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# taz.de -- Neuer Ridley Scott-Film: Kriegseinsatz zum Morgenkaffee
> Wie lassen sich asymmetrische Kriege im Kino darstellen? Ridley Scott
> sucht mit "Der Mann, der niemals lebte" nach einer Antwort - und schickt
> dazu Leonardo DiCaprio in die Wüste.
Bild: Charakterrolle mit erhöhtem Körpereinsatz: Leonardo Di Caprio.
Leonardo DiCaprio ist in seinen letzten Filmen durch so manche Hölle
gegangen, aber selten ist er körperlich derart in Mitleidenschaft gezogen
worden wie in Ridley Scotts neuem Film "Der Mann, der niemals lebte". Es
scheint inzwischen eine halbe Ewigkeit her, dass er in Jesus-Pose am Bug
der Titanic stand und mit dem Luxusliner in den Tiefen des Ozeans versank.
In letzter Zeit hat er sich auf Charakterrollen mit erhöhtem Körpereinsatz
verlegt. In "Der Mann, der niemals lebte" verleiht zudem ein
Walter-Benjamin-Bärtchen seinen weichen Gesichtszügen eine gewisse
Kantigkeit. In der Rolle des CIA-Agenten Roger Ferris liefert sich DiCaprio
Feuergefechte mit islamischen Selbstmordattentätern, er wird von Autobomben
perforiert und von tollwütigen Hunden gebissen. Ein Arzt, der einen
Knochensplitter aus seinem Körper holt, beruhigt ihn mit der Bemerkung,
dass es sich bloß um die Knochen eines anderen handelt. Einmal sitzt er
allein in einem Café und pult sich ein Metallstück aus dem Arm, das er
einige Sekunden lang fasziniert betrachtet. Der Krieg hat die Körper der
Kämpfenden verändert. Und nicht nur die.
Wenige Regisseure haben es in den letzten Jahren so gut wie Ridley Scott
verstanden, die Körperlichkeit des klassischen Actionfilms mit jener Sorte
technifiziertem Spektakelkino kurzzuschließen, dessen Produktionsmittel an
der Schnittstelle von Hollywood und dem militärisch-industriellen Komplex
entstehen. Wohl nicht ganz zufällig sind Scotts Filme immer ein wenig wie
Feldzüge gefilmt. In "Der Mann, der niemals lebte" sind männliche Physis
und Technik nun fein säuberlich voneinander getrennt. DiCaprios Roger
Ferris arbeitet als CIA-Verbindungsmann im Mittleren Osten; er befindet
sich überall dort im Einsatz, wo es brennt. Und weil er fließend arabisch
spricht, kann er sich unbehelligt durch feindliches Territorium bewegen. Im
fernen Langley sitzen seine Vorgesetzten hinter überdimensionalen
Bildschirmen und verfolgen seine Aktivitäten per Satellitenübertragung auf
Schritt und Tritt.
Russell Crowe seinerseits bewegt sich auf der Seite der Technik.
Abgeschnitten vom Kriegsschauplatz, verrichtet sein Ed Hoffman die meiste
Zeit des Films Hausarbeiten - er wäscht das Geschirr ab, er bringt die
Kinder zur Schule -, während sein Schützling auf der anderen Seite der
Weltkugel seine Haut zu Markte trägt. Headset und Überwachungsmonitor
stellen für Hoffman die einzige Verbindung zur Außenwelt dar; die globalen
Auswirkungen seiner Entscheidungen dringen nur noch als knappe
Nachrichtenmeldung zu ihm zurück. Das ist die zynische Quintessenz des
Films: Diejenigen, die in den USA das Sagen haben, sind nicht nur
geografisch, sondern auch mental weit von den realen Problemen der Welt
entfernt. Bei Scott ist diese nicht mehr ganz überraschende Erkenntnis
wenigstens noch für einen Running Gag gut.
"Der Mann, der niemals lebte" stellt einen neuen Typus des Kriegsfilms dar.
Um eine weltweit operierende Terrororganisation aus der Reserve zu locken,
verpasst die CIA einem harmlosen arabischen Architekten eine
Scheinidentität als Drahtzieher einer fiktiven Terrorzelle. Der
Kriegseinsatz beginnt mit einem morgendlichen Kaffee vor dem heimischen
Computer. Seit Kriege im offiziellen Jargon nicht mehr "symmetrisch"
geführt werden, sucht Hollywood vergeblich nach einer neuen Form der
Bebilderung.
Dem Fernsehen ist dies bereits gelungen. Die HBO-Serie "Generation Kill"
von den Machern von "The Wire" schilderte die Scharmützel der Bodentruppen
während der zweiten Irakinvasion als hochgradig zermürbende Grenzerfahrung.
"Der Mann, der niemals lebte" kommt dem sehr nah. Die Frustrationen des
"War against Terror" sind aber genauso strukturell bedingt. Die räumliche
Distanz zu den Schlachtfeldern bringt auch in den eigenen Reihen
Asymmetrien zum Vorschein. Die Diskrepanz zwischen den Fußsoldaten und den
Cyberkriegern im Pentagon zeigt Scott mit einem einzigen Schnitt: In der
Wüste wartet Ferris auf seinen Kontaktmann, während die Satelliten aus dem
Weltraum beobachten. Als er seinen Blick kurz in den Himmel richtet, blickt
er im CIA-Hauptquartier für einen Moment in die Gesichter seiner
Überwacher.
Dass die Handlung von "Der Mann, der niemals lebte" trotz des Drehbuchs von
Oscar-Preisträger William Monahan ("The Departed") etwas unübersichtlich
verläuft, kann man einem Film über asymmetrische Kriege vielleicht schlecht
vorhalten. Es steckt im Material. Ärgerlicher sind da schon einige allzu
konventionelle Wendungen im Drehbuch, die die zerfaserte Handlung mit ihren
diversen Nebenschlachtfeldern unnötig überfrachtet. Sie unterminieren auch
das wiederkehrende Thema von Scotts Film: dass die Terrorbekämpfung im "War
against Terror" nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Und sieht man
sich die verfahrene Situation im Irak und in Afghanistan an, scheint "Der
Mann, der niemals lebte" plötzlich gar nicht mal so weit von der Realität
entfernt.
19 Nov 2008
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Blockbuster
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