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# taz.de -- Klimaschutz vor Kneipen: Filz statt Pilz? Egal!
> Den Berlinern ist das Klima schnuppe: Heizpilze spielen für die Wahl des
> Cafés offenbar keine Rolle. Für Wirte ist das eigentlich eine gute
> Botschaft.
Bild: Gut für die Wärme, schlecht für das Klima: Heizpilze auf Bürgersteige…
Nora Molitor hat sich bis unter das Kinn in eine hellblaue Filzdecke
eingewickelt. Fröstelnd zündet sie sich eine Zigarette an. Es ist gegen 6
Uhr abends und unangenehm kalt vor dem "Kaffee am Meer" in der
Bergmannstraße. Links und rechts, beim Köfte-Burger Bergmann und dem
vietnamesischen Restaurant "Huong Que", bläst wohlig-warme Luft aus
Heizpilzen. Nora Molitor zieht trotzdem das Kaffee am Meer vor. "Mir
gefällt die Atmosphäre hier einfach besser."
Vor circa einem Jahr hat das Kaffee am Meer als eines der ersten Cafés
Berlins seine Heizpilze in den Schuppen hinterm Haus verbannt und ist auf
Decken umgestiegen. Angestoßen wurde dieser Wechsel von der Kampagne Prost
Klima, die Gastronomen über Einsparmöglichkeiten im Energiebereich
informiert. "Wir waren von der Idee einer ökologischeren Gastronomie
überzeugt", sagt die Besitzerin Ramona Päschel.
Diese Idee sorgt für kontroverse Diskussion, denn für Umweltschützer sind
Heizpilze unnütze Klimakiller. Nach Angabe der Grünen verbraucht ein
solcher Pilz bei mittlerer Leistung ungefähr so viel CO2 wie ein Auto mit
12.000 Kilometer Fahrt. Nun wollen vier der zwölf Berliner Bezirke ab dem
ersten Januar das Beheizen der Straße mit Heizpilzen verbieten.
Cafébesitzer und der Berliner Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) sind
entsetzt. Sie befürchten drastische Umsatzeinbußen, wenn die Gäste in der
kalten Jahreszeit nicht draußen sitzen können - zum Beispiel zum Rauchen.
Und das, wo sie sich nach dem Nichtrauchergesetz ohnehin von der Politik
gebeutelt und bevormundet sehen. "Wenn es wirklich kalt ist, ziehen die
Wärmestrahler auf jeden Fall die Kundschaft", sagt Nguyen Hoa, die
Geschäftsführerin des "Huong Que". Klimaschutz sei, na klar, wichtig, aber
sie müsse vor allen Dingen an ihren Umsatz denken.
Beim Kaffee am Meer haben sich die Befürchtungen der Gastronomen über
ausbleibende Kundschaft bisher allerdings nicht bestätigt. Auch nach einem
Jahr ohne Heizpilze kann Päschel keinen Einbruch der Gästezahlen
beobachten. Allerdings vermutet sie auch: "Die Energiebilanz des Cafés hat
sich aber trotz der Umstellung nicht maßgeblich verbessert." Statt der
Heizpilze habe sie nun eben die Filzdecken, die sie regelmäßig waschen
müsse. Eine exakte Berechnung ihres Energieverbrauchs hat sie allerdings
nie vorgenommen.
Trotzdem könnten Päschels Erfahrungen den Gastwirten Mut machen: Denn für
die Berliner Latte-macchiato-Kundschaft spielen Heizpilze bei der Wahl des
Lieblingscafés offenbar keine Rolle. Man geht nicht in ein Café, weil es
Heizpilze anbietet - allerdings meidet man auch keines aus diesem Grund.
Nicht einmal in Kreuzberg, dem selbst ernannten Eldorado für ökologisch
bewusste Fahrradfahrer und Bioladeneinkäufer gehen die Kunden lieber in
ökologisch-korrekte Cafés mit Filzdecke statt Pilzwärme. "Ich bin
eigentlich gegen Heizpilze, aber dabei überhaupt nicht konsequent", gibt
Laura Zimmermann zu, die mit ihrer Freundin vor dem Kaffee am Meer sitzt.
Sie mache ihre Entscheidung hauptsächlich von dem Ambiente der Bar
abhängig. Das sieht auch Nora Molitor so. Immer noch in die Decke gehüllt,
drückt sie ihre Zigarette im Aschenbecher aus. "Mit einem Heizstrahler
fände ich es fast noch schöner hier."
Cafébesitzerin Ramona Päschel hatte deswegen auch schon überlegt, die
eingemotteten Heizstrahler wieder rauszuholen - denn sie kann jetzt mit den
Filzdecken zwar keine Verschlechterung ihrer Geschäftslage, aber eben auch
keine Verbesserung erkennen. Hinzu kommt, dass die Wirtin von der
Prost-Klima-Initiative reichlich enttäuscht ist. Es habe überhaupt keine
Öffentlichkeitsarbeit für die Aktion gegeben. Was bleibe, seien zwei
Filzdecken und ein Aufkleber. "Es interessiert einfach keinen Menschen, ob
hier ein Heizpilz steht oder nicht." Und so fällt Päschels Bilanz über ein
Jahr ohne Heizpilze ziemlich nüchtern aus: Die Berliner Wirte und ihre
Kunden werden das Klima offenbar nicht retten. Zu den Heizpilzen will sie
jetzt zwar doch nicht zurück, aber mehr aus pragmatischen Gründen: "Für uns
rentiert es sich einfach nicht, die Dinger wieder aufzustellen."
17 Nov 2008
## AUTOREN
Jenny Marrenbach
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
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