# taz.de -- Avantgardefilmer Mekas über Internet: "YouTube ist besser" | |
> Kein Kulturpessimismus: Jonas Mekas hat seine Bolex gern gegen eine | |
> Videokamera eingetauscht. Auch YouTube macht dem 85 Jahre alten | |
> Avantgardefilmer keine Angst, er mag das Netz. | |
Bild: Konzentriert sich auf die schönen Seiten des Lebens: Das 365-Tage-Projek… | |
taz: Herr Mekas, Sie bezeichnen sich selber als Filmer und nicht als | |
Filmemacher. Was ist der Unterschied? | |
Jonas Mekas: Um einen Film zu machen, schreibt man normalerweise ein | |
Drehbuch, treibt Geld auf, und dann beginnen die Dreharbeiten. Man | |
bebildert, was auf dem Papier steht. Das heißt Filmemachen. Ich arbeite | |
nicht so. Ich habe einfach nur eine Kamera und tue, was immer ich tue. Ich | |
lebe, und manchmal filme ich. Also bin ich ein Filmer. Oft erst Jahre | |
später, wenn ich tausende Meter Film gesammelt habe, schaue ich mir das | |
Material an und denke mir, vielleicht sollte ich daraus etwas machen und | |
das Ergebnis meinen Freunden zeigen. Sie müssen wissen: Alle Menschen, die | |
sich meine Filme anschauen, betrachte ich als meine Freunde. | |
Wollten Sie nie Filmemacher im traditionellen Sinne werden? | |
Das ist eine lange Geschichte. Als ich 1949 in Amerika ankam, dachte ich, | |
ich würde in Hollywood landen. Ich habe Drehbücher für Spielfilme | |
geschrieben und sie nach Hollywood geschickt. Sie kamen alle zurück. Dann | |
wollte ich die Filme selber produzieren, doch ich hatte kein Geld. Ein | |
Projekt lag mir allerdings besonders am Herzen. Das wollte ich sofort | |
machen, als ich angekommen war: einen Dokumentarfilm über das Leben und die | |
Gefühle Vertriebener. Ich hatte einige Filme über Vertriebene gesehen, aber | |
ich fand, sie vermittelten nicht, was es heißt, im Exil zu leben. Diesen | |
Film wollte ich drehen. | |
Doch er wurde nie fertig. | |
Das Projekt begann mich zu langweilen. Bald wurde ich Teil der New Yorker | |
Literatur- und Filmavantgarde-Szene. Und ich entfernte mich von den | |
litauischen Vertriebenen. Meine Interessen änderten sich, aber ich filmte | |
weiter. Dann habe ich mir irgendwann mein Filmmaterial angesehen, das ich | |
gesammelt hatte. Und da wurde mir klar, was ich machte: Ich führte eine Art | |
visuelles Notizbuch über meine Freunde und mein Leben. Zur gleichen Zeit | |
lag etwas in der Luft, auch die Literatur setzte sich mit der Form des | |
Tagebuchs auseinander. Es gab das Gefühl, dass wir genug hatten von | |
Geschichten und Prosa im Stil des 19. Jahrhunderts. | |
Sie selber haben als Dichter begonnen und veröffentlichen weiterhin | |
Gedichte in Ihrer Muttersprache. Was kann der Film von der Literatur | |
lernen? | |
Ich habe immer gesagt, dass das Kino dann erwachsen sein wird, wenn es | |
einen Formenreichtum entwickelt hat, der identisch ist mit dem der | |
Literatur oder der Musik. Am Ende der 50er-Jahre hatte das Kino durch Leute | |
wie Stan Brakhage, die in der Avantgarde-Tradition standen, ein | |
vergleichbares Entwicklungsstadium erreicht wie Literatur und Musik. So | |
viele neue Formen entstanden, mit denen man alle Aspekte der eigenen | |
Erfahrungen ausdrücken konnte, von den abstraktesten bis hin zu den | |
narrativsten. | |
Sie waren Mitbegründer der New-American-Cinema-Gruppe, in der sich | |
Avantgarde- und Dokumentarfilmer vereinten, auch der junge Peter | |
Bogdanovich war anfangs dabei. | |
Wir gründeten uns 1959. Zu dieser Zeit gab es eine ganze Reihe junger oder | |
manchmal auch nicht mehr ganz so junger Leute, die daran interessiert | |
waren, das Kino zu erneuern - thematisch und technisch. Sie nutzten neue | |
tragbare Kameras und Aufnahmegeräte, die es ihnen erlaubten, in Situationen | |
zu drehen, in denen es vorher nicht möglich gewesen wäre, weil man zu viel | |
Ausrüstung und zu viele Leute gebraucht hätte. Es lag eine Begeisterung in | |
der Luft darüber, dass eine neue Art von Kino möglich ist. | |
Welche Rolle hatten Sie in dieser Bewegung? | |
Meine Position war die eines Verteidigers, der darauf achtet, dass niemand | |
dieses Baby tötet - das New American Cinema, all diese neuen Formen. | |
Deshalb begann ich für die Village Voice zu schreiben; deshalb gründete ich | |
das Magazin Film Culture; und deshalb rief ich die Filmmakers Cinematheque | |
ins Leben. Alles, was ich tat, tat ich aus diesem Grund. Ich machte es, | |
weil niemand anderes es machte und weil es gemacht werden musste, um diese | |
neue Bewegung zu schützen. Sie wäre allerdings auch so gekommen. Ich habe | |
sie nicht begründet. Ich habe nur geholfen. | |
Wie kam es zur Gründung eines eigenen Verleihs? | |
Niemand wollte unsere Filme verleihen. Man hielt sie für schlecht gemacht, | |
wegen der schnellen Bewegungen, Überbelichtungen und so weiter. In deren | |
Augen machten wir keine professionellen Filme. Also sagte ich: Okay, ihr | |
ignoriert uns, wir gründen unseren eigenen Verleih. Eines Tages haben also | |
mein Bruder und ich 30 Filmemacher zusammengerufen und gesagt: Lasst uns | |
unsere eigene Filmkooperative gründen. Wir verschwenden nicht unsere Zeit | |
damit, in das bereits bestehende kommerzielle System hineinzukommen. | |
Seit 1970 beschäftigen Sie sich auch mit Filmerhaltung. | |
Wieder aus purer Notwendigkeit. Als wir die Anthology Film Archives | |
gründeten, wollten wir in unserem Kino die bestmöglichen Kopien zeigen. | |
Viele Filme waren verkratzt und in einem schlechten Zustand. Also fragten | |
wir die Filmemacher nach den Originalkopien, aber oft wussten die selber | |
nicht, wo sie sind. Daher machten wir uns auf die Suche, damit von den | |
bestmöglichen erhaltenen Kopien neue gezogen werden konnten. | |
Sie selber drehen allerdings schon seit den späten 80er-Jahren auf Video. | |
Für meine Arbeit ist es sehr gut, dass die Filmlabore schließen und das | |
analoge Filmmaterial verschwindet. Ich hatte das Gefühl, mich mit meiner | |
Bolex-Kamera zu wiederholen. Daher bin ich glücklich, auf Video zu drehen. | |
Es geht vorwärts: von Film zu Video zum Internet. Die Möglichkeiten werden | |
immer vielfältiger. Und ich bin für alle diese Möglichkeiten. | |
Letztes Jahr haben Sie jeden Tag einen kurzen Film gemacht und ihn auf | |
Ihrer Homepage veröffentlicht. Eine ganz schöne Energieleistung, nicht nur | |
für einen 85-Jährigen. | |
Das war die Herausforderung beim "365 Day Project". Ich wollte nicht einen | |
einzigen Tag verpassen. Ich habe ja schon vorher mein Leben festgehalten, | |
aber es gab viele Tage, an denen ich gar nichts gefilmt habe. Jetzt musste | |
ich filmen oder zumindest nach Material suchen, das ich zuvor auf Film oder | |
Video aufgezeichnet hatte. Dann musste ich entscheiden, will ich andere an | |
diesem Tag im Internet daran teilhaben lassen. Außerdem wollte ich nicht zu | |
viele Tage hintereinander ähnliches Material ins Netz stellen. Es sollte | |
unterschiedlich sein. | |
Wie sehen Sie die Konkurrenz von YouTube? | |
Was auf YouTube gezeigt wird, ist in gewisser Hinsicht nicht viel anders | |
als das, was ich gemacht habe. Vielleicht ist es manchmal sogar besser als | |
meine Sachen. Es gibt dort so viel unterschiedliches Material zu sehen, | |
weil so viele Leute von überallher mitmachen. Denen ist egal, was sie | |
zeigen. Ich mag aber gerade dieses beiläufige Material. So albern einige | |
finden, was sie da sehen. | |
Kulturpessimismus scheint nicht Ihre Sache zu sein. Auch in Ihren Filmen | |
zeigen Sie fast immer nur die schönen Seiten des Lebens. | |
Ich werde immer wieder gefragt: Warum filmst du nicht auch die negative | |
Seite des Lebens? Meine Antwort ist: Ich überlasse es anderen, das zu | |
zeigen. Ich möchte Situationen fördern, in denen Menschen am Leben und der | |
Welt um sie herum Spaß haben. Das hat etwas mit meiner Kindheit in Litauen | |
zu tun, wo die Menschen in allen vier Jahreszeiten das Leben gefeiert | |
haben. Ich filme, was mich glücklich macht. Ich nenne das immer | |
"Bruchstücke des Paradieses". Das sind die Dinge, die niemandem schaden und | |
unser aller Leben humaner und schöner machen. Das ist meine Politik. | |
10 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Sven von Reden | |
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Nachruf | |
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