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# taz.de -- Harald Schmidt im Jahr 2009: Neu erfinden? Muss Schmidt sich nicht
> Alles kehrt wieder im Schmidtuniversum - und sei es als Musikrevue. Die
> Jugend in Schwaben, seine Statistenrollen im Theater sind längst Teil des
> kollektiven Wissens der Bundesrepublik.
Bild: Egal ob Bambi-Verleihung oder eigene Musikrevue: Wo Schmidt ist, wird gek…
Wie jeder weiß, wurde Harald Schmidt Ende des 20. Jahrhunderts von
schwäbischen Polizisten wegen Falschparkens nach Stammheim verfrachtet.
Angeblich irrtümlich. Dort erlag er unter nie geklärten Umständen einer
Überdosis Maultaschen. Daraus entwickelte sich ja dann der größte Mythos
der Gegenwart. The Day everything died. Er geht so: Wäre das nicht
passiert, wäre auch alles andere anders gekommen - die Klimakrise, die
Kapitalismuskrise, die Medienkrise.
Davon ist jene Hälfte der Menschheit überzeugt, die in den unbeschwerten
Neunzigern an Schmidt glaubte und sicher war, dass ihr Gott
selbstverständlich auch im 21. Jahrhundert die richtigen Pointen für die
ironische Distanz zur Welt bei gleichzeitiger Bewahrung des Besitzstandes
haben würde. Dieser Glaube gibt ihnen Halt, und irgendwie sind sie damit
auch weiterhin fein raus.
Denken Sie darüber mal nach, während wir nun rüberschalten in eine zweite
Variante, in der Schmidt 51 und weißhaarig geworden ist, aber einfach immer
weiter macht. Als sei nichts. Seit Ende 2007 teilt er sich eine Late Nite
in der ARD mit einem Comedian namens Oliver Pocher, seit der Spielzeit 2008
ist er Ensemblemitglied am Schauspielhaus Stuttgart.
Und an einem (nämlich dem zurückliegenden) Wochenende gastiert er mit dem
Stuttgarter Ensemble und einer Art Musikrevue namens "Elvis lebt. Und
Schmidt kann es beweisen" auch am Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm.
Warum tut er das? Keiner hat das entschlossener auf den Punkt gebracht als
die Mopo: "Mit seinem Liederabend setzt sich Schmidt gewissermaßen selbst
ein Denkmal - er kehrt an die Anfänge seiner holprigen Theaterkarriere
zurück." Eine Zeit, in der die anderen die großen Maxen waren (Peymann,
Minetti) und er Statist in Augsburg. Neu ist das nicht: Darüber hat er in
den letzten 25 Jahren so oft geredet, dass es längst zum kollektiven Wissen
der (wiedervereinigten) Bundesrepublik gehört, dass Schmidt in Augsburg
eine kleine Wurscht war.
In "Elvis lebt" fehlt dieses epochale Ereignis der 70er genausowenig wie
jener legendäre Tag, als Schmidt mit der Eisenbahn von seinem Wohnort
Nürtingen nach Stuttgart zum Kreiswehrersatzamt fuhr, um eine erfolgreiche
Prüfung als Kriegsdienstverweigerer abzulegen. Nochmal: Warum tut er das?
Da hat er einen wunderbar absurden Köder ausgeworfen. Der große Claus
Peymann habe in Stuttgart auf dem Höhepunkt des Deutschen Herbstes 1977
(Mogadischu, RAF-Freitode in Stammheim) als Kontrapunkt ein
Elvis-Presley-Memorial inszeniert (Elvis war im August 1977 verblichen).
Und er, der kleine Schmidt, habe damals im Publikum gesessen. Im Publikum!
Eine raffinierte Anspielung? Wer erinnerte sich da nicht an Karl Mays
Vortrag im Wiener Sophiensaal 1912; damals saß angeblich Adolf Hitler im
Publikum.
Hitler ist selbstverständlich auch Thema von "Elvis lebt." Er lebt auch und
liegt mit dem RAF-Kämpfer Andreas Baader im Bett eines Pflegeheimes. Baader
will ihm aus Melvilles Moby Dick vorlesen. Hitler lehnt ab. Das sei ihm "zu
brutal" (Lacher). Baader beklagt sich über eine Ulrike. Und Hitler schreit:
"Fotze, Fotze, Fotze." Riesenlacher. Bester Moment des 80minütigen Abends.
Nun sollte man auf keinen Fall fragen: Was hat Schmidt, was hat das Stück
mit der RAF, mit Ensslin und Baader und Elvis zu tun? Die Antwort ist
selbstverständlich: Nichts. Maximal: wenig. Aber das hat Peymann auch nie
gestört. Es wird auch - ähem - nicht bewiesen, dass Elvis lebt. Es werden
Elvis-Songs gespielt und gesungen wie im Estrel in Neukölln ja auch. Es
werden Formen des Theaters probiert und zitiert, Schmidt macht ein bißchen
Late Nite (zwei richtig gute Pointen), nur dass er einen weniger pompösen
Anzug trägt als sonst. Die Logik aber ist diese: Elvis hat mal "Muss i denn
zum Städtele hinaus..." gesungen, Schmidt ist Schwabe, der Song ist Teil
des Schmidtuniversums. Also wird der Song gebracht.
Man ist ja nun aber bei aller Aufklärung halt doch weiter bemüht, Bedeutung
zu suchen, wo Schmidt ist. Und so fragt man sich zwischendurch: Erlöst uns
Schmidt durch die Comedysierung der RAF samt den Bedingungen ihrer
Entstehung (Nazis, Verkrustung, doofer Staat) von der Fixierung auf unsere
Vergangenheit - sodass wir uns endlich mit den ja nun doch auch nicht
kleinen Herausforderungen der Gegenwart beschäftigen können? Oder erlöst er
weiterhin mit dem ganzen, alten Material sich von dem Trauma seiner
Adolenszenz? Die größte Pointe, hat Schmidt mal postuliert, sei die
unausgesprochene.
Eine, die im Kopf des Zusehers entstehe und zünde. Was ist nach dieser
Logik also die Pointe an "Elvis lebt"? Eine Sekunde gegrübelt, dann
plötzlich: Peng. Es zündet. Also: Ohne Schmidt würde sich kein Mensch
dieses Stück anschauen. Zumindest würde keiner am Ende klatschen. Nicht mal
in Nürtingen. Mit Schmidt: Volles Haus, rauschender Beifall. Er war das
Fernsehen. Er ist das Theater. Er wird...ja, was wird er: Sich neu
erfinden? Er muss nicht. Schön wär's.
26 Jan 2009
## AUTOREN
Peter Unfried
Peter Unfried
## TAGS
Theater Bremen
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