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# taz.de -- Der Dramatiker Jan Neumann: Gefühlen Nahrung geben
> Figuren aus der Deckung holen: Zuerst war Jan Neumann Schauspieler, dann
> schrieb er Stücke und führt nun selbst Regie. Mit ihm kehrt die Empathie
> in die zeitgenössische deutsche Dramatik zurück.
Bild: Ihm geht es darum, "das Du und das Ich zu verstehen": Jan Neumann.
Jan Neumann mag seine Figuren. Sein liebevoller, dabei nicht unkritischer
Blick voll Humor bringt uns Menschen nahe, die zunächst sehr unspektakulär
erscheinen. Wie Ursula, um die sechzig, Verwaltungsangestellte. Sie macht
nicht viele Worte. Ihre geheimen Sehnsüchte jedoch hat sie tief in sich
verborgen und lässt nur die Fantasiegestalt Harald daran teilhaben. Wie es
dazu kommt, dass sie sich schließlich aus der Deckung ihres emotionalen
Panzers wagt und beginnt, vorsichtig ihrer inneren Stimme zu folgen, das
umkreist der Autor in seinem Stück "Herzschritt", im Herbst 2008 in
Düsseldorf uraufgeführt, mit einer feinen, dem Alltag abgelauschten
Kunstsprache und guter Beobachtungsgabe.
"Ich habe die Sehnsucht, im Theater eine Geschichte erzählt zu bekommen,
die mich berührt, weil sie eben mit dem Leben zu tun hat", sagt der
33-jährige Dramatiker. Von den ganz alltäglichen kleinen Dramen, wie sie
jedes Leben bereithält, handeln demzufolge auch seine Stücke und
Stückentwicklungen. Acht sind es mittlerweile. Das ist eine beachtliche
Zahl, bedenkt man, dass sein erstes Werk, "Goldfischen", erst 2003
uraufgeführt wurde und dass Neumann auch Schauspieler ist. Bis vor zwei
Jahren gehörte er als festes Ensemblemitglied dem Schauspiel Frankfurt an.
Er selbst relativiert seinen Erfolg. Vier Uraufführungen allein im Jahr
2008? "Das macht zwar einen etwas manischen Eindruck, ist aber letztlich
die Arbeit von drei, vier Jahren", sagt er, dessen Stücke an deutschen
Bühnen, in Österreich und sogar in Riga gefragt sind. Das hängt zum einen
damit zusammen, dass das Format der Stückentwicklung, ein mit den
Schauspielern zusammen entwickelter Text, der den Theatern maßgeschneiderte
Uraufführungen beschert, derzeit en vogue ist. Aber auch damit, dass die
Kollegen einem Autor, der auch Schauspieler ist, vermutlich großes
Vertrauen entgegenbringen. Es liegt zum anderen aber an der sprachlichen
und dramaturgischen Qualität der Stücke des hochtalentierten Autors. Das
Bedürfnis nach Gefühl und Geschichten, das Neumann für sich selbst
formuliert, scheint auf eine ähnliche Befindlichkeit beim Theaterpublikum
zu treffen.
In seinen Figuren erkennen wir uns wieder, auch gerade dann, wenn Neumann
selbst inszeniert. "Herzschritt" nahm er am Frankfurter Schauspiel kurz
nach der Düsseldorfer Uraufführung selbst in die Hand. Er bringt im
trefflichen Zusammenspiel mit seinem Bühnenbildner Thomas Goerge durch eine
poetische, feine Offenlegung der Theatermittel eine gewisse Distanz und
Tragikomik ins Spiel, ohne dass das zu Lasten der Empathie geht.
"Verfremden, um noch mehr zu berühren", nennt Neumann das in freier
Anlehnung an den Brechtschen V-Effekt.
Was der Autor dagegen gar nicht mag, ist Zynismus. "Das Theater müsste
eigentlich ein von Zynismus freier Raum sein, kein Ort, an dem man sich
über Figuren und Probleme lustig macht", meint er. Ihm geht es darum, "das
Du und das Ich zu verstehen". Von den subkutanen Verästelungen der
Kommunikation, von den ganz normalen Beschädigungen und Sehnsüchten in
einem Menschenleben möchte er erzählen - "auf einem anderen Niveau als in
einer Vorabendfernsehserie und ohne Kitsch".
Das erschöpft sich bei ihm nicht in der Selbstbespiegelung des Befindens
der eigenen Generation, sondern deckt glaubwürdig ein breites
Themenspektrum ab. Das Familienhistorienspiel "Kredit" für das Schauspiel
Frankfurt etwa verfolgt die Geschicke der Familie Huber von den
Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. In "Liebesruh"
geht es um späte Liebe und Sterbehilfe. "Vom Ende der Glut" ist eine
zeitgenössische Umsetzung des Medea-Mythos. "Schmelzpunkt" dagegen, in
Essen uraufgeführt, ist ein Jugendstück, eine Stückentwicklung für das
Theater Aalen. Auf sympathische Weise altmodisch muten diese Volksstücke an
im Panoptikum der oft hastigen, fragmentierten, manchmal formverliebten
Erzählweisen der zeitgenössischen deutschen Dramatik. Wobei Jan Neumann
durchaus große Sorgsamkeit auf Form und Sprache verwendet, aber das Formale
muss für ihn im Dienst der Geschichte stehen.
Derzeit entwickelt er am Mannheimer Nationaltheater, wo er für diese Saison
Hausautor ist, gemeinsam mit dem Ensemble eine Geschichte über Verlieren
und Verlust. Erstmals führt er hier bei einer Stückentwicklung nicht selbst
Regie, "um den Prozess auszuprobieren, dass ich mich nur auf den Text
konzentriere". Parallel erkundet er schon mal die Gegebenheiten für sein
Projekt am Schauspiel Stuttgart in der kommenden Spielzeit. Viel Zeit, sich
in seiner Wahlheimat Berlin aufzuhalten, bleibt da nicht.
Angefangen mit dem Stückeschreiben hat Jan Neumann während seiner
Schauspielausbildung an der Bayerischen Theaterakademie in seiner
Heimatstadt München, weil "ich Lust hatte, schöne Rollen zu schreiben, und
die zeitgenössischen Stücke, die wir lasen, nicht so spannend fand". Und
so, wie das Stückeschreiben aus einem Unbehagen am Vorgefundenen entstand,
begann er auch zu inszenieren aus einem Unbehagen über die Aufführung eines
seiner Stücke heraus, "um den Text selbst zu überprüfen".
Inzwischen hat Neumann auch am Regieführen Spaß gefunden; an der
Landesbühne in Esslingen hat der - O-Ton Neumann - "quasi noch in der
Ausbildung" befindliche Regisseur mit frischem und eigenwilligem Zugriff
das Gegenwartsstück "Der Bus" von Lukas Bärfuss und den
Shakespeare-Klassiker "König Lear" in Szene gesetzt. Zudem möchte der Autor
den praktischen Bezug zum Theater nicht missen: "Ich könnte nicht nur am
Schreibtisch sitzen und schreiben, da fehlt mir das Theater als sinnlicher
Arbeits- und Erzählraum."
Auch wenn er mal nicht schreibt oder inszeniert, lassen Jan Neumann Kunst
und Kultur nicht los. Derzeit beschäftigt er sich gerne mit Oper,
Kunsttheorie und Philosophie. Ihn treibt die Lust am Denken an. Und die
Faszination von Geschichten: "Das ganze Leben ist ja voller Geschichten,
und darüber mache ich mir gerne Gedanken. Mich mit Menschen und
verschiedenen Sichtweisen auf den Menschen auseinanderzusetzen - sowohl in
der Kunst als auch im Leben -, davon kann ich nicht lassen."
11 Jan 2009
## AUTOREN
Claudia Gass
## TAGS
Theater
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