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# taz.de -- Stieg Larssons Millenium-Trilogie: Larsson lesen und lassen
> Verdammt! - Vergebt mir! Sie war meine ganz persönliche Verblendung des
> Jahres: Die Millennium-Trilogie des schwedischen Krimischriftstellers
> Stieg Larsson.
Bild: Als Zweijährige kann Agnes gehörte Melodien am Klavier nachspielen
Wenn man schon mal als erwachsener Mann und Sachbuchleser ein Buch
literarischen Inhalts nicht mehr aus der Hand legen mag, so kann man das
als Gnade begreifen. So ging es mir in diesem wunderbaren Sommer mit Stieg
Larsson.
Falls jemand die letzte Zeit auf einem fernen Planeten verbracht hat: Der
schwedische Journalist und Schriftsteller Larsson hatte gerade noch drei
Kriminalromane um den Journalisten Mikael Blomkvist und die
Internet-Hackerin Lisbeth Salander geschrieben, als er 2004 an einem
Herzinfarkt starb. Mit 50. Also ein klassischer Journalistentod. Diese
Millennium-Trilogie wurde posthum veröffentlicht und ein internationaler
Erfolg. Deutsche Titel: Verblendung, Verdammnis, Vergebung. Die ersten zwei
gibt es bei uns schon als Taschenbuch - Vergebung ist noch als gebundene
Ausgabe erhältlich, erscheint aber auch 2009 als Taschenbuch.
Der Plot: Toller, aufrechter Journalist in tollem, aufrechten Politmagazin
kämpft allein gegen Wirtschaftsschweine, Nazis, Regierung und legt nebenbei
zur Entspannung unverbindlich Frauen flach: War das nicht wie für mich
gemacht? Ich las Larsson wie in alten Zeiten Max Frisch, Frank Schulz und
Matthias Politycki. Freute mich schon auf den Abend, stahl tagsüber Zeit
dafür, also kurz gesagt: Die wunderbare Welt des Lesens war plötzlich
zurück. Wenn es dann auch noch zwei Folgebände gibt, umso besser. Was für
ein Leben!
Ich war mitten im zweiten Band, als ich in einer Konversation mit dem
Wuppertaler Mediävistikprofessor Eckhard Freise meine Lektüre erwähnte.
Freise hat ja Hoch- und Populärkultur als Millionengewinner im
RTL-Fernsehquiz von Günther Jauch versöhnt. (Die Hochkultur sieht das wohl
anders, aber das ist ihr Problem.)
Jedenfalls dachte ich, der stünde da auch drauf. Tat er nicht. "Alles
besser als das monoton redundante und dröge Knäcke-Wasa, was dem Liebhaber
humorfreier skandinavischer Krimis in Gestalt der Blomkvist-Salander-Trias
zugemutet wird", sagte er. "Das sind dicke Bücher, die tödlich wirken -
nicht nur, wenn sie geworfen werden."
Erst in diesem Moment merkte ich, dass ich tatsächlich selbst längst
angefangen hatte, mich zu langweilen.
Die weitere, "kritische" Lektüre ergab Folgendes: Die Charaktere sind sehr
glatt und eindimensional. Das fängt schon damit an, dass Blomkvist von
allen nur "Kalle" genannt wird. Weil er Blomkvist heißt, wie Astrid
Lindgrens Meisterdetektiv. (Und eigentlich ja auch dieser Kalle B. ist - in
der grausamen Welt des 21. Jahrhunderts?)
Blomkvist ist ein Journalist, der komplett in seiner Arbeit aufgeht und es
ansonsten seit 20 Jahren mit derselben Kollegin treibt (bequem) und mit
allem, was ihm sonst so über den Arbeitsweg läuft. Aber nur wenn seine
Arbeit ihm Zeit dafür lässt. Weil er sich nicht für Frauen interessiert
(nur für Entspannungssex zwischen der Arbeit), ist es sehr convenient, dass
sämtliche Frauen sofort und ohne unangenehme Verzögerungen mit ihm ins Bett
gehen, aber am nächsten Morgen brav verschwinden, ohne die gefürchtete
Zahnbürste im Bad zu hinterlassen.
Was Blomkvist antreibt, ist das Gute. Wie langweilig. Wie überhaupt alle
Guten nur gut sind - und alle Bösen böse. Ausnahme und daher potenziell
spannendster Charakter ist Lisbeth Salander, dieses psychisch labile
Internetgenie. (Bei Lindgren heißt Kalle Blomkvists Freundin übrigens
Eva-Lotte Lisander. Got it? LISbeth-SalANDER!)
Aber leider, nach 200 Seiten verliebt sich der potenziell interessante,
weil andere Charakter in Blomkvist. Die restlichen tausenden von Seiten tut
sich bei Frau Salander nichts mehr, außer dass sie sauer auf ihn ist.
(Spricht das für das ansonsten von Larsson kolportierte Frauenbild? Noch
mal drüber nachdenken.)
Die Kollegin von Blomkvist (Erika Berger) lebt in einer als glücklich
beschriebenen Ehe mit einem Künstler und treibt es mit Blomkvist, wann
immer er oder sie Zeit haben und nicht zu müde sind von der Arbeit für das
Gute.
Der Berger-Ehemann-Charakter bleibt komplett blass. Ruft sie an und sagt,
dass sie heute nicht kommt (weil sie bei Blomkvist kommt), findet er das
super.
Toll, dass so was überhaupt noch gedacht werden kann. Oder vielleicht sogar
in Schweden gedacht werden muss- aus Gründen der gesellschaftlichen
Moderne? Aber: Ein bisschen genauer möchte man schon wissen, wie sich das
emotional so ausgeht mit diesem Dreieck der ungetrübten Freude.
Larsson war Autor und Herausgeber des antifaschistischen Magazins Expo. Die
Zeitung von Blomkvist und Berger ist ein kleines, unabhängiges Magazin, das
die größten Schweinereien Schwedens aufdeckt, während alle anderen
schweigen. Das machen sie mit drei Journalisten und einer Sekretärin. Toll.
Aber wer bei einer großen Zeitung arbeitet und sich täglich um eine auch
nur pupskleine exklusive Geschichte müht, muss an der Qualität der eigenen
Arbeit verzweifeln. Berger wird dann Chefredakteurin eines angesehenen
Mainstreamblatts, macht also Karriere. Aber das Unternehmen ist erstens
nicht reformierbar und zweitens nur ökonomisch interessiert.
Desillusioniert, aber doch auch glücklich kehrt sie zurück zu ihrem
heimeligen Widerstandsblatt. Dort war übrigens zwischenzeitlich die
Sekretärin Chefin geworden (Blomkvist wollte lieber arbeiten und ließ sich
eh nichts sagen.) Die Sekretärin macht ihre Sache gut, tritt aber
ihrerseits glücklich und einsichtig zurück an den Katzentisch. Weil die
andere Frau einfach toller ist. Wer kennt solche Frauen nicht auch?
Das ist also die Welt, die Stieg Larsson der realen Welt entgegengesetzt
hat. Eine schöne Welt, man soll das nicht zynisch abtun. Ein wenig wie
früher in den Staaten üblich, die Literatur zur ideologischen Erbauung
ihrer Eingeschlossenen veranstaltete. Nur dass bei Larsson der Staat auch
böse ist.
So liest sich Larsson als Peptalk für die letzten aufrechten Linken in
einer schlimmen, durchkapitalisierten Welt. Da ist es konsequent, dass die
Großindustriellen und Wirtschaftsbosse allesamt Kriminelle und Irre sind,
die ihre Töchter schänden und ansonsten in Kellerverließen andere Menschen
zu Tode foltern. (Metapher beachten!)
Wirtschaftsschweinereien, Nazis, Medienschweine: Und alles komplett ohne
Ironie und ohne Witz erzählt. Ich würde dennoch nicht so weit gehen, wie
Professor Freise, der sagt: "Heiliger Kolportagius, gut, dass du deine
Blomkvist-Salander zu dir genommen hast."
Da ich alle drei Bände freiwillig gelesen und erst im zweiten gemerkt habe,
was abgeht, richtet sich die Kritik in erster Linie gegen mich. Verdammt!
Ich war verblendet. Vergebt mir.
P.S. Bei "Californication" habe ich es bereits in Folge eins kapiert. (Aber
den Rest trotzdem geschaut.)
27 Dec 2008
## AUTOREN
Peter Unfried
Peter Unfried
## TAGS
Roman
Krimi
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