# taz.de -- Joyce schlägt Schmidt satirisch k.o.: Heldenherzen mit heißen Fä… | |
> Sensation! 1930 verprügelte James Joyce das Talent Arno Schmidt in | |
> Zürich. Das bislang unbekannte Duell hatte entscheidenden Einfluss auf | |
> die Literaturgeschichte. | |
Bild: Von dem anstrengenden Boxtraining erholte Joyce sich mit immer einem gute… | |
Der 1979 verstorbene deutsche Schriftsteller Arno Schmidt notiert in seinem | |
Monumentalwerk "Zettels Traum" über einen Gegner, dieser "kam angerannt, | |
durch die k.o.tisch-graue BöenWelt". Die Anleihe bei einem Boxbegriff ist | |
nicht zufällig gewählt. Schmidt verweist vielmehr auf ein Ereignis, das im | |
Jahr 1930 stattfand und sowohl literatur- als auch sporthistorisch eine | |
Sensation darstellt: Am 25. April 1930 boxten im Vorprogramm eines | |
Großkampftages im schweizerischen Zürich der bereits 48-jährige irische | |
Schriftsteller James Joyce und der erst 16-jährige deutsche Gymnasiast Arno | |
Schmidt gegeneinander. | |
Erst jüngst aufgetauchte Quellen belegen fast zweifelsfrei, dass an jenem | |
Freitagabend im Zürcher Oerlikon-Radstadion wirklich dieser Kampf | |
stattfand, den Joyce durch K.o. gewann und dessen Bedeutung den spärlich | |
versammelten zeit- und eidgenössischen Zuschauern kaum bewusst gewesen sein | |
dürfte. | |
Boxhistorisch blieb das Ereignis ja auch ohne größere Folgen, denn aus | |
Schmidt, der als ungestümes Talent angereist war, wurde doch kein | |
Profiboxer, der große Börsen ziehen konnte. Und James Joyce, der zwar ein | |
paar mehr Kämpfe als Schmidt absolviert hatte, wurde letztlich nur als | |
einer der führenden Literaten des vergangenen Jahrhunderts gewürdigt. Seine | |
Boxerkarriere findet anders als bei anderen Schriftstellern - etwa Ernest | |
Hemingway oder Arthur Cravan - kaum Erwähnung. | |
Dabei berichtet Joyce sogar in seinem Hauptwerk "Ulysses" von seinem Kampf | |
gegen Schmidt. "Es war eine historische und eine schwere Schlacht", | |
schreibt er dort mit leicht ironischer Übertreibung. Wie viel Abstand er | |
später, als er diese Textstellen noch in den "Ulysses" einarbeitete, zu | |
diesem Ereignis hatte und mit wie viel eitler Begeisterung für sich selbst | |
er den Kampf doch bewertete, wird aus dieser in der dritten Person | |
geschriebenen Passage deutlich: "So gehandicapt er auch durch eine | |
Gewichtsunterlegenheit war, wußte Dublins Favorit dieselbe doch durch seine | |
schier überwältigende Geschicklichkeit im Ring wieder wettzumachen." | |
Joyce lebte damals in Zürich, durch jahrelanges Boxtraining hatte er sich | |
ein Augenleiden eingefangen, und er benötigte Geld für eine Operation. | |
Schmidt hingegen galt zu diesem Zeitpunkt noch als Boxtalent. 1928 war er | |
von Hamburg nach Görlitz gezogen. Bislang glaubten die Schmidt-Biografen, | |
er habe das getan, weil der Vater kurz zuvor gestorben war. Mittlerweile | |
weiß man jedoch, dass auch ein Angebot des Görlitzer Boxclubs von 1921 | |
vorlag, um das Talent von Hamburg nach Sachsen zu locken. | |
Boxen bot damals vielen jungen Männern eine Zukunftsperspektive: Im Jahr | |
zuvor war der damalige Halbschwergewichtler Max Schmeling in Dortmund als | |
erster deutscher Boxer Europameister geworden, und Sachsen, die Heimat des | |
Brecht-Freundes und mehrfachen deutschen Meisters Paul Samson-Körner, bot | |
gute boxerische Perspektiven. Das alles faszinierte den jungen Arno Schmidt | |
nachhaltig. Mehr als von Schmeling und Samson-Körner war Schmidt von dem | |
Kölner Boxer Hein Domgörgen angetan, der selbst auch literarisch wirkte. | |
"Es ging uns darum, die Schwächen des Gegners auszunutzen und ihn durch | |
eigene Fehler planmäßig kaputt zu machen", heißt es in Domgörgens 1932 | |
erschienenem Prosatext "Die Kölnische Schule oder Von Meister Wilhelm bis | |
Meister Hein". | |
Von dem Mittelgewichtler Domgörgen schaute sich der Leichtgewichtskämpfer | |
Schmidt viele technischen Finessen ab, und die gute Ausbildung, die er im | |
Görlitzer BC erhielt, tat ein Übriges. "In unserer Klasse genoß Arno bald | |
allgemein eine gewisse Achtung", schreibt Schmidts Schulkamerad Heinz | |
Jerofsky. Auch das Boxtraining schimmert in so mancher Formulierung des | |
Jugendfreundes durch: Sie "flachsten einander mitunter aber auch gehörig | |
an", schreibt er, und erst im jüngsten Licht der historischen Forschung | |
weiß man, was darunter zu verstehen ist. | |
Aber Arno Schmidt war zu ungestüm. Die Amateurlizenz, mit der er für | |
Görlitz bei Meisterschaften antrat, verlor er bald, weil er immer wieder | |
auf dem Rummel boxte, um ein bisschen Geld zu verdienen. Dort nahm er es | |
auch mit sauberer Technik nicht so genau. In "Zettels Traum" nimmt er | |
darauf Bezug. "da Wir an der letzten Bude vorbeitn" heißt es deutlich | |
autobiografisch : "und auch im Sieger des Faustkampfes, (im Gasthaus | |
vorhin), gor es unverkennbar: '10 Mark für einn SchulterSieg' ?" Wie später | |
als Schriftsteller, so warf Schmidt auch als Boxer schnell alle Regeln über | |
Bord: "(BOX= RING= CATCH=Meister; auch Fechtn möglich !)" | |
James Joyce hatte 1930 - anders als Arno Schmidt - längst | |
schriftstellerische Meriten erworben. Seinen "Dubliner" hatte er schon | |
1904, als 22-jähriger, weggehauen, zehn Jahre später stand er mit "Ein | |
Porträt des Künstlers als junger Mann" schon wieder im literarischen Ring, | |
und auch der "Ulysses", freilich noch nicht mit allen den Boxsport | |
betreffenden Stellen, fand schon weltweit Beachtung. Dass der | |
professionelle Boxsport für Joyce eine enorme Bedeutung hatte und er ihn | |
immer wieder genau analysierte, ergibt sich aus seinem Hauptwerk, dem | |
"Ulysses", an vielen Stellen. Einmal heißt es: "In Clohisseys Schaufenster | |
zog ein verblaßter Druck von 1860, Heenans Boxkampf gegen Sayers, seine | |
Blicke an. Starrende Wetter mit steifen breiten Hüten standen um den | |
verseilten Kampfring. Die Schwergewichte in leichten Lendenschurzen wiesen | |
einander sanft die knolligen Fäuste. Und auch sie pochen: Heldenherzen." | |
Dass Joyce wusste, dass er an diesem Freitagabend in Zürich mit Arno | |
Schmidt auf einen späteren Schriftsteller treffen würde, noch dazu einen, | |
der wie kaum ein zweiter in der deutschen Literatur von Joyce beeinflusst | |
sein sollte, ist allerdings völlig unmöglich. Vielmehr dürfte die | |
literaturhistorische Wirkung des Kampfes exakt umgekehrt erfolgt sein. Die | |
Begeisterung des Schriftstellers Arno Schmidt für James Joyce und sein | |
literarisches Werk wurden gerade in diesem Kampf gelegt. Metaphorisch | |
gesprochen wirkten Joyce Schläge auf Schmidt prägend. | |
Dabei ging Schmidt, von dem man vermuten kann, dass er mit Joyce Werk | |
damals noch nicht vertraut war, mit derselben Großschnäuzigkeit in den | |
Kampf, die ihn später als Kritiker anderer Autoren auszeichnete. "Der Rote | |
war wieder auf BühnenMitte gestapft", schreibt er über den Iren Joyce. "Er | |
blies die Bakkn so fürchterlich auf,/daß P lauthals lachDe; und ihm | |
zu=rief):"Schlukkn Se erstma den Eenn runter ! --"/(Worauf Jener Ihm die | |
rothaarije Faust zu=ballerte :!" | |
Die Schmidtsche Siegessicherheit fußte wahrscheinlich auf seinem | |
jugendlichen Übermut und auch darauf, dass er, obwohl Leichtgewicht, immer | |
noch schwerer war als Joyce, der vermutlich für diesen Kampf (hier sind die | |
Quellen nicht eindeutig) aus dem Federgewicht in Schmidts Gewichtsklasse, | |
das Leichtgewicht, gewechselt war. Auch die später im literarischen Werk | |
immer wieder auftauchende Selbststilisierung Schmidts als unverstandenes | |
Genie, das einer feindlich gesinnten Umwelt gegenüberstand, findet sich | |
sowohl im Kampf als auch in der Art, wie Schmidt in seinem Hauptwerk den | |
Kampf literarisch verarbeitete: "Und auf einmal, unfair ohne Vorbereitung | |
auf den Gelbm einsprängte:! aus=hohlte (als wolle er Mutti Erde spalltn :? | |
-:)" In Abgrenzung zum stets als "Roten" oder "Rothaarigen" bezeichneten | |
Iren Joyce nannte der Norddeutsche Schmidt sich gerne selbst den "Gelben". | |
Joyce, das wird in der literarischen Verarbeitung des Kampfes im "Ulysses" | |
offenbar, war nicht nur überlegen, er sah sich selbst auch so. Schmidt, | |
heißt es gönnerhaft, "machte sich an die Sache, indem er mit einem | |
mächtigen linken Haken eröffnete, welchen der irische Gladiator durch | |
Abschuß einer wohlplazierten Geraden vergalt." Zum Kampfergebnis, einem | |
K.o. in der zehnten Runde, heißt es im "Ulysses": "Jetzt ging es um die | |
Entscheidung, und es mußte sich zeigen, wer der bessere Mann war. Die | |
beiden kämpften wie Tiger, und die Erregung nahm fieberhafte Formen an." | |
Befriedigt bilanziert Joyce: "Es war ein sauberer und tüchtiger K.o." | |
Bei Schmidt liest sich der Kampfausgang anders: "- ersuchte | |
Jenem,beidfäustich,die Dauben einzuschlagen,('dem Gegner den Wind | |
abkneifn'):? - / Der ließ ihn 3 sec lang gewähren.,.,. - :und schoß dann, | |
seinerseits, 1 MagnHaken ab :!-(von jener Sorte,deren 2 gleichwertich sind | |
mit durch=&durch gerannt werdn -:?!-)" Dass dieser K.o. wirklich so sauber | |
war, wie Joyce behauptet, möchte Schmidt nicht bestätigen: "mußtn aber | |
schweigend, aus ziemich beboomøl Augn ansehen, daß der Sieger in ihre ganze | |
Richtung spuckde (son richtijn BauernQualster:!)" | |
Joyce stieg nach 1930 nie wieder in den Ring. Nach dem Kampf ließ er sich, | |
vermutlich von der Börse bezahlt, in Zürich die Augen operieren und ging | |
zurück nach London. Im Jahr 1941 starb er. Gegen wen er an diesem | |
Aprilabend 1930 geboxt hatte, erfuhr er nie. Wie viel ihm Boxsport | |
bedeutete, wie hoch er ihn gewichtete, hat Joyce, wiederum im "Ulysses", | |
notiert. Als er die "berühmten Söhne des Gesetzes und Kinder einer | |
auserwählten beziehungsweise verstoßenen Rasse", mithin berühmte Juden | |
auflistet, sind Vertreter aller Berufsgruppen erwähnt, die er, neben den | |
Schriftstellern, verehrte: "Felix Bartholdy Mendelsohn (Komponist), Baruch | |
Spinoza (Philosoph), Mendoza (Faustkämpfer), Ferdinand Lassalle (Reformer, | |
Duellant)." Die literaturwissenschaftliche Studie von J. Lawrence Mitchell, | |
"Joyce and Boxing", gibt darüber auch Auskunft. | |
Arno Schmidt, der von Anfang wusste, welcher literarische Heros ihm an | |
jenem Abend 1930 gegenübergestanden hatte, teilte diesen Kampf seiner nach | |
zu dechiffrierenden Verschlüsselungen gierenden Lesergemeinde nur durch | |
Andeutungen mit. Vermutlich hat Schmidt die boxerische Niederlage gegen | |
sein Idol Joyce, dem er, sowohl boxerisch als auch literarisch gesprochen, | |
zu früh begegnete, nie verschmerzt und stattdessen versucht, sie durch die | |
literarische Zuneigung zu kompensieren. Vermutlich ist der Umstand, dass | |
Schmidt, der kaum einem Schriftsteller Größe zugestand, ausgerechnet James | |
Joyce verehrte, durch diese frühe Boxbegegnung der beiden zu erklären. | |
Joyce hat sich Schmidts Respekt im Wortsinne erkämpft oder ihm diesen | |
eingebläut. | |
Ob Schmidts boxerische Laufbahn durch den schmerzhaften K.o. ausgerechnet | |
in seinem ersten (und letzten) Profikampf beendet wurde (bei dem es | |
übrigens unklar ist, mit welcher Lizenz er ihn bestritt: der Verband | |
deutscher Faustkämpfer führte ihn nicht als Mitglied) oder ob anderes | |
seinen weiteren Lebensweg bestimmte, lässt sich nicht sicher sagen. Erst | |
nach dem Zweiten Weltkrieg, den er als Soldat erlebte, wurde Schmidt | |
Schriftsteller. | |
Immerhin, eine Andeutung, dass es das Boxen war, das ihn zum Schriftsteller | |
machte, hat Arno Schmidt hinterlassen. "(FauSDigg.('make love to your | |
fist'hat NORMAN MAILER))" heißt es in "Zettels Traum". | |
26 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
## TAGS | |
James Joyce | |
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