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# taz.de -- Livealbum David Bowie: Eine Idee unterkandidelter
> Von Bowie-Konzerten kursieren viele Bootlegs. Etwa "Santa Monica 72",
> aufgenommen bei der Ziggy-Stardust-Tour. Nun ist es offiziell erschienen.
Bild: 15 Jahre nach 1972: Bowie mit fluffiger Fönfrisur.
Manchmal wundert man sich über die Entscheidungen von Plattenfirmen, etwas
zu veröffentlichen oder von Veröffentlichungen abzusehen, Material also
weiter in der Hinterhand zu behalten. Gerade im Fall von David Bowie, dem,
neben Bob Dylan und den Rolling Stones, wohl am meisten gebootlegten
Musiker der Popgeschichte. Mehr als dreihundert gebootlegten Konzerten
stehen lediglich drei offizielle Live-Doppelalben gegenüber - sieht man
einmal von den remasterten, titelmäßig teils umgestellten
Wiederveröffentlichungen, einem Live-Album aus der Tin-Machine-Episode und
Live-Versionen von Songs ab, die es als Bonustracks auf
Neuveröffentlichungen schafften.
Die offiziellen Live-Alben - "Stage" (1978), "David Live at the tower of
Philadelphia" (1974) und "Ziggy Stardust, The Motion Picture" leiden alle
mehr oder weniger an den typischen Krankheiten von Live-Platten großer
Künstler. Sie wurden mit großem Aufwand aufgenommen - "recorded as if it
was a studio album", wie Tony Visconti über die Aufnahmen von "Stage"
einmal sagte. Dieser große Aufwand führte aber zu einer Schwächung der
Live-Situation: Man spielte ja nicht mehr nur für das tatsächlich anwesende
Publikum, sondern gleichzeitig auch für das Album, das aus dem gespielten
Material bestehen würde und für die Nachwelt, die sich das alles dann
später mal im Wohnzimmer anhören sollte. Gerade im Fall von Bowie ein
Problem - war er doch performance artist mehr noch als recording artist.
Zumal die Aufnahmen später in einer Weise im Studio nachgearbeitet wurden,
die der Eitelkeit der Musiker (und Toningenieure) vermutlich schmeichelt,
die ihre Musik nun so hören konnten, wie sie gedacht und gemeint war -
niemand verspielt sich, deutlich voneinander abgegrenzt hört man die
verschiedenen Instrumente, das Publikum wird nur am Ende der einzelnen
Stücke hochgedreht. Nur: Im echten Konzert hatte es sich nie so angehört.
Für "Stage" etwa wurde der Anfang von "Station to Station" in Boston, der
Mittelteil in Providence und das Finale dann wieder in Boston aufgenommen.
Damit das klappte, war der Drummer Dennis Davis angewiesen worden, exakt
immer das gleiche Tempo zu spielen. Das tat er dann auch, und so ließen
sich die Teilstücke tatsächlich sehr schön aneinanderfügen.
Der grundlegende Unterschied zwischen einem Studio- und einem Live-Album
besteht aber darin, dass es im Falle des Studio-Albums kein zeitlich
begrenztes Ereignis gibt, das wie beim Live-Album versucht wird zu
reproduzieren. Wobei es das auch bei Live-Alben in der Reinform selten
gibt. Viele sind ja Idealisierungen, die nicht ein einzelnes Konzert,
sondern eine Idee abbilden sollen (wie bei "Woodstock", die Mutter aller
Live-Alben), oder die eben die Quintessenz einer Tournee (für die Fans:
einer Lebensphase ihres Stars) liefern sollen. "Stage" war die "Station to
Station"-Tournee (die Drogenphase). "David Bowie Live" die
Diamond-Dogs-Tournee (die Wiederauferstehung-nach-Ziggy-Stardust-Phase).
Wie bei jeder Idealisierung geht der reale Körper dabei ein bisschen
verloren.
Der Fan aber sehnt sich nach Kommunikation mit seinem Star, nach dem
individuellen Körper, der sich durch verborgene Risse mitteilt. Das Herz
des Fans bebt nicht bei der perfekten Aufführung, sondern bei Versprechern,
fehlerhaften Einstiegen (legendär das Konzert in Los Angeles - auf dem
Bowie zweimal versehentlich "TVC 15" angespielt und dann wieder abgebrochen
hatte), wenn der Sänger den Text des tausendmal schon gesungenen Lieds
plötzlich vergessen hat (wie in New York, als Bowie dieses Vergessen mit
einem charmanten Lachen vergessen machen wollte), wenn er abweicht vom
gewohnten Text (wie 1976 in Zürich zum Abschluss der Bandvorstellung: "Im
David Bowie and you are the audience") oder wie 1976 in Berlin, als er
während einer völlig hypnotischen Aufführung von "Stay" die Fans
auffordert, backstage zu kommen.
So gibt es - gerade bei Bowie - zwei Werkebenen: das offizielle Werk für
das Normalpublikum, die Bootlegs für die Fans. Und das berühmteste: "His
Masters Voice", das von Pennebaker gefilmte Konzert im Hammersmith Odeon
also, mit dem sich Bowie am 3. 7. 1973 von seiner Ziggy-Stardust-Rolle
verabschiedete und mit tollem Pathos in die Popgeschichte einschrieb: "Not
only is it the last show of our tour. Its the last show well ever do" und
einer fabelhaften Koppelung von "Jean Genie" und dem Beatles-Klassiker
"Love Me Do", die in der offiziellen Veröffentlichung des Albums fehlt, da
der Gastmusiker Jeff Beck, aus welchen Gründen auch immer, seine Zustimmung
verweigerte. Offiziell kam es erst 1983 heraus.
"Live Santa Monica 72" ist die Radioaufzeichnung des Konzerts, das David
Bowie mit den Spiders from Mars am 20. 10. 1972 in Santa Monica gab. Die
Ziggy-Stardust-Tour hatte im Januar in England begonnen und ihn
zwischendurch auch nach Japan geführt. Erklärtes Ziel war es, den
amerikanischen Markt zu erobern und die Nachfolge der Beatles anzutreten.
Ein Vorhaben, an dem Bowies konkurrierender Jugendfreund Marc Bolan zu etwa
der gleichen Zeit in den USA gescheitert war. Um dies Ziel zu erreichen,
war Bowie mit seiner Band in den USA als der Superstar verkauft worden, der
er erst werden sollte. Er hatte provozierende Interviews gegeben:
Journalisten hatten immer wieder gefragt, wie die Ehe zwischen einem
schwulen Sänger und seiner lesbischen Frau funktionieren könne, und er
hatte immer wieder versucht, ihnen den Unterschied zwischen "gay" und "bi"
zu erklären.
Während des amerikanischen Teils der Ziggy Stardust-Tournee hatte man in
den teuersten Hotels logiert, alle wichtigen Leute aus dem Kunst- und
Showbusiness getroffen, viele Groupies beglückt, die bis zum Frühstück das
Hotel zu verlassen hatten, und mit Geld nur so um sich geschmissen. Nach
der Tour war David Bowie tatsächlich auch in Amerika ein Superstar, ohne
bis dahin allzu viele Platten verkauft zu haben. Finanziell war die Tour
ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft gewesen: Man hatte 400.000 Dollar
ausgegeben und 114.000 Dollar eingenommen.
Das Santa-Monica-Konzert wurde live im Radio übertragen und von vielen
Menschen mitgeschnitten. So gibt es von dem Konzert etwa 30 unterschiedlich
betitelte Bootlegs. 1994 wurde es zum ersten Mal offiziell auf Platte
veröffentlicht und nun zum ersten Mal auf einer schön gestalteten CD. Weil
es nicht, wie in echt, so leicht größenwahnsinnig, mit der Neunten von
Beethoven beginnt, sondern mit der Ansage eines Radiomoderators, ist der
Hörer dieser CD nicht in der Position des tatsächlichen Konzertbesuchers -
man hört es sich im Radio an.
Wie bei fast allen Auftritten der Ziggy-Stardust-Tournee eröffnet Bowie das
Konzert mit dem schon fast punkrockmäßigen "Hang Onto Yourself", macht ohne
Pause weiter mit "Ziggy Stardust" und geht dann über zu "Changes" von dem
Hunky-Dory-Album. Die Space-Phase des Konzerts leitet dann das pathetisch
kinematografische "Life On Mars" ein, mit "Five Years" vom
Ziggy-Stardust-Album geht er völlig auf in seiner Rolle als verpeilter
außerirdischer Superstar, fünf Jahre vor dem Weltuntergang. Dann dreht er
die Pathosschraube weiter mit einer ganz seltsamen Version von "Space
Oddity" bei der er den Synthesizer stimmlich ersetzt und auch kurz mal Marc
Bolan parodiert. Der anschließende, eher langweilige "Andy Warhol"-Song von
"Hunky Dory" ist eine irgendwie auch leicht streberhafte Huldigung an den
berühmten Popartisten, den Bowie während der Tour getroffen hatte.
Angeblich hatte Warhol bei diesem Treffen beharrlich geschwiegen, permanent
auf Bowies Schuhe gestarrt und zum Abschied nur gesagt: "Oh, Sie haben so
schöne Schuhe."
Mit Jacques Brels angemessen, schön, stimm- und stilsicher vorgetragenem
"My Death" stellt sich der junge Bowie in die
existenzialistisch-romantische Tradition der 50er-Jahre. Das theaterhafte
Heavy-Metal-Art-Rock-Stück "The Width Of A Circle" erinnert mit seinen
ausufernden Gitarrensoli an Cream, deren "I Feel Free" die Band bei den
ersten Konzerten der Tournee immer gespielt hatte.
"Moonage Daydream" mit dem berühmten "Freak out, far out" zitiert die
Drogenparolen der Hippies (Timothy Learys "Turn on, tune in, drop out").
Das sozusagen straight bisexuelle "John, Im only dancing" ist ein ewiger
Live-Klassiker von Bowie. "Jean Genie", seinen wohl berühmtesten
Rock-n-Roll-Song, hatte Bowie erst während der Tournee geschrieben.
Als letztes Stück gibt es das punkige "Suffragette City" mit dem berühmten
"Wam Bam Thank You Man", das die Ziggy-Stardust-Puppen aus der
Merchandising-Abteilung auch immer sagten, wenn man sie drückte. Dann
verlässt David Bowie die Bühne. Nach "Standing Ovations" (wie der
Radiosprecher bemerkt) gibt es als Zugabe das herzzerreißende "Rock n Roll
Suicide" mit der nicht enden wollenden, pathetischen Liebeserklärung an
seine Fans: "Youre not alone … gimme your hand … cause youre wonderful."
Schwer zu sagen, ob "Santa Monica" nun besser oder schlechter als "Ziggy
Stardust" der Soundtrack zum letzten Konzert der Ziggy-Stardust-Tournee
ist, aufgenommen ein Dreivierteljahr später. Es ist anders, eine Idee
unterkandidelter vielleicht und in jedem Fall natürlich ein Muss für alle
Bowie-Fans und Glam-Rock-Interessierten. Und im 41. Jubiläumsjahr von 68
möchte man hinzufügen, dass der Einfluss von Bowie sicher nicht geringer
war als der von Rudi Dutschke.
4 Jan 2009
## AUTOREN
Detlef Kuhlbrodt
## TAGS
David Bowie
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