst, "Künstler", eine
Uraufführung - und ein Flop. Zwar hatten auswärtige Kritiker die "lapidare
Sachlichkeit" der "überlegten Regie" gelobt - aber bedauert, dass dem Stück
"Essenz und Dringlichkeit" fehlen. Lokal schiss man lieber auf den
kleineren Haufen: Statt von einem missglückten Spätwerk des Großdramatikers
sprach man lieber von der "Haltungslosigkeit" des Hausregisseurs - der
seine Rolle nicht spielen wollte.
Sicher: Kleists zerklüftete Sprachwelt, das liegt einem wie Pade eher als
Schillers sentenzenplattes Alpendrama. Aber unter der Voraussetzung, dass
der Hausregisseur mit ihr den dicken Maxe geben muss - wäre jede
Krug-Aufführung chancenlos gewesen. Entsprechend hat Pade die Premiere
seiner dritten Bremer Inszenierung nur noch formal als Hausregisseur
erlebt. Schon am 25. September hatte es in einer dürren Pressenotiz
geheißen, dass er auf den Posten "ab der Spielzeit 09/10 verzichten" werde
- während man künftige Gast-Engagements fest vereinbart hat. Marcel Klett,
bis dato Chefdramaturg, ist zum alleinigen Leiter des Schauspiels
aufgerückt. Das Amt des Hausregisseurs hat man schnell und still beseitigt.
Nicht der dümmste Weg, ein Missverständnis zu beenden - und kein schlechter
Schluss auch für eine Komödie der Sinnlosigkeit, die nicht im
sinnstiftenden Knall zur Ruhe kommt, sondern diesen in leicht beklommenem
Auströpfeln ironisiert, also "vernichtet", wie es pathetisch die
romantischen Philosophen von Fichte über Schlegel bis Solger nennen.
Das Wort Nihilismus ist erfunden worden, um deren spezifische
Ironie-Theorie zu charakterisieren. Und Kleist, soviel ist klar, war ihr
verfallen. Ohne dass er sich, als guter Preuße, in den Katholizismus hätte
flüchten können: Wannsee und Kopfschuss. Auch beim blamiert davonstürzenden
Dorfrichter Adam im Krug steht zu befürchten, dass er "übel rettend Ärger
mache". Dass Kleist als einzig möglichen Verhinderer der Selbsttötung
seines endlich beiseite geräumten Vorgesetzten ausgerechnet Schreiber Licht
benennt, lässt wenig Hoffnung. Pade hat diesen Horizont noch weiter
verengt: Den verkommenen Gerichtssaal hat Alexander Lintl als moderne
Adaption des barocken Kupferstichs "La Cruche Cassée" von Jean Le Veau
eingerichtet, Kleists Inspirations-quelle: Klamotten und Pizzakartons
vorne, eine Wand aus Metallschubladen hinten, ein Schreibtisch links und
keine Schwelle zwischen Wohn- und Amtsbereich.
Charmant dreitagebärtig haust darin Tobias Beyer als Dorfrichter Adam. Zum
Aufstehen klimpert er Gitarre und singt à la Johnny Cash "I hurt myself
today". Ein netter Gammler, dieser Schuft. Und viel sympathischer als der
Gerichtsrat, den Glenn Goltz als steifnackigen Pullunderträger gibt: ein
spröder Sachwalter des Gesetzes. Und vor allem als der luziferische
Schreiber Licht: Kalt lächelnd lässt Siegfried W. Maschek keine Zweifel
aufkommen, dass er die ganze Sache von Anfang an durchschaut. Dass er weiß:
Adam wars, der Evchen nachts besucht, sie mit einem Attest für ihren
Geliebten Ruprecht gefügig gemacht und auf der Flucht vor dem zornigen
Verlobten Mutter Marthes Krug zerlegt hat. Und dass er sich die Gunst der
Inspektion nicht nehmen lässt: Wenn Adam abserviert wird, übernimmt Licht
seinen Posten.
Also entzieht sich der entlarvte Adam schließlich über eine aus den
Registraturschubladen improvisierte Fluchttreppe dem Volkszorn, entleibt
sich, oben angekommen, ganz kleistisch mit der Pistole selbst - peng, Blitz
und Dunkel - um dann, im blauen Dämmer des Traums das eigentliche Ereignis
zu rekonstruieren, wie es in Kleists ursrpünglichem Schluss des Lustspiels
geschieht. Pade lässt ihn, eigenwillig, als Dialog von Evchen und Adam
sprechen. So tröpfelt, im Referat seines Anlasses, das Stück aus: Der ganze
Vorfall ist viel harmloser, als noch zu Beginn durch Franziska Schuberts
stummen Nacktauftritt suggeriert.
In der Kammer nämlich, so wird sie als Evchen schließlich schildern, habe
Adam sie "bei beiden Händen" gefasst - "und sieht zwei abgemessene Minuten
starr mich an". Das Ziel vor Augen. Die Beute gepackt. Ein Blick in die
Leere - zwei abgemessene Minuten - die Zeit verrinnt. Und sonst nichts:
Sinnlos, spröde - gut.
27 Oct 2008
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
Benno Schirrmeister
## TAGS
Fußball und Politik
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