# taz.de -- Hollywood als Zoo: Tierische Diven | |
> Menschen gehen gerne ins Kino, um Tiere im Film zu sehen, die wie | |
> Menschen sind. Von richtigen Tieren sind dann enttäuscht. | |
Bild: Das Leben ist kein Film. Leider. | |
Sie heißen Tschi-Tschi, Flipper, Ginger, Rocky, Pongo, Willy oder Fury und | |
geben sich als treue Orcas, animierte Hühner, rührende Delfine, skurrile | |
Schimpansen, treuherzige Hunde, ekelhafte Spinnen, schweigende Haie, stolze | |
Araberhengste, sprechende Schweinchen, träumende Golden Retriever oder | |
singende Löwen. Zu Unrecht aber werden Tiere allein dem harmlosen Kinder-, | |
im besten Fall Familienkino zugeschrieben. Auch nachdem die großen | |
Produktionsfirmen mit ihren brüllenden Löwen, fliegenden Pferden und Hähnen | |
nach Aufmerksamkeit der Zuschauer haschten, herrscht auf der Leinwand | |
Artenvielfalt. | |
Obwohl die Kinoleinwand keineswegs ein Spiegel der Gesellschaft ist, | |
erlaubt die jeweilige Darstellung der Tiere - im Film ebenso wie in Kunst, | |
Literatur oder Werbung - Rückschlüsse auf soziale Strukturen und | |
Machtverhältnisse zwischen Mensch und Tier. Während der Dokumentarfilm das | |
Tier beobachtet, ist das Tier im Spielfilm Projektionsfläche menschlicher | |
Sehnsüchte. | |
Das hinterlässt Spuren. Ulrike Pollack, Tierschutzpädagogin im Berliner | |
Tierheim Hohenschönhausen, berichtet von Stadtkindern, die glauben, es gäbe | |
lila Kühe. Von Siebenjährigen, die unbedingt einen Bernhardiner wollen und | |
enttäuscht sind, wenn das geschenkte Haustier keine Kunststücke vorführt. | |
Die Vermenschlichung der Tiere im Film zeuge vom gestörten | |
Mensch-Tier-Verhältnis, sagt sie. | |
Wenn ein Hund für den Film trainiert, er verkleidet wird, ihm die Krallen | |
lackiert werden und das Fell gefärbt wird, fühlt er sich unwohl. Zwar wird | |
das Tier nicht gequält, und doch spielt es seine Rolle nicht freiwillig. | |
Wenn Filme Tiere als Helden inszenieren, bedeutet das für ein Tierheim, | |
dass es sich bald um Bernhardiner, Dalmatiner und Golden Retriever kümmern | |
muss. Etwa weil die Kinder enttäuscht waren, dass die Hunde in der Realität | |
mehr Pflege brauchen, als sie Unterhaltung bieten. | |
Im Film sind Tiere als Protagonisten nicht nur im dokumentarischen Programm | |
zu finden, wo Disney ("Die Wüste lebt", 1954), Grzimek ("Serengeti darf | |
nicht sterben", 1959), David Attenborough ("Verborgene Welten", 1995) und | |
andere dem fernen Zuschauer die freie Wildbahn näher zoomen. Auch in | |
anderen Filmen, ob Abenteuerfilm, Komödie oder Science-Fiction, wirken | |
tierische oder tierähnliche Charaktere mit. Nicht nur als Attribut für | |
Zoologen (der zahme Leopard in "Bringing Up Baby" von Howard Hawks) oder | |
skrupellose Egoisten (die Katze von "Dr. No"), sondern oft auch in der | |
Hauptrolle. Die höchste Stufe der Karriere ist erreicht, wenn der Name des | |
Tiers im Filmtitel auftaucht. Autogrammkarten für Tiere, die schauspielern, | |
sind nicht weiter verwunderlich, bedenkt man ihre Präsenz in unserem | |
Alltag. Und doch aufschlussreich, sieht und vor allem hört man ihnen | |
genauer zu: Denn die Tiere im Film fühlen, denken, sprechen und handeln - | |
je nach Genre und Machart - meist stereotyp. | |
Im Animationsfilm sind der Fantasie von Filmemachern kaum Grenzen gesetzt, | |
und ein sprechender Fisch mit Namen Nemo brüskiert das Publikum kaum noch. | |
Schwieriger nachvollziehbar sind - zumindest für den erwachsenen Zuschauer | |
- fabulierende Schweinchen, die sich als Babe vorstellen, und schimpfende | |
Schimpansen (Tschi-Tschi in "Dr. Dolittle") in echt. Schwierig auch für den | |
Regisseur, auf Zelluloid zu bannen. Immerhin befolgen weder Fisch noch | |
Vogel präzise Regieanweisungen. Was der Tiertrainer nicht kann, vollenden | |
filmische Darstellungstechniken. Trotz der Distanz zwischen dem Zuschauer | |
und dem Fernseher respektive der Kinoleinwand sind die Gefühle für Tiere im | |
Film praktisch gleichzusetzen mit jenen zu realen Tieren. Wenn wir Filme | |
ansehen, sagt der niederländische Psychologe Ed Tan, fühlen wir eine Art | |
"Zeugenschaft". Diese Gefühle sind nicht minder real als jene, die wir in | |
einer wirklichen Situation empfinden. Mit dem Unterschied, dass wir, anders | |
als in realen Situationen, nicht eingreifen können. | |
Der Regisseur setzt auf die Empathie des Zuschauers und auf künstliche | |
Tricks, die die Tiere mit Gefühl ausstatten. Stimmen in der Nachvertonung | |
lassen die Tiere sprechen, raffiniert montierte Mimik lässt das Tier | |
fühlen, durch Spiegelung lassen sich Gemütslagen des Menschen auf das Tier | |
übertragen: Geschickt geschnitten, ist der Orca Willy genauso traurig wie | |
Jesse, der Junge. | |
Den Tieren eine Stimme zu geben bedeutet auch, ihnen Bewusstsein | |
zuzuschreiben und von einem komplexen Gefühlsleben auszugehen. Schließlich | |
ist die Stimme das Vehikel der Emotion. Mittlerweile bewies die Biologie, | |
dass zumindest die höheren Säugetiere über Gefühle verfügen. Elefanten | |
verspüren beim Tod eines Artgenossen Trauer und ritualisieren diese sogar. | |
Auch Hunde und Katzen zeigen Gefühle und folgen ihren Launen; jedes | |
Herrchen kann ein Lied davon singen. | |
Nicht von ungefähr sind deshalb die großen Stars in der filmischen Tierwelt | |
Hunde wie aus "Lassie", "Rin Tin Tin", "Fluke, "Kommissar Rex", "Ein Hund | |
namens Beethoven" oder "101 Dalmatiner". Als verbreitetes Haustier | |
übernimmt der Hund im Film eine ähnliche - meist stereotype - Funktion, | |
tröstet Einzelkinder, schweißt Familien zusammen, will als Familienmitglied | |
dazugehören und ist dennoch, im positiven Sinne oder zum Zwecke der | |
allgemeinen Belustigung, durchaus eigenwillig. Die Hunde verkörpern die | |
bürgerlichen Familienwerte par excellence; besonders deutlich wird das in | |
der Schlussszene von Todd Solondz "Happiness", der sich genau darüber | |
mokiert: Nachdem der Hund das Sperma von Bob Junior aufgeleckt hat, lässt | |
er sich im Nebenzimmer von Bobs ahnungsloser Mutter küssen. | |
Bei "Lassie" ist die Familienwelt noch heil. Ein Grund für den Hund, | |
zurückzuwollen. Denn, so meinen die Macher, "Lassie never forgot". Der | |
Collie verspürt Heimweh und möchte zurück zu Joe, dem Sohn der verarmten | |
Familie, die Lassie an einen reichen Adligen verkaufen musste. In der | |
ersten Verfilmung von 1943 fühlt die Enkelin des Adligen, Priscilla (die | |
damals zehnjährige Elizabeth Taylor) Lassies Unglück und verhilft ihr zur | |
Flucht. Der Film endet im entsprechend kitschigen Familienglück und | |
beschert der Hündin Pal, die Lassie spielte, einen Stern auf Hollywoods | |
Walk of Fame (wie auch den beiden Schäferhunden Strongheart und Rin Tin | |
Tin). | |
rößere Säugetiere, wie Pferde, Wale oder Delfine, die sich nicht nach der | |
Adoption in eine harmonische Familie sehnen, sondern vielmehr die Wildnis | |
bevorzugen, finden zwar wohl einen Komplizen, meist in Gestalt eines | |
pubertierenden Jungen, erweisen sich aber als dem Menschen äußerst dankbar | |
für seine Hilfe. Während der Teenager nach der Wildnis schielt und sich vom | |
Tier verstanden fühlt. Flipper, der Delfin, der es 1963 mithilfe von Sandy | |
Ricks (Luke Halpin) und 1996 mit jener von Elijah Wood in die Freiheit | |
schafft, revanchiert sich beide Male bei seinem Retter und dessen | |
Angehörigen. Damit beweist das Tier unverkennbar Größe, selbst gegenüber | |
seinen Peinigern. Für MGM Grund genug, Flipper als noch nie da gewesene | |
Sorte von Held zu preisen. Ähnlich wird der "größte, schwärzeste und | |
schönste Araberhengst aller Zeiten", Held in "The Black Stallion", | |
zelebriert. Quintessenz des Abenteuers: Wildes Pferd wird durch die Liebe | |
eines Jungen gezähmt. | |
Dies schreiben die Regeln vor: Je größer das Tier, desto mehr rufen seine | |
Urinstinkte nach Freiheit und Wildnis, je kleiner das Tier, desto größer | |
der gesellschaftliche Konsens, dass sie politisch korrekt ungestraft | |
getötet werden dürfen. Haustiere dürfen im Film nicht sterben, exotische | |
Tiere sind akrobatisch geschickt und deshalb in Gefangenschaft, und | |
Nutztiere haben trotz widriger Umstände ihren Spaß (siehe "Chicken Run" | |
oder "Babe"). Kurz: Sie dürfen zwar eigenwillig handeln, doch stehen sie | |
letztlich im Dienste des Menschen. Während Letzterer gegen die Natur | |
kämpft, schlägt er sich immer auch symbolisch mit mindestens einem | |
möglichst wilden Tier. Durch das Anschauen der Tiere wird das Menschsein | |
ausgehandelt. Und es vereinfacht es dem Filmemacher, den Abenteurer als | |
solchen zu konstruieren oder auch den Gutmenschen zu entlarven. Etwa in | |
"Grizzly Man", wo Werner Herzog mit Filmaufnahmen des radikalen | |
Tierschützers Timothy Treadwell zeigt, wie dieser von einem Bären getötet | |
wird. Obwohl er jahrelang für diesen Bären gekämpft hat. | |
Die Darstellung von Tieren reflektiert nicht nur das Verhältnis zwischen | |
Mensch und Tier und deren Position innerhalb der Gesellschaft, sondern | |
festigen auch deren Macht. "Der Weiße Hai" ist Antagonist des Menschen. Und | |
wohl deshalb gefühlslos. Steven Spielberg gibt dem Zuschauer keine einzige | |
Möglichkeit, Empathie mit dem Tier zu fühlen. Er inszeniert den Hai als | |
menschenfressende Killermaschine, mit ausdrucksloser Mimik, kaltem Blick | |
und vor allem ohne Motivation. Seine Gier wird einzig mit der Evolution | |
begründet. Ein Tier, das gefühlsmäßig auf der Strecke blieb und deshalb zu | |
den Feinden der Menschen gehört. Dieser Film kam just in jenem Moment in | |
die Kinos, als über die Ausdehnung des Konzepts der Menschenrechte auf die | |
Tiere debattiert wurde. Die Rechnung ist einfach: Ein Tier, das fühlt, hat | |
mehr Ansprüche auf Rechte, als eines, das nicht fühlt. | |
Aber was wäre denn, wenn die Tiere tatsächlich wie Menschen fühlen und | |
sprechen könnten? Sie würden es wohl den Drehbuchschreibern in Hollywood | |
gleichtun und in Streik treten. Um komplexere Figurenkonstruktionen zu | |
fordern. | |
31 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Gina Bucher | |
## TAGS | |
Kinostart | |
Kino | |
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