# taz.de -- Vom Ende des Ostblocks: Zurück hinter die Mauer | |
> Die Sonderreihe "Winter ade" der Berlinale widmet sich den Vorboten der | |
> Wende, die sich gegen die Zensur durchsetzten. Heute funktionieren sie | |
> wie ein Museum der Alltagskultur. | |
Bild: Spätestens wenn die Zensur einschritt, lachte nur noch der Sandmann. | |
Man muss nicht so weit gehen wie die Bild-Zeitung im September 2001, die | |
eine Aufnahme der Menschen, die in den oberen Stockwerken des World Trade | |
Centers eingeschlossen waren und sich an den Fenstern drängten, mit der | |
Schlagzeile versah: "5 Sekunden später sind sie tot." | |
Trotzdem: Es hat immer etwas Seltsames, auf Bildern oder in Filmen arglose | |
Menschen zu sehen, deren Zukunft man als Betrachter besser kennt als diese | |
im Moment der Aufnahme selbst. "Was erhoffst du dir von der Zukunft?", | |
fragt die Regisseurin Helke Misselwitz in ihrem Dokumentarfilm "Winter adé" | |
die Frauen, die sie porträtiert. Der Film stammt aus dem Jahre 1988, und | |
der Zuschauer kann nicht anders, als zu denken, dass der Großteil dieser | |
Frauen zwei, drei Jahre später das sein werden, womit sie zum Zeitpunkt des | |
Filmens überhaupt nicht rechnen, nämlich arbeitslos. | |
"Winter adé" wurde 1988 in Leipzig auf dem Dokumentarfilmfestival | |
ausgezeichnet und galt als Sensation. Weshalb das so war, muss man heute | |
wohl erklären: Die Offenheit und Selbstverständlichkeit, mit der die Frauen | |
aus der DDR hier vor die Kamera treten und über sich reden, über ihre Ehen, | |
ihren Beruf, ihre Kinder, über Erotik und Gesellschaft, das war | |
sensationell und neu und widersprach dem "offiziellen Bild", das die DDR | |
von sich pflegte. | |
Aber auch ohne dieses Wissen ist "Winter adé" heute noch ein wunderschöner | |
Film, der auf eigenartige Weise ergreift. Was an den wunderbaren | |
Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Kameramann Thomas Plenert liegt, aber auch an | |
der Haltung von Misselwitz, die hier einfühlsame Zurückhaltung mit | |
interessierter Neugier verbindet und völlig gleichberechtigt alte und | |
junge, verheiratete und ledige Frauen zu Wort kommen lässt, so | |
ungeschminkt, uneitel und ohne Attitüde, wie man es heute nirgendwo mehr | |
erlebt. | |
Von Misselwitz Film ist der Name der Reihe abgeleitet, mit der die | |
Berlinale das große Gedenkjahr "20 Jahre Mauerfall" einläutet. Mit 15 | |
abendfüllenden Programmen aus deutschen und osteuropäischen Filmen, die im | |
letzten Jahrzehnt des Kalten Kriegs entstanden sind, will die Reihe auf | |
"Vorboten der Wende" aufmerksam machen. Gezeigt werden Dok-, Spiel- und | |
Experimentalfilme, "in denen sich die Ahnung der bevorstehenden | |
tiefgreifenden Veränderung bereits artikuliert", so Kurator Claus Löser. | |
Wie bewusst ist heutigen Zeitgenossen eigentlich noch, dass man die | |
"Ostblockstaaten" metaphernmäßig im Dauerwinter verortete, in dem es ein | |
kurzes Tauwetter nach Stalins Tod und einen Frühling in Prag gegeben hatte, | |
die beide bald wieder eingefroren wurden? Und dass ein harmloser Titel wie | |
"Winter adé" deshalb als ungebührliche politische Anspielung verstanden | |
werden konnte? | |
Viele der gezeigten Filme lösen das Bedürfnis nach historischer Erklärung | |
aus. Wie etwa der sowjetische Drogenkrimi "Igla" (Die Nadel) von 1988, | |
dessen Attraktion für die nach Veränderung verlangenden Jugendlichen | |
weniger in der Ästhetik lag als in der Besetzung. Spielt doch Viktor Zoi | |
die Hauptrolle, damals Leadsänger einer Band namens "Kino", der | |
James-Dean-mäßig 1990 bei einem Autounfall ums Leben kam und heute eine | |
Zentralikone der sowjetischen Rockgeschichte ist. Andere Filme, wie | |
Krzysztof Kieslowskis "Kurzer Film über das Töten" oder Michael Kliers | |
"Überall ist es besser, wo wir nicht sind" sind vollkommen zeitlos in ihrer | |
Wirkung: Kieslowskis Film ist noch immer ein beispiellos antiideologischer | |
Schocker über menschliche Moral und Klier zeigt in seiner atmosphärischen | |
Emigrantengeschichte die Universalität der Trostlosigkeit, auch das heute | |
so wahr wie damals, 1989. | |
Leider fehlen in der Reihe jene sowjetischen Filme, die in den | |
Achtzigerjahren als Botschafter der Perestroika auf den Festivals Furore | |
machten: Tengis Abuladses "Reue" etwa, der 1987 in Cannes ausgezeichnet | |
wurde, oder "Das Thema" und "Die Kommissarin", die in Berlin Preise | |
bekamen. Schließlich zählten sie zu jenen Filmen, die 1988 im Zuge der | |
Affäre um die sowjetische Zeitschrift Sputnik, die ob ihrer kritischen Töne | |
in der DDR nicht mehr ausgeliefert und verboten wurde. Sie markierten damit | |
den historischen Moment, in dem es in der Sowjetunion liberaler zuging als | |
in der DDR. | |
Aber vielleicht war es die Intention der Kuratoren, sich auf die | |
"indirekteren" Filme zu beschränken. Es sind herrlich versponnene Werke | |
darunter wie Vera Chytilovas "Geschichte der Wände" oder Gabor Bodys | |
"Nachtlied des Hundes". Wie Misselwitz Film lösen sie beim Zuschauer heute | |
andere Empfindungen als damals aus. Manche funktionieren wie ein Museum der | |
Alltagskultur: die Lieder, die gesungen werden, dass überhaupt gesungen | |
wird, die Wohnungen, die Art seine Freizeit zu gestalten, all das ist | |
restlos untergegangen. | |
Filme wie die von Body und Chytilova stellte man sich damals immer als | |
Werke vor, die der Zensur und den staatlichen Gängelungen mühsam abgerungen | |
werden mussten. Sie enthielten deshalb eine versteckte Größe: Was hätte | |
jemand wie Gabor Body wohl erst unter freien Bedingungen zustande gebracht! | |
Man trauert gleichzeitig um all das unrealisierte Potenzial. Body hat sich | |
umgebracht und die Wende nie erlebt. Heute gilt als wahrscheinlich, dass | |
einer wie er außerhalb einer "Staatskultur" wie der im "Ostblock" einen | |
Film wie seinen legendären "Narziss und Psyche" gar nicht hätte | |
verwirklichen können. | |
Diese "Vorboten"-Filme sind damit zugleich die letzten Zeugnisse einer | |
Kultur, die mit dem Mauerfall unterging. Einer Kultur, in der "Kunst" - und | |
das Kino gehörte fraglos dazu - gleich Wahrheit war und man deshalb an ihre | |
Wirkung glaubte, an ihre unbedingte Differenz zum Kommerz, weshalb sie auch | |
hoffnungslos elitär sein durfte. | |
6 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
## TAGS | |
Kunst | |
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