# taz.de -- Debatte Staatszerfall in Afrika: Institutionen statt Diktatoren | |
> Guinea, Simbabwe: Vielen afrikanischen Staatswesen droht Zerfall - denn | |
> jenseits der alten Führer fehlen Strukturen. Doch das postkoloniale | |
> Freiheitsideal ist noch zu retten. | |
"Wir ziehen die Armut in Freiheit dem Reichtum in Knechtschaft vor", war | |
der Schlachtruf des stolzen guineischen Revolutionärs Sékou Touré, als er | |
Guinea vor fünf Jahrzehnten in die Unabhängigkeit führte. Als einziger | |
politischer Führer Französisch-Westafrikas hatte Touré bei der von General | |
de Gaulle organisierten Volksabstimmung über die Zukunft des | |
Kolonialreiches für ein Nein zur Kolonialmacht geworben - erfolgreich. Das | |
gekränkte Frankreich bestrafte ihn, indem es Guinea am 12. Oktober 1958 in | |
eine unvorbereitete Unabhängigkeit entließ, mit bis auf den letzten | |
Bleistift leer geräumten Büros und einer bewusst zerstörten administrativen | |
und ökonomischen Infrastruktur. | |
Mit seinem Spruch von "Armut in Freiheit" wollte Sékou Touré die Bestrafung | |
zur Befreiung umdefinieren. Guinea sah sich als Vorreiter eines aufrechten, | |
geeinten Afrikas, das in der Welt als gleichberechtigter Mitspieler statt | |
als unterwürfiger Rohstofflieferant auftritt. Es war ein schöner Traum, der | |
schnell platzte. Sékou Touré und sein Nachfolger Lansana Conté, der 1984 | |
die Macht ergriff, bauten finstere Diktaturen auf, die Menschen leben heute | |
in unbeschreiblichem Elend. 50 Jahre nach dem Beginn der "Armut in | |
Freiheit" kennt Guinea vor allem Armut in Knechtschaft. | |
Nun ist Diktator Conté gestorben, und Guinea könnte zum Brandherd eines | |
blutigen Bürgerkrieges werden. Guineas Armee, die jetzt die Macht zu | |
ergreifen scheint, schießt gerne auf unbewaffnete Zivilisten. In den Slums | |
der Hauptstadt Conakry gärt eine gewaltbereite, radikale Jugendopposition. | |
Seit Jahren ist die Politik des Landes wie erstarrt, weil auf den Tod des | |
schwerkranken Staatschefs alle öffentlichen Akteure warteten - die durch | |
Diebstahl reich gewordene Elite um den bisherigen Präsidenten, die | |
Offiziere der aufsässigen Armee, die frustrierten Technokraten in | |
Staatsbetrieben und Ministerien, die militanten Gewerkschaften, die | |
ethnisch zerstrittene zivile Opposition. Nun sind sie unter sich - und | |
keiner gönnt dem anderen freiwillig den Vortritt. | |
Guinea und Lansana Conté sind keineswegs einzigartig. So hat Somalia nie | |
zur funktionierenden Staatlichkeit zurückgefunden, seit Anfang 1991 der | |
langjährige Militärherrscher Siad Barre gestürzt wurde. Die Seeräuberei als | |
drastischen Ausdruck dieses inneren Chaos sollen jetzt Kriegsmarinen aus | |
aller Welt bekämpfen. Kaum weniger Sorgen bereitet heute Simbabwe, das | |
unter Langzeitdiktator Robert Mugabe in einen albtraumhaften und schier | |
endlosen Niedergang geschlittert ist. Beobachter im In- und Ausland | |
mutmaßen, dass es zu Lebzeiten des Staatschefs keine Wende zum Besseren | |
mehr geben kann. | |
Simbabwe unter Robert Mugabe und Guinea unter Sékou Touré und Lansana Conté | |
haben so viel gemeinsam, dass es den Völkern beider Länder Angst machen | |
müsste. Simbabwes späte Unabhängigkeit 1980 nach langem Guerillakrieg war | |
ebenso untypisch für Afrika wie Guineas frühe Entkolonialisierung 1958. Mit | |
Mugabe schließt sich die von Touré begonnene illustre Reihe postkolonialer | |
afrikanischer Autokraten, die von Volkshelden zu Schreckensfiguren mutiert | |
sind. | |
Beide haben sie sich mit ihrem Land gleichgesetzt und - im Namen eines | |
zunehmend hohlen Anspruchs auf panafrikanische Führerschaft - jegliche | |
Kritik als unzulässigen Anschlag auf die Daseinsberechtigung der Nation | |
zurückgewiesen. Ebenso wie die beiden Führer Guineas hat auch Robert Mugabe | |
ein politisches System aufgebaut, das die Möglichkeit einer geordneten | |
Machtübertragung an einen neuen Präsidenten strukturell ausschließt. Das | |
System stirbt mit seinem Verkörperer, und vorher ist keine wesentliche | |
Veränderung möglich. | |
Eine Gemeinsamkeit solcher Systeme, überall auf der Erde, ist die | |
Unmöglichkeit einer ehrlichen Diskussion über ihre Veränderung. Solange der | |
allmächtige Herrscher lebt, kann man nicht offen darüber sprechen; aber | |
wenn er stirbt, ist es zu spät. Dann zählen nur noch die Macht des | |
Stärkeren und die politische Reife der möglichen Akteure. Die pragmatisch | |
beste Aussicht auf Stabilität bietet hier immer noch eine geordnete | |
Übertragung der Macht von einem Diktator auf den nächsten. Die | |
Freiheitshoffnungen der Bevölkerung bleiben dabei freilich in der Regel | |
weiter unberücksichtigt. | |
In extrem personalisierten Machtsystemen hängt jede Möglichkeit von Politik | |
überhaupt eben in erster Linie an Personen, nicht an Verfahren und Regeln. | |
Dass das Machtteilungsabkommen vom September 2008 zwischen Simbabwes | |
Präsident Mugabe und Oppositionsführer Morgan Tsvangirai nicht umgesetzt | |
wird, liegt an der Person Mugabe, nicht am Text des Abkommens. Guinea ist | |
auf dem Papier eine parlamentarische Demokratie, aber Präsident Conté sah | |
sich bis zuletzt als über dem Recht stehend, und die verfassungsmäßigen | |
Institutionen seines Landes blieben leere Hülsen staatlicher Macht. | |
Somalias Warlords haben mehr Friedensabkommen miteinander unterschrieben | |
als alle anderen Bürgerkriegsparteien Afrikas, aber von der Integration in | |
ein für alle verbindliches Staatswesen sind sie am weitesten entfernt. | |
Ist also jede Hoffnung vergebens? Keineswegs. Die Friedensprozesse und | |
Demokratisierungen, die inzwischen fast jedes afrikanische Land schon | |
mindestens einmal durchgemacht hat, können funktionieren. Schlüssel dafür | |
ist, dass jene Politiker, die sich durch ein politisches Abkommen einen | |
Freibrief für zukünftige Amtsanmaßung und illegale Bereicherung erhoffen, | |
von ihren eigenen Anhängern in die Schranken gewiesen werden. | |
In der Elfenbeinküste haben Regierung und Rebellen nach jahrelangem Krieg | |
und Spaltung des Landes einen provisorischen Ausgleich gefunden, der beiden | |
Seiten ein Interesse an sauberen Wahlen im nächsten Jahr gibt. In Nigeria | |
machte die im islamischen Norden verankerte Militärelite, die das Land | |
jahrzehntelang ausgeplündert hatte, vor neun Jahren ihren Frieden mit dem | |
neuen demokratischen System. Denn sie wurde zum einen nicht komplett | |
ausgeschlossen und konnte zum anderen ihr politisches Gewicht nur durch die | |
Akzeptanz ihrer einstigen Gegner wahren. | |
Das bekannteste Erfolgsmodell ist Südafrika, dessen weiße Minderheit sich | |
mit Demokratie und schwarzer Mehrheitsherrschaft einverstanden erklärte, | |
sobald klar war, dass ihr Lebensstil und -standard zumindest vorerst | |
erhalten bleiben würden. Südafrika, Nigeria und die Elfenbeinküste haben | |
mindestens ebenso machtversessene Politiker wie Simbabwe, Somalia und | |
Guinea, aber sie haben es geschafft, vom Rande des Abgrundes wegzusteuern. | |
Sékou Tourés alter Schlachtruf lässt sich eben auch innenpolitisch wenden: | |
Die Reichen akzeptieren die Machtbeteiligung der Armen, damit beide Seiten | |
ein Interesse an ihren Institutionen haben. Die Alternative führt ins | |
Desaster: Armut in Knechtschaft für die Massen und Reichtum in Freiheit für | |
die Ausgewählten. Eine größere Perversion des afrikanischen Freiheitsideals | |
hätte sich selbst Sékou Touré nicht träumen lassen. | |
24 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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