# taz.de -- Bollywood-Kino im Zeichen des Terrorismus: Bombay, mon amour | |
> Bollywood-Kino ist mehr als Tanz und Gesang. Es saugt die Träume und | |
> Albträume der indischen Gesellschaft auf - fast tagesaktuell, wie zwei | |
> neue Filme über den Terrorismus zeigen. | |
Bild: Muslimische Bollywood-Stars demonstrieren in Bombay gegen den Terrorangri… | |
Kommt ein Mann mit Superman-T-Shirt auf die Polizeistation und beschwert | |
sich. Er ist ein Kinostar und hat am Set seines neuesten | |
Bollywood-Actionfilms einen Drohanruf erhalten. Der Polizeichef (Anupam | |
Kher) nimmt ihn nicht ernst und schickt ihn nach Hause. "Ich bin", klagt | |
der Mann, "Mitglied einer Minderheit." Der Polizeichef mustert ihn fragend. | |
"Als Hindu in der Filmindustrie von Bombay. Hier regieren doch die Moslems, | |
die Khans." Der Superheldendarsteller als Hindu-Mimose: seltsamer Auftritt | |
in einem Film, in dem es doch eigentlich um etwas anderes geht. Den Terror | |
nämlich, oder genauer gesagt, seine Auswirkungen auf die Psyche der von ihm | |
Betroffenen und Bedrohten. | |
"A Wednesday" heißt der Film, in die indischen Kinos kam er am 5. | |
September, keine drei Monate vor den jüngsten verheerenden Anschlägen in | |
Bombay. "A Wednesday" erzählt, scheint es zunächst, die Geschichte eines | |
Mannes, der vier islamistische Terroristen mit Al-Qaida-Verbindungen | |
freipressen will. Sonst gehen, droht er, in der ganzen Stadt Bomben in die | |
Luft. Der Film macht einen - übrigens fabelhaft spannenden - Thriller aus | |
dieser Geschichte. Auf den Bollywoodstar des Beginns kommt er nicht zurück, | |
der dient nur dazu, den religiösen Sprengstoff, der in diesem Plot auch für | |
die indische Filmindustrie steckt, zu entschärfen. | |
Zu den erstaunlichsten Zügen des Hindi-Kommerzfilms der Gegenwart gehört, | |
dass nicht wenige seiner Superstars - Shah Rukh Khan, Aamir Khan, Saif Ali | |
Khan - Muslime sind. Noch erstaunlicher ist es, dass sie zu Superstars | |
ausgerechnet in einer Zeit wurden, in der der Hindu-Nationalismus | |
bedrohlich erstarkte und nicht nur auf der nationalen Bühne, sondern mit | |
dem radikalen Fundamentalisten Bal Keshav Thackeray auch im Bundesstaat | |
Maharashtra (dessen Hauptstadt Bombay ist) an die Macht gelangte. Einfache | |
Erklärungen dafür gibt es nicht - aber ganz sicher ist es, dass alltägliche | |
Diskriminierung nicht durch die weithin sichtbaren Ausnahmen widerlegt | |
wird. | |
Worauf "A Wednesday" eigentlich hinauswill, zeigt sich erst nach der | |
verblüffenden Wendung des Films. Der Bombenterrorist will in Wahrheit die | |
Islamisten gar nicht freibekommen, sondern töten. "Ich bin ein ganz | |
normaler, kleiner Mann", wiederholt er, vom Dach eines Hochhauses alles | |
beobachtend, immer wieder. Der Film ist dabei ganz auf der | |
Selbstjustiz-Seite der Hauptfigur, indem er dem Erpresser eine konkrete | |
Vorgeschichte gibt. Er hat den Anschlag auf einen Zug in Bombay im Jahr | |
2006, der viele Todesopfer forderte, nur durch Glück überlebt. Seine Rache | |
begreift "A Wednesday" darum ausdrücklich als gerecht. Die | |
Religionszugehörigkeit seines mörderischen Helden verschweigt er | |
ausdrücklich, indem er dem Zuschauer seinen Namen vorenthält. | |
Symptomatisch ist, dass niemand in Indien diesen Film, dessen Hauptfiguren | |
von zwei der besten Charakterdarsteller des Landes gespielt werden, als | |
Volksverhetzung begriff. Die Hinrichtung islamistischer Terroristen ohne | |
Recht und Gesetz gilt offenkundig als Heldentat. | |
Sehr viel differenzierter, wenngleich ästhetisch um einiges unbeholfener | |
nähert sich "Mumbai Meri Jaan" ("Bombay, meine Liebe" - der Film kam fast | |
zeitgleich mit "A Wednesday" in die Kinos) dem selben, erst zwei Jahre | |
zurückliegenden Anschlag auf den Vorortzug. Erzählt werden fünf | |
exemplarische Einzelgeschichten: die eines Polizisten kurz vor dem | |
Ruhestand; die eines Mannes aus niederer Kaste (gespielt von Irrfan Khan, | |
den man im Westen aus Wes Andersons "Darjeeling Limited" kennen kann), der | |
nach einer Demütigung die Stadt mit Bombendrohungen in Angst und Schrecken | |
versetzt; die einer Fernsehreporterin, die ihren Bräutigam bei dem Anschlag | |
verliert; die eines umweltbewussten Managers, der den Anschlag überlebt, | |
aber seinen Alltag hinterher, traumatisiert, kaum noch bewältigen kann. | |
Die interessanteste Geschichte ist die des Hindu-Nationalisten Suresh (Kay | |
Kay Menon), der gleich zu Beginn als Zinedine-Zidane- und Muslim-Hasser | |
eingeführt wird - im Fernsehen läuft die WM - und nach dem Anschlag in | |
jedem Muslim einen Terroristen zu wittern beginnt. Er ist pleite, aber | |
einen lukrativen Auftrag von Muslimen nimmt er nicht an. Bald rennt er | |
sogar mit einem Propaganda-T-Shirt, auf dem groß eine Swastika prangt, | |
durch die Gegend. (Die Swastika ist, als hinduistisches Symbol, zwar recht | |
präsent in indischen Städten, hier aber erhält sie eindeutig eine | |
hindu-nationalistische Bedeutung.) Er jagt einen Mann, den er ohne | |
vernünftigen Grund für den Drahtzieher des Bombenanschlags hält. Bald wird | |
jedoch klar, dass Suresh die eigentliche Identifikationsfigur des Films | |
ist, der nämlich von seiner Läuterung erzählt. Suresh, der | |
Hindu-Nationalist, sieht ein, dass er aus Hass und Vorurteil in die | |
ideologische Irre geraten ist, und versöhnt sich mit dem muslimischen Mann, | |
den er für einen Terroristen hielt. | |
Davon abgesehen lässt "Mumbai Meri Jaan", zu beinahe allem entschlossen, | |
kaum ein heikles Thema der indischen - und nicht nur der indischen - | |
Gegenwart aus: von Umweltzerstörung bis Polizeikorruption, von der | |
Zerstörung des World Trade Centers bis zur scharfen Kritik an der | |
Ausbeutung des Terrors im Fernsehen. Eindrucksvoll und mehr als drastisch | |
zeigt der Film nicht nur den Anschlag selbst - man sieht Menschen | |
buchstäblich in Fetzen gehen -, er macht auch die Allgegenwart der | |
Bombenangst in Bombay hinterher deutlich. | |
Die beiden Filme - und einige weitere - zeigen, dass Bollywood sehr viel | |
mehr ist als der Masala-Eskapismus, der als beinahe einzige Spielart des | |
indischen Kommerzkinos im Westen Aufmerksamkeit bekommt. (Was nicht heißen | |
soll, dass das jüngste Produkt dieser Art, der bei uns vorletzte Woche | |
gestartete "Rab Ne Bana Di Jodi" mit Shah Rukh Khan, nicht ganz und gar | |
hinreißend ist.) "A Wednesday" ist 100 Minuten kurz und kommt völlig ohne | |
Tanz und Gesang aus. "Mumbai Meri Jaan" ist in der Hinsicht noch | |
interessanter. Am Ende der ersten Hälfte und kurz vor Schluss setzt er | |
typische Bollywood-Songs ein, um die fünf Stränge seiner Geschichte zu | |
einer großen, sozusagen kommunalen Montage zu verknüpfen. Die von den | |
Anschlägen je unterschiedlich traumatisierten Figuren werden auf den | |
Straßen Bombays zusammengeführt. Nicht durch die Erzählung, sondern durch | |
den Schnitt und vor allem: durch die Musik. | |
Die schlägt ganz am Schluss vom Tragischen ins Fröhliche um. Zu hören ist | |
auf einmal ein klassischer Song, nämlich "Yeh Hai Bombay Meri Jaan" aus dem | |
Film "C.I.D." von 1954 (den Song kann man auf YouTube hören und sehen). | |
Dieser großartige Film war bereits eine Hymne an die Vitalität der | |
Millionenstadt Bombay. Die Botschaft von "Mumbai Meri Jaan" ist also klar - | |
es ist dieselbe, die bereits Mani Ratnam in seinem Film "Bombay" (1995) | |
hatte, der sich um die verheerenden Anschläge von 1993 drehte: Nur die | |
Versöhnung der unterschiedlichen Religions- und Gesellschaftsgruppen wird | |
das Überleben der aus allen Nähten platzenden Metropole sichern. | |
Das mag man banal finden. Dass es aber in der nationalen | |
Diskursstiftungsmaschine Bollywood so deutlich gesagt wird, sollte man in | |
seiner Wirkung nicht unterschätzen. Und weil das Hindi-Kino zugleich so | |
krass kommerziell wie in mancher Hinsicht bedenkenlos ist, sind die ersten | |
Filme über die jüngsten Anschäge mit Titeln wie "Operation 5 Star Mumbai" | |
oder "26/11 Mumbai Under Terror" bereits angekündigt. Nicht zuletzt das | |
macht ja die Faszination von Bollywood aus. Es gibt kaum einen Gegenstand, | |
der nicht in die Gefühls- und Erzählmuster dieses Kinos transformiert | |
werden könnte. Die indische Gesellschaft träumt und albträumt sich in ihren | |
Filmerzählungen ganz offen und beinahe tagesaktuell selbst. | |
21 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
## TAGS | |
Reiseland Indien | |
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