# taz.de -- Vergewaltigungen im Zweiten Weltkrieg: Das taten doch nur die Russen | |
> Auch Wehrmachtssoldaten haben im Zweiten Weltkrieg Frauen vergewaltigt. | |
> Militär und Sexualgewalt sind untrennbar verbunden, sind sich ExpertInnen | |
> auf einer Tagung einig. | |
Bild: Bedient den "neuen deutschen Opferdiskurs": der Kinofilm "Anonyma". | |
Sie wurde operiert. An der Brust. "Die hatte sich entzündet, weil die | |
Russen immer hineinkniffen", erzählt Frau Christiansen. Später musste ihr | |
die Gebärmutter entfernt werden. Dann kam der Brustkrebs. Ihr Körper war | |
es, der die kräftige Frau mit grauem Pagenkopf immer wieder erinnerte. Sie | |
ist eine von den geschätzt anderthalb bis zwei Millionen Frauen, die Ende | |
des Zweiten Weltkriegs von alliierten Soldaten vergewaltigt wurden. | |
Dieser Teil der Geschichte ist spätestens seit dem Film "Anonyma", der die | |
authentische Geschichte einer vergewaltigten Frau in Berlin erzählen will, | |
in Deutschland nicht mehr gänzlich tabu. Aber die Vergewaltigung als | |
Kriegswaffe wird dennoch als Thema nicht ernst genommen, so der Tenor einer | |
Tagung der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung am Samstag. Auf ihr erörterten | |
Fachleute aus Sozialpsychologie, Geschichtswissenschaft, Altenpflege und | |
Gynäkologie, welche Gründe und Folgen dieses "Dethematisieren" der | |
Vergewaltigungen hat. | |
Die Sozialpsychologie spricht von einer dreifachen Traumatisierung der | |
überlebenden Frauen: Nach dem Trauma der Vergewaltigung kam das Trauma des | |
Verschweigens, wollte man nicht seinen Ehemann verlieren und als | |
"Russenhure" gelten. Die Frauen rissen sich zusammen, bis heute. "Man muss | |
stark sein", so hat es Martina Böhmer, Altenpflegerin und Beraterin für | |
Psychotraumatologie, immer wieder gehört. | |
Nur: Wenn die Frauen alt und pflegebedürftig sind, sind sie nicht mehr | |
stark. Die Pflegekraft kommt, und erneut ist die Kontrolle über das, was | |
mit dem Körper geschieht, verloren: die dritte Traumatisierung. "Die Frauen | |
wehren sich dann oft verzweifelt", sagt Böhmer. Aber das gelte als | |
Renitenz, manchmal auch als beginnende Demenz. Die Pflegekräfte wehrten | |
ihre Vorschläge, mit den Frauen darüber zu sprechen, oft vehement ab, | |
erzählt Böhmer. Man wolle "das" doch nicht alles wieder aufwühlen, damit | |
könne man die Frauen doch "retraumatisieren". | |
Mit dieser Begründung wird das Sprechen über die Vergewaltigungen oft | |
abgelehnt. Als Christiansen ihre schriftlichen Zeugnisse in Buchform | |
veröffentlichen wollte, lehnten die Verlage fürsorglich ab: "Wollen Sie | |
denn noch einmal durch die Öffentlichkeit traumatisiert werden?" Als die | |
Gynäkologin und Frauenrechtlerin Monika Hauser die Kuratoren der großen | |
Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration" darauf hinwies, dass | |
Vergewaltigungen ein zentrales Thema für vertriebene Frauen seien, hieß es | |
ebenfalls zartfühlend, man wolle die Frauen nicht retraumatisieren. | |
Kritisiert wurde auf der Tagung auch Max Färberböcks "Anonyma". Die | |
Hauptperson verliebt sich in den russischen Offizier, der sie vor weiteren | |
Vergewaltigungen schützt. Im Buch der Anonyma dagegen, auf dem der Film | |
basiert, wählt die Autorin eher das kleinere Übel: nur einen statt viele | |
Vergewaltiger. | |
Der Film lief erstaunlich kurz in deutschen Kinos, was Rolf Pohl, | |
Sozialpsychologe an der Uni Hannover, für symptomatisch hält. "Der Film | |
konnte gemacht werden, weil er den neuen deutschen Opferdiskurs bedient", | |
meint er. Dass Vergewaltigungen im Krieg auf allen Seiten als Waffe benutzt | |
werden, käme dagegen im deutschen Diskurs nicht durch. "Dann müsste man ja | |
fragen, wer die Täter sind." Und die Antwort wäre: auch deutsche Männer. | |
Regina Mühlhäuser vom Hamburger Institut für Sozialforschung befragte | |
russische Frauen über ihre Erfahrungen mit deutschen Wehrmachtssoldaten, | |
forschte in Wehrmachtsakten und Soldatenautobiografien. Sie fand viele | |
Berichte von Vergewaltigungen. "Aber es wird in diesem Bereich sehr wenig | |
geforscht", sagt sie. | |
Wenn dieses Thema präsenter wäre, müsste man sich, so Pohl, Gedanken machen | |
über den Zusammenhang von Militär und Sexualgewalt. Und dann, fügt Monika | |
Hauser hinzu, müsste man auch fragen wie deutsche Bundeswehrsoldaten dazu | |
kommen, in mazedonische Bordelle zu gehen, in denen minderjährige | |
Zwangsprostituierte arbeiten. Ein Thema, von dem der damalige | |
SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping sie bat, sie möge es nicht so | |
breittreten: "Wir wollen doch nicht die Frauen unserer Soldaten | |
verunsichern." | |
1 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
Heide Oestreich | |
## TAGS | |
Theodor W. Adorno | |
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