# taz.de -- Astrid Proll erzählt von Dorothea Ridder: Im toten Trakt | |
> Astrid Proll lernt Dorothea Ridder vor ihrer RAF-Zeit kennen. Später wird | |
> sie in die Zelle kommen, in der zuvor Dorothea Ridder in totaler | |
> Isolationshaft untergebracht worden war. | |
Bild: Hochsicherheitstrakt in der JVA Stammheim | |
Astrid Proll: Fotografin, Bildredakteurin, Kfz-Mechanikerin, 1947 in Kassel | |
geboren. Kam 1968 nach Schul- und Internatsodyssee in Westberlin an und | |
begann beim Lette-Verein eine Ausbildung zur Fotografin. Durch ihren Bruder | |
Thorwald Proll lernt sie Andreas Baader kennen und später, durch Besuche | |
bei ihrem inhaftierten Bruder, auch Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof, die | |
als Journalistin über den Kaufhausbrandprozess berichtete. | |
Als die Kaufhausbrandstifter nach einjähriger U-Haft zu drei Jahren | |
Zuchthaus verurteilt, bis zur Entscheidung der Revision aber frei gelassen | |
wurden, brach Astrid ihre Ausbildung ab und beteiligte sich in Frankfurt an | |
deren Heimkampagne (gegen die zuchthausartige Verwahrung Jugendlicher in | |
geschlossenen Erziehungsheimen). Nach Ablehnung der Revision ging sie, | |
obgleich nicht bedroht, mit Baader und Ensslin auf die Flucht, nach | |
Frankreich und Italien. Rückkehr Anfang 1970. Die per Haftbefehl Gesuchten | |
finden bei Ulrike Meinhof Aufnahme und konzipieren auf Anregung von Horst | |
Mahler eine militante Untergrundgruppe, die spätere RAF. Astrid bewegt sich | |
im engsten Zirkel. Sie lernt Dorothea Ridder kennen. Nach der Verhaftung | |
Baaders beteiligt sie sich neben Ulrike Meinhof u. a. an seiner Befreiung | |
und fährt anschließend mit der etwa 20-köpfigen Gruppe nach Jordanien in | |
ein militärisches Ausbildungslager der al-Fatah. Nach der Rückkehr lebte | |
sie als RAF-Mitglied im Untergrund in Stuttgart, Hamburg und Frankfurt, | |
dort wurde sie bei einer Observation durch Geheimdienstbeamte im Februar | |
1971 beinahe festgenommen, konnte aber zusammen mit Manfred Grashof | |
flüchten. Die Beamten behaupteten, sie und Grashof hätten sich die Flucht | |
"freigeschossen", dadurch war der Tatvorwurf eines doppelten Mordversuches | |
geschaffen. Im Mai 1971 wurde sie verhaftet und unter strengster Behandlung | |
als erstes RAF-Mitglied in den "toten Trakt" der JVA Köln gebracht zur | |
Totalisolation. | |
Als erste Untersuchungsgefangene hatte dort kurz vorher noch Dorothea | |
Ridder eingesessen. Astrid wurde für 119 Tage total isoliert, bis man ihre | |
Zelle und den "toten Trakt" für die verhaftete Ulrike Meinhof benötigte | |
(die dort neun Monate totalisoliert wurde, ihre Briefe über die Folgen der | |
sensorischen Deprivation sind legendär). Astrid wurde dann zu Prozessbeginn | |
in die JVA Preungesheim nach Frankfurt am Mai verlegt. Durch die | |
Isolationshaft physisch und psychisch zerrüttet, wurde sie Anfang 1974 | |
wegen Verhandlungsunfähigkeit vorübergehend aus der Haft entlassen und | |
entzog sich, angesichts der Schwere der zu erwartenden Strafe, erneuter | |
Inhaftierung durch Flucht nach England. | |
Dort heiratete sie einen Engländer, lebte unter seinem Namen in London, | |
machte eine Ausbildung zur Kfz-Mechanikerin, einen Schweißer-Lehrgang und | |
arbeitete dann in einem Sozialprojekt für schwarze Jugendliche, in einer | |
Kfz-Werkstatt. Im September 1978 erneute Festnahme in London und | |
Inhaftierung im Brixton-Gefängnis. Dort besucht sie Dorothea Ridder, die | |
sich hinfort freundschaftlich um sie kümmert. Nach fast einjähriger Haft | |
Auslieferung an Deutschland, Überführung in die JVA Preungesheim. Obwohl | |
bekannte Frauen, u. a. die Gefängnisdirektorin Dr. Einsele, die | |
Filmemacherin von Trotta, die Theologin Sölle und Ranke-Heinemann, eine | |
"Sozialbürgschaft" für Astrid übernahmen, wurde sie nicht aus der Haft | |
entlassen. Sie kam dann aber gleich zu Prozessbeginn frei. Ende Februar | |
1980 wurde sie wegen Raubüberfall und Urkundenfälschung zu fünfeinhalb | |
Jahren unter Anrechnung der U-Haft verurteilt, der Rest der Strafe wurde | |
zur Bewährung ausgesetzt. Die Anklage wegen doppelten Mordversuches musste | |
fallen gelassen werden. Die gründliche Richterin Dierks verlangte | |
Aufklärung und der liberale Innenminister Baum gab ein | |
Geheimdienstprotokoll frei und erteilte Aussagegenehmigung. Es erwies sich, | |
dass die damals in den Medien verbreitete Darstellung vom "rücksichtslosen | |
Schusswaffengebrauch" eine gezielte Lüge der Fahnder war (die der | |
Gewaltspirale eine weitere Windung hinzufügte) und dass die Wahrheit | |
jahrelang unter Verschluss gehalten worden war. | |
Astrid studierte ab 1982 Visuelle Kommunikation an der Hochschule für | |
Bildende Künste in Hamburg. Sie arbeitet seither als Fotografin und | |
Bildredakteurin in Deutschland und England sowie als Lehrbeauftragte an der | |
Universität der Künste Berlin und dem Londoner Royal College of Art. Bei | |
Steidl Göttingen (1998) und im Aufbau-Verlag Berlin (2004) erschien ihr | |
Bildband "Hans und Grete. Bilder der RAF 1967-1977". | |
Als meine Freundin Elisabeth und ich Anfang November zurückkamen aus | |
Frankreich und Dorothea besuchten, trafen wir sie mit einer Genickstütze | |
an. Sie wirkte majestätisch und streng, wie Ernst von Strohheim als | |
Festungskommandant in der "Großen Illusion". Am Vortag hatte sie einen | |
epileptischen Anfall und war in der Küche gestürzt. Der Verdacht eines | |
Wirbelbruchs hat sich dann aber zum Glück später doch nicht bestätigt. | |
Trotz des Schocks saß sie lange mit uns am Tisch, lachte und erzählte, dass | |
sie seit einiger Zeit wieder längere Sachen lesen und behalten kann. Auf | |
ihrem Nachttisch lag "Hamlet" in der Übersetzung von Erich Fried. | |
Astrid Proll erzählt bei der Erwähnung von Dorotheas Unfall ein Erlebnis, | |
das sie mit ihr hatte: | |
Vor einer Weile fuhr ich mit ihr zur Reinigung, und sie wollte dann gerne | |
noch zu Woolworth, etwas Unterwäsche kaufen, marschierte da so durch, | |
zwinkerte mich noch an, und plötzlich sackt sie ganz sanft irgendwie | |
zusammen. Dann kam Gott sei Dank - ich bin so unbeholfen - gleich eine | |
Frau, eine Krankenschwester zufällig. Die hat sich ganz liebevoll gekümmert | |
und die Leute dort auch. Als sie eine ganze Weile da lag und nicht wach | |
wurde, haben sie die Ambulanz gerufen, normalerweise wird sie ja gleich | |
wieder wach. Ich wusste das ja nicht, dass sie den Krankentransport selbst | |
bezahlen muss, weil sie nur für den stationären Aufenthalt versichert ist. | |
Ich habe sie dann abgeholt in der Notaufnahme und wieder nach Hause | |
gefahren. Also das passiert ihr ab und zu, dass sie diese Anfälle hat. Und | |
das ist natürlich ein Risiko, dass sie unglücklich stürzt. Aber meistens | |
geht es wohl weniger dramatisch vor sich, zum Glück. | |
Auf unsere Frage, wann sie Dorothea eigentlich kennengelernt hat, erzählt | |
sie: | |
"Ich habe Dorothea in der Vor-RAF-Zeit kennengelernt, und zwar über | |
Marianne Herzog. Sie war eine Freundin von Marianne Herzog. Mit Marianne | |
Herzog war ich liiert, sie war ungeheuer schön, sehr attraktiv. Sie war | |
Hürdenläuferin und hatte tolle Waden! Die Männer drehten sich ständig nach | |
ihr um, sie musste sich die Haare deshalb abschneiden. Aber sie war leider | |
sehr rechthaberisch. An mir hat sie immer kritisiert, ich wäre bürgerlich, | |
Mittelstand. Stimmt, bin ich ja. Es ist eben einfach so. Proleten waren für | |
sie einfach die besseren Menschen. Jedenfalls, damals kam Dorothea ab und | |
zu rüber zu mir und hat sich ein bisschen um mich gekümmert. Ich hatte | |
beziehungsweise habe Hepatitis C, die hatten wir uns eingefangen auf dem | |
großen Fest in Frankfurt, nachdem mein Bruder und die anderen freigekommen | |
waren. Wir haben blöderweise so eine Opiumtinktur gedrückt, zweimal nur | |
haben wir gedrückt, und dann das! Also jedenfalls, Dorothea war ja eine | |
Medizinstudentin und konnte mir helfen. Sie war damals bereits eine | |
gestandene Frau. | |
Später, das war schon nach der Baader-Befreiung, ich erinnere mich noch | |
genau, da hat sie eines Tages den Satz gesagt: Irgendwann werdet ihr alle | |
mal im Knast sein oder tot sein. Solche Gedanken wurden ja ausgeblendet, | |
und es war das erste Mal, dass ich das wirklich wahrgenommen habe. Es hatte | |
etwas ungeheuer Trauriges. Gut, also dann war ich ja weg, on the road, und | |
später, nach der Verhaftung, war ich im Knast in Köln. Dorothea ist auch | |
irgendwann verhaftet worden und war dann auch dort, ich nehme an, zu | |
Vernehmungszwecken - deshalb sind viele Leute nach Köln gekommen, weil da | |
die Sicherungsgruppe Bonn war. Ossendorf war ein riesiger neuer Knast. Gut. | |
Jedenfalls, ich habe Dorothea dort nie gesehen. Alles, was ich | |
wahrscheinlich von ihr hörte, kam über diese Mehrfachverteidigung. Und für | |
diese Anwälte, ich weiß nicht, Eschen oder wer kam, für die war das auch | |
sehr beschwerlich, denn sie mussten aus Berlin anreisen und ließen sich | |
einen nach dem anderen vorführen zum Gespräch. Dadurch habe ich dann auch | |
von ihr gehört." | |
(Am 29. 12. 1971 schreibt der Leiter der JVA Köln-Ossendorf an den | |
Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe betreffs der | |
Untersuchungsgefangenen Dorothea Ridder: "Die anliegende Hausstrafenanzeige | |
übersende ich gemäß § 119 StPO in Verbindung mit der Nr. 2, 67 UVollzO, mit | |
der Bitte, gegen die Untersuchungsgefangene Dorothea Ridder als Hausstrafe | |
den einmaligen Ausschluss von der Beschaffung von Zusatznahrungs- und | |
Genussmitteln zu verhängen. Begründung: Die Gefangene hat am 27. 12. vor | |
der Freistunde versucht, mit der ebenfalls hier einsitzenden Gefangenen | |
Astrid Proll Verbindung aufzunehmen. Sie weigerte sich, den Flur zu | |
verlassen, bevor sie nicht die Mitgefangene Proll gesehen hätte. Sie musste | |
schließlich von einem männlichen Beamten vom Flur entfernt werden. Am 28. | |
12. 71 hat sie sich sogar geweigert, am Spaziergang teilzunehmen, weil ihr | |
nicht gestattet worden ist, durch die Tür die Gefangene Proll zu begrüßen. | |
(Bücker) Ltd. Regierungsdirektor). | |
Sie war im "toten Trakt", das war ein leerstehender, also unbelegter | |
Flügel. Sie war die erste dort - ich war anfangs bei den Frauen in einer | |
Einzelzelle isoliert, aber eben noch nicht totalisoliert. Seltsamerweise | |
hat sie unter dem "toten Trakt" überhaupt nicht gelitten, sagt sie. Sie hat | |
ihre Medizinbücher bekommen und fürs Examen gelernt. Das war ihre | |
Perspektive. Sie wusste, sie würde nicht lange sitzen müssen, und nach vier | |
Monaten oder so wurde sie dann auch entlassen. Nach ihr kam ich dann in | |
diese Zelle und habe vollkommen andere Erfahrungen gemacht! Ich hatte eine | |
zweifache Mordanklage, das Ende war offen, und ich habe die volle | |
Auswirkung dieser totalen Isolation von menschlichen Geräuschen und allen | |
gewohnten Sinneseindrücken am eigenen Leib erfahren. | |
Also dieser Punkt ist mir sehr wichtig, denn der "tote Trakt" ist heute | |
überhaupt der einzige Beweis für diese heftigen Haftbedingungen, die wir | |
gehabt haben. Und für die ich sozusagen ein noch lebender Beweis bin. Alles | |
andere wird ja heute kleingeschrieben, Stammheim war ja angeblich nur noch | |
ein Erdbeeressen und Champagnertrinken. Darüber müssen wir ja nicht reden. | |
Der "tote Trakt" ist eine geschichtliche Tatsache, ich war dort, ich kann | |
sie bezeugen, mich hat er traumatisiert. Ich bin den ganzen Tag hin und her | |
gerannt, es hat mich verrückt gemacht. | |
Und das verbindet mich auch heute noch mit Ulrike Meinhof, die Erfahrung im | |
"toten Trakt". Ich habe zu Hause ein Bild von ihr hängen. Ich halte sie | |
hoch, weil sie etwas erlebt hat, was ich auch erlebt habe. Sie kam damals | |
ja nach Köln-Ossendorf. Ich wurde in einer Zelle in der Männerpsychiatrie | |
isoliert, und sie kam in meine Zelle. Sie hat sehr gut beschrieben, was da | |
mit einem passiert, das ist ja bekannt. Sie war, glaub ich, fast neun | |
Monate im "toten Trakt" und wurde dann auch in die Männerpsychiatrie | |
verlegt und in einer Einzelzelle isoliert. Übrigens war das die Zelle, in | |
der auch Bartsch saß - sie hatte ja 1968 über seinen Prozess berichtet. | |
(Jürgen Bartsch war ein psychisch zum Krüppel gemachter homosexuell | |
orientierter Kindermörder. 1946 geboren, 1976 gestorben, während einer | |
Kastrationsoperation. Anm. G. G.) Also ich vermute mal, das war vielleicht | |
auch kein Zufall, dass sie in diese Zelle kam. | |
Ulrike ist mir von allen eigentlich die Wertvollste heute. Sie war eine | |
sehr gute Journalistin, und sie hatte eine starke Disziplin. Man musste | |
sich mit ihren Thesen und Themen auseinandersetzen. Kennengelernt hatte ich | |
sie damals in Frankfurt, sie hat ja über den Kaufhausbrandprozess berichtet | |
und hatte da Kontakt und später, als mein Bruder und die anderen frei waren | |
und sich ganz massiv in dieser Heimkampagne engagiert haben, da kam sie | |
auch nach Frankfurt ab und zu, sie hat sich als Journalistin in dieser Zeit | |
mit den Zuständen in den Mädchenerziehungsheimen beschäftigt. | |
Als der Revision dann nicht stattgegeben wurde und alle entsetzt waren, | |
jetzt ins Zuchthaus, NEIN! Als klar war, dass wir abhauen, da wurde | |
natürlich ein Nachfolger für die Kampagne gesucht, man wollte die | |
Jugendlichen ja nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, und da sollte ich | |
das dann mit Ulrike regeln, dass sie das übernimmt. Ich bin damals mit ihr | |
zur Pressekonferenz gefahren, in dieses schreckliche Mädchenerziehungsheim | |
bei Fulda. (Ein ehemaliges Kloster, Arbeitshaus und KZ, wurde nach dem | |
Krieg Fürsorgeerziehungsheim, berüchtigt, Personal und Erziehungsstil teils | |
aus der Nazizeit bruchlos übernommen. Auf Grund der Presse- und | |
Heimkampagne wurde es dann geschlossen. Heute zu besichtigen als | |
Gedenkstätte Breitenau, Guxhagen. Anm. G. G.) Ich habe sie gefragt, aber | |
sie hat natürlich abgelehnt, sie war vollauf beschäftigt als Journalistin. | |
Gut, zurück. Ich war damals von 71 bis 74 in Haft, vier Jahre. Und ich war | |
vollkommen fertigt, so dass sie mich aus dem Knast in Preungesheim halbtot | |
entlassen mussten, vorübergehend, aufgrund eines ärztlichen Gutachtens. Da | |
habe ich mich, sozusagen mit meinen letzten Kräften, nach England | |
abgesetzt, denn ich wollte auf keinen Fall wieder rein. Und später habe ich | |
aber doch noch mal gesessen, circa ein Jahr in London, in der | |
Auslieferungshaft. 79 haben sie mich ausgeliefert. | |
Ich kam wieder nach Frankfurt-Preungesheim, bin dann aber gleich am ersten | |
Prozesstag freigelassen worden, im Herbst 79. Da gibt es schöne Bilder, | |
auch von Dorothea und mir, sie wurden am Abend meiner Freilassung gemacht | |
auf einer Party in der Wohnung von K. D. Wolf. (SDS-Vorsitzender u. Gründer | |
des Verlages Roter, später Stroemfeld/Roter Stern, 1. Adresse f. | |
Historisch-kritische Editionen. Anm. G. G.) Also ich hatte Glück, auch dass | |
ich mich aus der Geschichte so rausrappeln konnte in England, Leute | |
gefunden habe, die mir geholfen haben. Als ich dort in Haft war, haben sich | |
alle möglichen Leute bei mir gemeldet. Und eben Dorothea auch. Es wusste ja | |
keiner, wo ich war. | |
Die einzige Deutsche, die ich dort kannte, war meine Freundin Karin Monte, | |
sie hat mich täglich im Knast besucht. Die Verhaftung war natürlich in | |
allen Medien, es war viel los, es gab Unterstützergruppen. Hauptsächlich | |
waren es Frauen, die sich gekümmert haben, protestiert haben, Schilder | |
aufgestellt. Und es haben mich Leute aus Deutschland besucht, auch Marianne | |
Herzog war da, und andere, die es eben alles wieder besser wussten. | |
Dorothea war da, das war sehr schön. Sie war aber nie eine Besserwisserin. | |
Sie war zwar ein harter Verhandlungspartner, und sie war immer eine, die | |
gleich geguckt hat, na, was ist, wie geht es dir, und komm. Sie hat bei | |
Erich Fried gewohnt, hatte dann auch viel mit ihm zu tun, später. Fried hat | |
mir ja auch sehr geholfen, hat Publicity gemacht für mich in England, denn | |
es dauerte einige Zeit, bis denen klar war, dass ich nichts mehr gemacht | |
hatte, keinerlei Kontakte hatte, nichts, dass sie mich am besten in England | |
lassen könnten. Er hat seine Autorität eingesetzt. | |
Fried war ein toller Mensch. Ich habe ihn in einer Situation kennengelernt, | |
wo ich dringend Hilfe brauchte. Und ich habe sie bekommen. Er hat mir alles | |
zu Füßen gelegt, hat mir sein Geld angeboten. Der war so was von großzügig. | |
Er hat ja sehr stark auf Frauen reagiert (sie lacht), aber zwischen uns war | |
die Sache klar. Er wusste, ich mag nur Frauen, also er war nie sexuell | |
aufdringlich oder so. Nein, er war einfach nur großzügig. Diese ganze | |
"Friedlandschaft" war ja ungeheuer libidinös, länderübergreifend. Das war | |
normal unter uns allen. Die RAF war ja auch ein Geflecht aus Freundschaften | |
und Liebschaften. Jedenfalls, ich wurde dann doch ausgeliefert, das war ein | |
kompliziertes Verfahren. Ich weiß nicht mehr, ob Dorothea mich auch im | |
Knast in Frankfurt besucht hat, am Tag meines Prozesses jedenfalls - und | |
sie war schon Ärztin, hat gearbeitet - und saß trotzdem im Zuschauerraum. | |
Ich wurde ja dann gleich an diesem ersten Prozesstag entlassen, | |
überraschenderweise, musste nicht mehr in der Haft sein. | |
Das war ein großes Signal dafür, dass die Sache ein Ende findet, ein gutes | |
Ende, und so war es dann ja auch. Aber durch den Prozess, auch wenn er nur | |
ein paar Monate dauerte, kam dann natürlich alles wieder hoch, ich war ja | |
wahnsinnig traumatisiert durch diese Haft. In London habe ich mich langsam | |
ein bisschen erholt, konnte bestimmte Sachen machen. Es war eine gute Zeit | |
für mich, denn ich kam mitten in die Frauenbewegung rein und jede wollte ja | |
damals lesbisch werden, gut, aber ich war natürlich in jeder Hinsicht | |
empfindlich. Man merkte, dass mit mir was nicht stimmt. Von der RAF wusste | |
niemand etwas von denen, die mir näherstanden, aber Genaueres wollte man | |
auch gar nicht wissen. Es war o.k. Nach dem Prozess wäre ich gerne | |
zurückgegangen nach England, aber es ging nicht, ich hatte für zehn Jahre | |
Einreiseverbot, denn ich war ja illegal eingereist, und dann auch noch als | |
Terroristin. | |
Ich wollte dann nach Berlin zur DFFB (Deutsche Film- u. Fernsehakademie), | |
aber da haben sie mich nicht genommen, später bin ich dann nach Hamburg | |
gegangen zur HfBK, aber erst mal war ich noch in Frankfurt, jedenfalls, mit | |
Dorothea hatte ich immer Kontakt. Weihnachten kam sie nach Frankfurt, hat | |
eine Ente gebraten, wir haben oft zusammen gekocht, haben "Mensch ärgere | |
dich nicht" gespielt, wir waren ganz häuslich und familiär. Ich war damals | |
32 und Dorothea ist genau fünf Jahre älter, wir haben beide am 29. Mai | |
Geburtstag und haben den auch oft gemeinsam gefeiert. | |
Ich kam dann auch viel nach Berlin, auch von Hamburg aus, als ich mich dort | |
ein bisschen eingelebt hatte. Sie hat mir wahnsinnig geholfen. Ich habe | |
doch immer diese Angstzustände gehabt, also entweder akut, dass ich dachte, | |
jetzt bekomme ich einen Herzanfall, es geht zu Ende mit mir, ich sterbe, | |
oder dass ich furchtbare Psycho-Erlebnisse hatte, na egal, ich will hier | |
nicht herumjammern und klagen. Ich hatte auch eine gute Analytikerin in | |
Hamburg, und ich habe damals Dorothea viel besucht, sie hat mir wahnsinnig | |
gutgetan. | |
Wir sind in Zehlendorf spazieren gegangen und ich konnte mit ihr über alles | |
reden. Sie war immer ruhig und geduldig. Mit meinen Angst- und | |
Panikanfällen habe ich die meisten Leute ja auch irgendwie in Angst und | |
Panik versetzt, und das hat dann meinen Zustand wiederum verschärft. | |
Dorothea war da ganz anders. Sie hatte keine Angst. Nie! Auf einen | |
ängstlichen Menschen wie mich wirkt das ungeheuer beruhigend. Und in meinem | |
Fall ist es ja auch noch so, dass ich ihr die Umstände gar nicht erklären | |
musste, sie hatte ja Ähnliches erlebt wie ich, war auch dort, auch wenn es | |
anders auf sie gewirkt hat. Aber sie war nie sentimental, das war angenehm. | |
Auch als Ärztin war sie zwar präsent, aber das stand nie im Vordergrund. | |
Und es ging ihr anscheinend auch nicht auf die Nerven. Ich war ja schwierig | |
mit diesen Angstanfällen, ich konnte nicht aufstehen, konnte nicht auf die | |
Straße gehen, helle Panik mitten auf der Straße. Sie war unerschütterlich, | |
hat mich so angeguckt und gesagt: Jetzt gehen wir mal weiter! Das haben wir | |
über Jahre exerziert. Ich habe das auch immer körperlich gespürt. Luft … | |
Jedenfalls war sie ruhig, stand da wie eine Burg. Das hat mir ein | |
wahnsinniges Zutrauen gegeben. Ich wusste, ihre Ruhe war ja nicht die einer | |
Unbeteiligten, oder Teilnahmslosen, im Gegenteil, Dorothea hat sich immer | |
selbst verstrickt, sie hatte eine große Fähigkeit zur Empathie, deshalb war | |
sie auch als Ärztin ein solches Zentrum. Sie wollte professionell helfen, | |
und sie wollte Leute retten. | |
Dorothea hat schon immer gesagt - auch in Bezug auf die RAF -, dass sie es | |
nicht erträgt, dass die Leute sterben. Und als es dann genau so kam, hat | |
sie sehr unter der Tragödie gelitten. Ich habe ja von Ulrikes Tod es in | |
England gehört, und das war ein wahnsinniger Schock, auch dann im Oktober | |
77 (nach der sogenannten Todesnacht von Stammheim, Anm. G. G.), da war ich | |
grade mit dem Auto auf einer Schnellstraße unterwegs und fuhr im Schock auf | |
der rechten Spur plötzlich, so als wäre Rechtsverkehr. Zum Glück ist nichts | |
passiert. Ich glaube, das hat damals viele Leute ziemlich aus der Fassung | |
gebracht, und Dorothea natürlich auch. Aber sie hat ja auch so was | |
Rationales, sie will handeln, sie hat was gemacht, als die Gelegenheit da | |
war. Und die Gelegenheit war Manfred Grashof. Sie hat das "Projekt Manfred" | |
systematisch angegangen, seine Befreiung vorangetrieben. Mit eisernem | |
Willen und auch einer erstaunlichen Härte. Auch Härte gegen sich selbst | |
eigentlich. | |
Also dann zu sagen, ich bin Frau Doktor, mein Mann ist Mörder, ich habe | |
einen RAF-Gefangenen geheiratet, also damit kann man ja nicht so unbedingt | |
Eindruck machen in der Gesellschaft oder bei den akademischen Kollegen. | |
Aber das war ihr egal. Sie hat nicht den Ruhm gesucht, sie hat sich | |
außerhalb dieser Konkurrenzzwänge bewegt. Das war ihre Geschichte. Sie hat | |
sich dieses Ziel gesetzt und sie hat es sehr klug erreicht, mit legalen | |
Mitteln, mit ihrer Reputation, ihrem Charme, ihrer Intelligenz, ihrem Geld, | |
ihrer Zeit, Energie und Kraft. Sie hat alles investiert für eine | |
Gefangenenbefreiung ohne Waffengewalt. Also wenn ich bedenke, was diese RAF | |
alles an Morden begangen hat, um die Leute rauszuholen, es war ja ein | |
Zwangsmechanismus. Und dann kam 1984 diese Frau und hatte ein kleines | |
Gegenmodell. Das ist ihr hoch anzurechnen. Und sie hat das nie nach außen | |
getragen. Hat das nie vermarktet! | |
Und es haben ihr auch immer Leute geholfen. Ganz wichtig war auch dieser | |
Knastpfarrer bei der Manfred-Geschichte damals, dieser Holländer. Der hat | |
wahnsinnig viel getan für Dorothea und Manfred - auch für Jünschke | |
(ebenfalls RAF-Mitglied der 1. Generation, saß, wie Grashof, i. d. JVA | |
Dietz. Anm. G. G.), die waren da so ein Doppelpack, Jünschke hat das Maul | |
aufgemacht, hat was für die Entspannung getan und Manfred hat geschwiegen. | |
Er hat sich aber von Dorothea natürlich gern verwöhnen lassen. Und dann hat | |
sie mich auch noch dazu verdonnert, ihn im Knast zu besuchen. Ich hatte ja | |
so wahnsinnige Angst vor dem Knast, also ich wollte nie mehr einen | |
betreten, und dann das! | |
ber ich bin natürlich doch hin, weil der Manfred in meinem Fall auch eine | |
wichtige Rolle spielte. Er war ja der, mit dem ich diese zweifache | |
Mordanklage hatte, wir waren die beiden, die in die Falle geraten sind im | |
Frankfurter Westend, und wir sind einfach nur weggelaufen. Die Beamten | |
haben uns hinterhergeschossen. Und weil sie sauer waren, haben sie das | |
Gegenteil behauptet. Das tobte durch alle Medien und hat angeheizt. | |
Jedenfalls der Manfred trat damals, als ich nach Deutschland ausgeliefert | |
worden war, in meinem Prozess auf als Zeuge, und er hat Aussagen gemacht! | |
Das war, glaube ich, das erste Mal, dass überhaupt vor Gericht solche | |
Aussagen gemacht wurden. Für ihn wahrscheinlich kein leichter Entschluss, | |
denn es war ja so bei der RAF, dass man sich verweigerte, auch wenn man | |
abgerückt war, es gab dieses Zusammengeschweißtsein, das hatte viele Gründe | |
… Er war jedenfalls der einzige RAF-Gefangene, der bei mir auftrat. Ich | |
hatte dann Kontakt zu Manfred, es gab Briefe zwischen mir und ihm. | |
Und Dorothea hat ihm dann auch geschrieben, sie kannten sich zwar schon von | |
früher flüchtig, glaube ich, aber gesehen, oder wiedergesehen, haben sie | |
sich dann erst bei meinem Prozess. Da haben sie erst Kontakt aufgenommen. | |
Und dann hat sie mich später eben regelrecht … trotz meiner Angst. Ich habe | |
bei jedem Besuch im Knast an der Tür so gezittert (sie macht es vor), ich | |
wollte gar nicht rein. Manchmal ging es mir so schlecht, dass ich zu | |
Dorothea gesagt habe: Du, ich geh da nicht rein, heute nicht! Und sie hat | |
etwas scharf gesagt: GEHST du jetzt rein?!?! Und ich ging rein. So war sie | |
auch. Jaja. | |
Sie war natürlich ungeheuer stolz dann, als er draußen war. Wie so ein Kind | |
hat sie sich gefreut. Dann hat sie ihn geschmückt und in einen weißen Anzug | |
gesteckt und sie hat ihn geknuddelt und geliebt und ich weiß nicht … und | |
dann sind sie auf die Bermudas gefahren oder sonst wohin, irgendwie | |
exotisch und ganz teuer. Also so was Neureiches oder so steckte in dieser | |
ganzen Sache auch immer drin. (In der RAF?, vergewissere ich mich, und | |
Astrid sagt irritiert: Wie meinst du das jetzt? Woraufhin ich die Vorliebe | |
für schnelles Geld, teure Autos und die Verhaftung von Gudrun Ensslin in | |
einer Hamburger Edelboutique erwähne.) Na ja, das hatte natürlich erst mal | |
technische Gründe, wir mussten beweglich sein und wir durften nicht | |
auffallen, es war auch so eine Art "Berufskleidung". | |
Und man hat natürlich auch so ein bisschen kompensiert, weil man ja sonst | |
nicht viel hatte. Ich war mit ihr oft einkaufen … Also man hatte immer so | |
seine "Uniform", hatte eine Lederjacke, eine anständige Hose, und einen | |
anständigen Pullover, immer so einen Satz, aber man hatte auch was "für | |
gut", na ja! Ich auch. Ich komme auch aus dem Mittelstand. Mein Vater war | |
auch Aufsteiger, war ein erfolgreicher Architekt, der liebte Klamotten, hat | |
sich alles schneidern lassen. Der hatte jeden Anzug vom Schneider machen | |
lassen. Das habe ich hinterher erst rausgekriegt. Also, ich bitte dich! Und | |
bei Dorothea - die habe ich nämlich gemeint - da hatte das auch immer ein | |
bisschen was von Aufstieg, sie ist auch ein "social climber", sie konnte | |
sich durchsetzen und auch was schaffen. Sie hat einen Aufstieg hingelegt | |
und sie wollte auch sehen, was sie dafür kriegt! Es war für sie auch immer | |
wahnsinnig wichtig, in Zehlendorf zu wohnen. Aber sie hat ja auch hart | |
dafür gearbeitet, und in Zehlendorf ist es schön, da konnte sie sich | |
erholen. Es war ihr aber immer sehr wichtig, sich in Zehlendorf zu erholen. | |
Und andererseits hatte sie aber auch was Bescheidenes, war zufrieden. Und | |
großzügig, sie hat gerne und vielen Leuten geholfen. | |
Sie war einfach sie selbst. Das gefiel mir. Sie war nicht so akademisch | |
oder superpolitisch, sie hatte eher etwas sehr Weises, Kluges. Da war sie | |
viel weiter als andere. Das Problem seit ihrem Schlaganfall ist, dass man | |
eben nicht mehr so wie früher mit ihr sprechen kann, sich mit ihr | |
austauschen oder auch ihren Rat einholen kann, jedenfalls momentan schwankt | |
es sehr. Ich sehe sie auch nicht so oft und habe natürlich ein schlechtes | |
Gewissen. Ich habe sie ja erst längere Zeit nach ihrem Schlaganfall wieder | |
gesehen. Also in dieser ganzen Reha-Zeit, da muss es ihr ja furchtbar | |
schlecht gegangen sein, sie konnte nicht reden, nicht gehen, nichts | |
erinnern, hat sie erzählt. In dieser Zeit, in der sie immer nur in | |
Krankenhäusern war, komischerweise hatte ich mit ihr da gar keinen Kontakt. | |
Damals, 95/96 war ich ja in Berlin bei der Wochenpost, die dann so | |
schmählich eingegangen ist, da stand ich plötzlich auf der Straße, ohne | |
Job, und bin zurück nach Hamburg. Bis dahin haben wir uns noch gesehen. | |
Und dann hatte sie eines Tages eine Freundin, diese Claudia, mit der hat | |
sie eine Wohnung ausgebaut und dann gabs einen großen Umzug. Wir haben uns | |
noch ein paarmal gesehen, aber ich bin dann ziemlich überstürzt nach | |
Hamburg, das war vielleicht ein Fehler. Ich habe dann diese | |
Interferontherapie gemacht, was Wahnsinn war, sie hat gar nicht genutzt, | |
dann wollte ich nach England, dann der Tod meines Vater, ich hatte ziemlich | |
viele eigene Geschichten zu laufen. Ich war nicht mehr so nah dran, dass | |
man mich angerufen hätte nach ihrem Schlaganfall. Ein gemeinsamer Freund | |
von früher, Povl, hat mir dann irgendwann mal erzählt, was passiert ist. | |
Und ich weiß gar nicht mehr, wann ich Dorothea dann wiedergesehen habe … | |
ACH! In London!! Jetzt weiß ich es wieder. Sie waren zusammen in London, | |
diese Claudia und Dorothea, ich glaube, es war 2003, und sie haben | |
Catherine Fried besucht an einem Wochenende (die gerade zum 20. Todestag | |
Frieds in Berlin ihre Erinnerungen "Über kurz oder lang" vorgestellt hat | |
mit einer Lesung, bei der auch Dorothea anwesend war, Anm. G. G.). | |
Da habe ich Dorothea nach Jahren wiedergetroffen. Wir sind uns um den Hals | |
gefallen. Und danach habe ich sie dann besucht hier in Berlin und besuche | |
sie natürlich auch heute immer noch. Aber viel zu selten vielleicht. Sie | |
sagt immer: "Astrid, du kannst mit mir nicht mehr reden, ich weiß nichts | |
mehr von früher." Gut, ich bin keine Kriegsromantikerin. Aber es ist | |
schwierig, im Gespräch immer im Jetzt zu bleiben. Vielleicht bin ich auch | |
zu schnell, nicht rücksichtsvoll genug. Ich bin voller Bewunderung, wie sie | |
das alles hinkriegt, dass sie dann so gelassen dasitzt an ihrem Küchentisch | |
und mit mir lacht. Das ist, glaub ich, alles nicht so einfach, ihr Alltag | |
ist schon eine ziemliche Schufterei für sie. Dazu braucht sie schon ihre | |
Zeit. Sie beklagt sich nicht. Dorothea ist schon ein außergewöhnlicher | |
Mensch. | |
23 Nov 2008 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
## TAGS | |
Anwalt | |
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