# taz.de -- Palästinenser unter Beschuss: Der Lagerkämpfe müde | |
> Während Israel weiter den Gazastreifen bombadiert, regen sich auch im | |
> Westjordanland Proteste. Größer sind aber die Resignation - und die Angst | |
> vor einer dritten Intifada. | |
Bild: Ein wenig Protest und viel Resignation: die Lage innerhalb der Mauer. | |
Es ist Nachmittag und Amin Nubani sitzt immer noch im Schlafanzug vor dem | |
Fernseher. Er schaltet von al-Dschasira zu CNN und wieder zurück. | |
Fassungslos starren er und seine 13-jährige Tochter Salwa auf die Bilder | |
von verstümmelten Kinderleichen, zerbombten Häusern und überfüllten | |
Krankenhäusern in Gaza. "Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll", sagt der | |
graubärtige Geschäftsmann und tritt auf die Terrasse seines Hauses auf | |
einem Hügel am Rande Ramallahs. "Was würden Sie machen, wenn Sie in Berlin | |
mit ansehen müssten, wie Landsleute in Frankfurt bombardiert werden?" | |
Von der Terrasse reicht der Blick bis zu den adretten Reihenhäusern einer | |
jüdischen Siedlung, zum berüchtigten Gefängnis Ofar sowie einer | |
israelischen Militärbasis. Richtung Jerusalem verfinstert schwarzer Rauch | |
die Sicht, Hubschrauber knattern. "Dort beim Checkpoint Kalandia liefern | |
sich Palästinenser eine Schlacht mit israelischen Soldaten", weiß Nubani | |
aus dem Fernsehen. | |
Nubanis Frau Hayfa erinnern die Schüsse an die Zeit der zweiten Intifada. | |
"Unser Haus lag damals genau in der Schusslinie. Deshalb haben wir zwei | |
Jahre lang im Keller gelebt", erzählt sie und zeigt die Einschusslöcher in | |
den Jalousien, am Türschloss und im Wohnzimmerschrank. Hayfa Nubani hat | |
Angst, dass die Angriffe auf Gaza auch die relative Ruhe der vergangenen | |
Jahre im Westjordanland beenden könnten. | |
Im Stadtzentrum sind die Proteste bislang friedlich. Zwei zerfledderte | |
Palästinaflaggen wehen auf dem zentralen Manara-Platz im kalten Wind neben | |
dem Weihnachtsbaum, dessen bunte Lichter aus Solidarität mit den Opfern im | |
Gazastreifen aus bleiben. Stattdessen leuchten Kerzen auf den steinernen | |
Löwen, die die Gründungsfamilien der Stadt symbolisieren. Demonstranten | |
schlagen auf Kochtöpfe und lärmen mit Rasseln, die | |
Al-Dschasira-Korrespondentin nutzt sie als Kulisse für ihren Bericht aus | |
dem "besetzten Ramallah". Wird der Lärm in Gewalt umschlagen? Murad, der in | |
der Saftbar mit Blick auf die Löwen Orangen auspresst, zuckt mit den | |
Schultern. "Es gibt viele, die dagegen etwas unternehmen möchten", sagt der | |
24-Jährige und deutet auf eine Zeitungsseite voller grausamer Fotos. "Das | |
Massaker geht weiter", lautet die Überschrift. "Aber es wird schwer, etwas | |
zu tun. Die Behörden wollen keine Selbstmordanschläge, und dann gibt es ja | |
auch noch die Mauer." | |
"Einheit, Einheit", "Gaza, Gaza", skandieren die Demonstranten. Es sind | |
nicht mehr als ein paar hundert, ein kleines Häufchen im Vergleich zu den | |
Massen, die in Amman oder Kairo auf die Straßen gehen. Vor den Kameralinsen | |
schwenken sie gelbe und rote Fahnen, die für die herrschende Fatah und | |
linke Gruppierungen stehen. Einer alten Frau reißen sie die grüne Flagge | |
der Hamas aus der Hand. Mit Maschinengewehren bewaffnete Polizisten | |
beobachten die Szene, ein Krankenwagen steht bereit. Ein Sprecher der | |
Autonomiebehörde hatte Anfang der Woche gewarnt, die palästinensischen | |
Sicherheitskräfte würden "entschlossen vorgehen gegen jene, die die | |
Proteste ausnutzen, um Stimmung gegen die Regierung zu machen". | |
"Unser Land ist besetzt und uns wird nicht einmal unser legitimes Recht auf | |
Widerstand zugebilligt", empört sich Christo Burscheh. Als die Parteigänger | |
abgezogen sind, steht der Zahnarzt zusammen mit Freunden am Manara-Platz | |
und singt Lieder für ein "freies Palästina". "Die Besatzungsmacht sperrt | |
1,5 Millionen Menschen in ein Gefängnis und wirft dann Bomben auf sie ab. | |
Und die sogenannte internationale Gemeinschaft unterstützt Israel dabei | |
auch noch", sagt Burscheh. "Das treibt die Leute in die Hände der Hamas." | |
Vom Manara-Platz führt die Hauptstraße hinunter in die Altstadt. Dort sitzt | |
Omar Dschibril vor seinem Laptop und tauscht Nachrichten mit Freunden aus. | |
Der 27-Jährige hat sein Foto im Online-Netzwerk Facebook durch einen | |
schwarzen Kasten ersetzt, ein Zeichen der Trauer. Die Silvesterparty hat er | |
abgesagt, auch zu Demonstrationen geht Omar nicht mehr. "Ich lasse mich | |
nicht von den Parteien einspannen", sagt er. "Statt gemeinsam etwas auf die | |
Beine zu stellen, kocht jede Partei ihr eigenes Süppchen." Freunde seien | |
zur israelischen Militärbasis gezogen und hätten Steine geworfen, als die | |
Angriffe auf Gaza begannen, erzählt Dschibril. Sein Handy klingelt: In | |
einem Dorf in der Nähe ist ein Steinewerfer getötet worden. | |
Dass Hamas-Führer Chaled Meschal mit seinem Aufruf zu einer dritten | |
Intifada Erfolg haben könnte, glaubt Dschibril jedoch nicht. "Die Menschen | |
haben genug davon. In der letzten Intifada haben sie alles verloren: ihre | |
Arbeit, ihr Geld, ihre Zukunft … und viele ihr Leben. Das will keiner | |
mehr." | |
"Die Intifada hat bereits begonnen", sagt hingegen der Bürgerrechtler | |
Mustafa Barghuti. "Jedenfalls wenn man darunter das zivile Aufbegehren | |
gegen die Besatzung versteht." Mit einem gewaltsamen Aufstand rechnet auch | |
Barghuti nicht. "Im Westjordanland haben wir in den vergangenen Jahren | |
gelernt, friedlich zu demonstrieren." Der Autonomiebehörde wirft der | |
54-Jährige vor, gegen gewaltfreie Proteste vorzugehen. "In Hebron schossen | |
palästinensische Soldaten auf palästinensische Demonstranten. Das ist ein | |
riesiger Fehler." | |
Sollte demnächst gewählt werden, wird die Fatah ihre Mehrheit im | |
Westjordanland verlieren, prognostiziert Barghuti. "Die Menschen haben | |
keine Lust mehr auf Lagerkämpfe. Sie gehen als Palästinenser auf die | |
Straße, sie wollen die Einheit." Bei den nächsten Wahlen schlage die Stunde | |
der Unabhängigen, sagt Barghuti, der als Kopf der Bürgerrechtsinitiative | |
Al-Mubadara bereits 2005 für das Amt des Palästinenserpräsidenten | |
kandidiert hatte. | |
Oben auf dem Hügel am Rand der Stadt reißt sich Salwa Nubani vom Fernsehen | |
los. Sie will den Abend zum Lernen nutzen. "Nach der Schule will ich | |
Medizin studieren", hat sie in den vergangenen Tagen beschlossen. "Als | |
Ärztin kann ich meinem Land wenigstens helfen, wenn so etwas wieder | |
passiert." | |
31 Dec 2008 | |
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