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# taz.de -- Neue Synagoge: Sprungschanze fürs Judentum
> Erstmals in Deutschland wird eine Kirche zur Synagoge. Die Liberale
> Jüdische Gemeinde hofft, neue Mitglieder anzuziehen. Christen fragen
> sich, wo das Geld herkommt und ob Ärger mit Neonazis droht.
Bild: Kreuz abmontiert: Aus der Gustav-Adolf-Kirche wurde das Gemeindezentrum "…
Das in den Himmel ragende Kreuz an der Stirnseite des Gebäudes ist
abmontiert worden, die Glocken läuten nicht mehr und auch die Orgel hat
ihren Platz verloren. Die Gustav-Adolf-Kirche der evangelischen Gemeinde in
Hannover-Leinhausen verwandelt sich dieser Tage in das jüdische
Gemeindezentrum "Etz Chaim" - zu Deutsch "Baum des Lebens". Erstmals wird
in Deutschland aus einer christlichen Kirche eine Synagoge. Im Januar wird
sie nach einjährigem Umbau eingeweiht.
"Es ist traurig, dass es soweit gekommen ist, aber wir können froh sein,
dass unsere alte Kirche nicht abgerissen werden musste, sondern hier weiter
gebetet wird", sagt Reimund Kerkmann, einst Mitglied im Kirchenvorstand.
Kerkmann ist beeindruckt von der Art, wie seine Kirche, die viele wegen des
geschwungenen Daches "Sprungschanze" nennen, umgestaltet wurde. Vor allem
der größte Raum, in dem auch künftig Gottesdienste gefeiert werden, hat
sich verwandelt. Die bunten Glasfenster verschwanden. Die Sonne fällt durch
ein neues Glasdach. Der ganze Raum wirkt hell und freundlich, wofür
künstliches Licht hinter stoffbespannten Wänden sorgt. An der Seite sind in
beleuchteten Vitrinen Gebetsbücher und Leuchter ausgestellt.
"Es ist gut, dass hier richtig saniert wurde. Wir konnten uns unsere Kirche
ja auch nicht mehr leisten, weil hier buchstäblich das Geld zum Fenster
hinaus geheizt wurde", sagt Kerkmann, nach dessen Worten in seiner Gemeinde
der Verkauf einhellig unterstützt wurde.
Fällt das Stichwort "Geld", dann ändert sich plötzlich die Stimmung bei
etlichen Mitgliedern der evangelischen Gemeinde. Dazu zählten einst 4.000
Christen, heute sind es noch rund 1.200 - immer noch doppelt so viele wie
in der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, die die Synagoge kaufte und
für 3,2 Millionen Euro umbauen ließ. Wo haben die eigentlich das ganze Geld
dafür her, fragen manche misstrauisch?
Das Land Niedersachsen gab rund eine Million Euro, eine weitere Stadt und
Region Hannover. Das letzte Drittel finanzierte die jüdische Gemeinde durch
Spenden und durch Eigenarbeit.
Geld vom Staat gab es, weil in dem neuen Gemeindezentrum Menschen aus der
ehemaligen Sowjetunion beraten werden, die die Mehrheit der 600 Mitglieder
aus insgesamt 14 Nationen stellen, und oft wegen Problemen mit der
deutschen Sprache Unterstützung suchen. Außer der Beratungsstelle ist ein
Café und ein Jugendzentrum geplant, einen jüdischen Kindergarten gibt es
schon.
Die in der Nachbarschaft lebenden Senioren der Gustav-Adolf-Kirche, für die
das Gemeindezentrum bisher ein Treffpunkt war, müssen nun in die zwei
Kilometer entfernte Herrenhäuser Kirche, mit der die Leinhausener Gemeinde
fusionierte. Josef Fieseler, aktiv in der katholischen Kirche in
Leinhausen, bedauert etwas anderes: "Wir Katholiken haben immer eng mit den
Evangelen vor Ort zusammengearbeitet. Durch ihren Wegzug wird die Ökumene
schwieriger." Auch die Polizeiautos, die nun häufiger im Stadtteil zu sehen
sind, wirken nicht nur beruhigend. "Hoffentlich holen wir uns durch die
Synagoge keinen Krawall ins Viertel", lautet die öfter zu hörende, leicht
verklausulierte Sorge vor Neonazis.
Für Katarina Seidler, zweite Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde,
vollendet sich dagegen ein Traum. Die viel zu engen Büros, die bisher als
Versammlungsstätte dienten, werden durch eine echte Synagoge ersetzt.
Zugleich bekommt die Gemeinde erstmals einen eigenen Rabbiner.
Seidler hofft darauf, dass ihre Gemeinde wächst - bisher steht sie im
Schatten der konservativen jüdischen Gemeinde Hannovers, die rund 5.000
Mitglieder zählt. Im Gegensatz zu ihr sitzen bei den Liberalen Männer und
Frauen im Gottesdienst nicht getrennt. Die Geschlechter gelten als
gleichberechtigt.
29 Dec 2008
## AUTOREN
Joachim Göres
## TAGS
Glaube, Religion, Kirchenaustritte
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