# taz.de -- Die Kanzlerin und der Papst: Revanche für Canossa | |
> Fast tausend Jahre nachdem der Papst einen deutschen Herrscher in die | |
> Knie zwang, muss er sich nun einer Berliner Kanzlerin beugen. Beide Male | |
> ging es um das Verhältnis von Politik und Religion | |
Bild: Der Pontifex Maximus und die unbotmäßige Protestantin. | |
Diesmal war es der Papst, der nach Canossa ging. 932 Jahre nachdem ein | |
deutscher Kaiser auf ein Ultimatum des Papstes hin Abbitte leistete, | |
befolgt nun ein Papst die Aufforderung der deutschen Bundeskanzlerin - | |
sofern denn Angela Merkels Kritik den Ausschlag dafür gab, dass der Vatikan | |
die Wiederaufnahme des Bischofs Richard Williamson jetzt doch von einer | |
Klarstellung seiner Haltung zum Holocaust abhängig macht. | |
Mit ihrer Stellungnahme habe sich die Bundeskanzlerin keineswegs in | |
innerkirchliche Angelegenheiten einmischen wollen, erklärte der | |
Regierungssprecher am Mittwoch. Vielmehr sei es ihr um die politische | |
Dimension der Diskussion gegangen. Aber wo genau liegt die Grenze zwischen | |
Theologie und Politik, präziser: zwischen Staat und Kirche? Genau diese | |
Frage war es, die schon in Canossa verhandelt wurde. | |
Die Kanzlerin habe aus Staatsraison gehandelt, hieß es in den meisten | |
Pressekommentaren. Es gehöre zum deutschen Staatsverständnis, sich zur | |
Verantwortung für den Holocaust zu bekennen. Erschwerend komme hinzu, dass | |
der Papst Deutscher sei. Beides stimmt, aber es kommt noch ein Drittes | |
hinzu: Die Kanzlerin kann auch deshalb nur schwer neutral bleiben, weil die | |
Verflechtung von Staat und Kirche hierzulande enger ist als andernorts - | |
ein Phänomen, dessen Wurzeln wiederum ins Heilige Römische Reich des | |
Mittelalters zurückreichen. | |
Die weltliche Herrschaft, die geistliche Würdenträger in Deutschland bis | |
1803 ausübten, hinterlässt bis heute tiefe Spuren. Das Land Bayern bezahlt | |
als Ausgleich für die 1803 erfolgte Säkularisierung der Fürstbistümer bis | |
heute die Bischöfe. In Deutschland ziehen bis heute staatliche Finanzämter | |
die Kirchensteuer ein, bezahlt der Staat Theologieprofessoren und | |
Religionslehrer, über deren Lehr- und Forschungsinhalte maßgeblich die | |
Kirche bestimmt. Auch die sozialen Aktivitäten der Kirchen in Schulen oder | |
Krankenhäusern bezahlt überwiegend der Staat. | |
All das gilt auch für die evangelischen Landeskirchen oder die jüdischen | |
Gemeinden, und die mangelnde Trennung von Staat und Religion ist auch in | |
diesen Fällen kritikwürdig. Doch sind Wolfgang Huber, Ratspräsident der | |
Evangelischen Kirche in Deutschland, und Charlotte Knobloch, Vorsitzende | |
des Zentralrats der Juden in Deutschland, automatisch den Regeln der | |
freiheitlich-demokratischen Grundordnung unterworfen - sofern ihnen eine | |
Abweichung davon überhaupt in den Sinn käme. | |
Der Papst dagegen sitzt in Rom und ist neuerdings, seit der Heilige Stuhl | |
die automatische Übernahme italienischer Gesetze suspendiert hat, nicht | |
einmal mehr der Rechtsordnung der Europäischen Union verpflichtet. Darüber | |
hinaus amtiert er als Oberhaupt eines anderen souveränen Staates, obwohl er | |
bei der Annahme der vatikanischen Staatsangehörigkeit seinen bisherigen | |
Pass nach deutschem Recht eigentlich hätte aufgeben müssen. | |
Dieses Geflecht bleibt problematisch und nur durch eine strikte Trennung | |
von Staat und Kirche auflösbar. Eine solche Diskussion hat sich der Papst | |
durch seinen Canossagang womöglich erspart - auch wenn man in die Polemik | |
nicht einstimmen mag, die Verfechter des protestantischen Staatskirchentums | |
im 19. Jahrhundert gegen die "ultramontane" und daher national | |
unzuverlässige katholische Kirche entfachten. An ihrer Spitze stand Merkels | |
Vorgänger Otto von Bismarck, der während seines Kulturkampfs gegen die | |
katholische Kirche den Satz prägte: "Nach Canossa gehen wir nicht." | |
Langfristig blieb Bismarck erfolglos. Wer dagegen den Weg nach Canossa | |
antrat, war in der Geschichte meist langfristig der Sieger. Das galt nicht | |
nur für den mittelalterlichen Kaiser, der den Papst später absetzen sollte. | |
Es galt auch für Angela Merkel, die ihrem Rivalen Edmund Stoiber 2002 in | |
einem Canossagang die Spitzenkandidatur antrug. Drei Jahre später war sie | |
Kanzlerin. | |
5 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Ralph Bollmann | |
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