# taz.de -- Puten für Biohaltung nicht geeignet: Hochgepäppelt und hochsensib… | |
> Nach dem Bioputen-Skandal fordern Ökobauern den Ausstieg aus der Mast. | |
> Denn viele Putenrassen sind überzüchtet - und nicht robust genug für den | |
> Bio-Bereich. | |
Bild: Gezüchtet für die konventionelle Massenproduktion: Mastputen bei Cloppe… | |
"Bio-Pute" ist ein "Festtagsbraten", texten die Redakteure von | |
[1][Brigitte.de]. Der Babykosthersteller Alete rührt "Bio-Pute" in seine | |
"Spaghetti mit feinem Gemüse". "Bio-Pute" hört sich zunächst gut an. Nur: | |
Die Biopute ist nicht gemacht fürs Ökolandleben. Auf den Tisch kommen | |
Puten, deren Namen zwar kraftstrotzende Tiere versprechen. Die gängigen | |
Rassen heißen "Big6", "KellyBronzePremium" oder "T9". Doch sie sind von | |
konventionellen Züchtern geschaffene Tiere, die vor allem auf eines | |
getrimmt wurden - Gewicht machen. Ob sie robust sind, das spielte lange | |
keine Rolle. Den Ökos macht das zu schaffen. | |
Der nordrhein-westfälische Bauer und Grünen-Politiker Friedrich Ostendorff | |
fordert jetzt: "Wir müssen ehrlich sagen: Es gibt keine Bioputen." Mit | |
"wir" meint er alle Mitglieder von Bioland, dem größten Ökoanbauverband | |
Deutschlands. Anlass: Der Ökoschwindel des Bioland-Unternehmers Berthold | |
Franzsander. Der einst größte Biogeflügelhändler der Republik, dem es nun | |
"aufrichtig leidtut", hat seine Puten in verbotenem Maße mit stinknormalem | |
statt mit ökologischem Futter versorgt. Er hätte sonst die "Tiere | |
verloren", schrieb er jetzt an seine Geschäftspartner. Und: "Viele von | |
Ihnen wissen, dass die Puten, die heute im Biobereich gehalten werden, | |
eigentlich nicht für den Bio-Bereich geeignet sind." | |
Ostendorff nimmt die Entschuldigung nicht an. Er ist wie viele seiner | |
Kollegen vergrätzt wegen "so viel krimineller Energie". Doch Ostendorff | |
stimmt Franzsander in einem Punkt zu: Puten machen es den Bauern nicht | |
einfach. Auf seinem Hof in Nordrhein-Westfalen hält er nur Schweine und | |
Rinder. "Für mich kamen Puten noch nie infrage", sagt er. Umweltschützer | |
fordern den Ausstieg aus der Putenzucht schon lange. Ostendorff ist | |
allerdings der einzige Biolandwirt, der dafür kämpft - und er macht sich | |
Feinde. Zum Beispiel Bioland-Chef Thomas Dosch. Ihm sieht man die | |
Verärgerung an, wenn er sagt: "Wir brauchen kein Moratorium." Er will das | |
Geschäft nicht anderen überlassen. Ökoverbände wie Naturland oder Demeter | |
verbannen die Puten auch nicht. Ostendorff dagegen sagt: "Wir sollten | |
sauber bleiben, bis es neues Futter und neue Rassen gibt." | |
Mit gut 10 Prozent Ausschuss in ihren Putenställen rechnen schon | |
konventionelle Bauern. Dabei dürfen sie "Big6" und Co mit Kraftfutter | |
päppeln, das etwa eine Extraportion Vitamine enthält. Für Biobauern ist das | |
eigentlich tabu. "Puten brauchen vor allem in den ersten Wochen viel | |
tierisches Eiweiß", sagt Ute Knierim, Professorin für Nutztierethnologie | |
und Tierhaltung am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften in Kassel. | |
Also Insekten, Würmer und andere kleine Tiere. Aber Landwirte züchten keine | |
Insekten und Würmer. Das sei auch "nicht so einfach ökologisch und | |
hygienisch" zu machen, meint Knierim. | |
Bioputen fressen deshalb Ackerbohnen, Erbsen oder Sojabohnen. Auch wenn | |
diese "in ihrer Eiweißzusammensetzung nicht ideal" sind, so | |
Agrarprofessorin Knierim. Außerdem sind sie bitter, und das mögen Puten | |
nicht in Mengen. Mancher Bauer gibt ihnen hart gekochte Eier. Aber das ist | |
aufwendig. | |
Das Problem ist bekannt. Darum müssen Bauern, die nach der EG-Ökoverordnung | |
arbeiten, zwar ihren Rindern, Ziegen, Pferden 100 Prozent Biofutter in den | |
Trog schütten, ihren Puten aber nicht. Für sie, aber auch für Hühner oder | |
Schweine, dürfen derzeit 10 Prozent des Futters konventionell sein. Das | |
gilt auch bei Bauern, die sich im Ökoverband Naturland zusammengetan haben. | |
Andere sind strenger: Wer den Bioland-Stempel haben will, braucht eine | |
Ausnahmegenehmigung, und er darf auch nur Maiskleber und Kartoffeleiweiß | |
aus konventionellem Anbau füttern. Demeter regelt das ähnlich. Grund für | |
die Ausnahmen: "Big6" oder "T9" sind der Natur nicht mehr gewachsen. | |
"Die Pute ist besonders überzüchtet", sagt Martin Hofstetter, der seit | |
Langem für Greenpeace die Landwirtschaft beobachtet. Da kämen selbst das | |
Turbohähnchen, das Riesenschinkenschwein und die Hochleistungskuh nicht | |
mit. Die Pute sei das beste Beispiel für den Schwund genetischer Vielfalt | |
im Stall. Die Züchter selektierten nach wenigen Leistungsmerkmalen. Puten | |
müssen schnell wachsen, kein Fett ansetzen, viel Muskelfleisch bringen. | |
1991 machte die Putenbrust noch 14 Prozent des Körpergewichts eines Tieres | |
aus. Heute sind es fast 30 Prozent. | |
Die Agrarindustrie entdeckte die Putenmast spät, aber gründlich - mit | |
strikter Arbeitsteilung: Weltweit beherrschen die drei Zuchtfirmen Aviagen | |
und Willmar Poultry Company aus den USA sowie Hendrix Genetics | |
(Niederlande) den Markt. Sie hielten die "äußerst wertvollen" Tiere "weitab | |
von den Zentren der Mast, um sie vor Seuchen zu schützen", erklärt | |
Hans-Wilhelm Windhorst. Der Professor beschäftigt sich an der Universität | |
Vechta mit Agrarstrukturen. Ihre Eier lieferten sie an ein | |
"Vermehrungsunternehmen". Diese schicken ihre Eier zu "Brütereien". Und | |
erst diese verkaufen Küken an die Landwirte. | |
Anders als Belgien, Frankreich oder Großbritannien ist Deutschland kein | |
traditionelles Putenland. Anfang der 80er-Jahre servierte man eher Huhn als | |
Pute. Dann kamen Dioxin-Hühner, Hormonkälber, BSE-Rinder - und plötzlich | |
flogen alle auf die Pute. Fortan gab es nichts, was sich nicht aus dem | |
weitgehend geschmacklosen Fleisch herstellen ließ - Aufschnitt, | |
Frikadellen, Rouladen, Fertiggerichte. Und zwar alles höchst mager und | |
preiswert, versicherten die Erzeuger. Die Pute machte Karriere, obwohl die | |
Mast bald in Verruf geriet, wegen Einsatz von Antibiotika und Verstößen | |
gegen den Tierschutz. Anfang der 80er aß jeder Westdeutsche 1,6 Kilo Pute | |
im Jahr, heute sind es 6,1 Kilo. | |
Die Erde verliert nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO jede | |
Woche zwei Nutztierrassen. Bei den Kühen zum Beispiel ist der Siegeszug der | |
schwarz-weißen Allerweltsrasse Holstein Friesian nicht aufzuhalten. | |
Gourmets tischen aber längst das Boef de Hohenlohe oder das Bunte | |
Bentheimer Landschwein auf. Und kein Putenfleisch. Denn Puten sind | |
Massenware. | |
Immer mehr Bauern halten die alten Rinderrassen wie das Boef de Hohenlohe | |
oder einst vergessene Schweinerassen wie das Schwäbisch-Hällische auf ihren | |
Höfen. Das Geschäft lohnt sich, weil das Fleisch einen Namen hat und die | |
Kunden dafür zahlen. Dahinter steckt eine kluge Vermarktung - mit Geschmack | |
und Nostalgiebonus. "Davon sind wir bei den Puten weit entfernt", sagt | |
Jürgen Güntherschulze von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und | |
gefährdeter Haustierrassen. | |
Der Biologe ist einer der wenigen Putenexperten in Deutschland. Hierzulande | |
gebe es nicht viel mehr als die zwei alten Wirtschaftsrassen "Bronze-Pute" | |
und "Cröllwitzer-Pute". Genauer: 800 "Bronze-Puten" und 960 "Cröllwitzer | |
Puten" auf kleinen Bauernhöfen - oder bei ihm in der Mecklenburgischen | |
Schweiz, wo er den Haustierpark Lelkendorf gegründet hat. Sie fliegen | |
abends in die Bäume, legen jedes Jahr Eier. Ihre Küken verstecken sie in | |
den Brennnesseln, bis sie etwas größer geworden sind. Sie seien "das | |
Gegenteil von dem, was die Lebensmittelwirtschaft liebt", sagt | |
Güntherschulze. Zu wenig Gewicht, zu langsam im Wachstum. Den gewünschten | |
Ertrag bringen sie nicht. | |
Auch Biobauern müssen ihren Unterhalt verdienen, sie können sich die Idylle | |
mit Cröllwitzer Puten nicht leisten. Sie gönnen ihren Tieren schon mehr | |
Luxus als ein konventioneller Bauer: Puten hacken aufeinander ein, wenn es | |
ihnen zu eng ist. Herkömmliche Geflügelhalter zwicken ihren Tieren darum | |
den Schnabel ab. Biobauern geben ihnen lieber mehr Platz. Doch "wer einen | |
Bioaufschlag über 30 Prozent fordert, ist schnell raus aus dem Geschäft", | |
meint die Agrarexpertin des Umweltverbandes BUND, Reinhild Benning. Der | |
Preis für konventionelle Puten liegt derzeit gerade mal bei 1,24 Euro - pro | |
Kilo. | |
Immerhin könnten in der Bronze-Pute und der Cröllwitzer Pute wertvolle | |
Begabungen stecken - für neue robuste und zugleich fleischige Ökorassen. Zu | |
züchten, das sei für seine Branche jedoch zu langwierig und zu teuer, meint | |
Bioland-Chef Dosch. Ein Betrieb versuche derzeit eine neue Biohühnerrasse | |
zu züchten: "Das hat in den letzten sieben Jahren schon 500.000 Euro | |
gekostet. Und das Projekt ist noch nicht beendet." Staatliche Unterstützung | |
erwartet er nicht. Das CSU-geführte Bundesagrarministerium hat im | |
Förderprogramm Ökologischer Landbau dafür kein Geld eingeplant. | |
Für Umweltschützer Martin Hofstetter ist klar: "Egal ob bio oder | |
konventionell: Puten sind einfach hochgepäppelte Fleischklöpse. Am besten, | |
Sie essen sie gar nicht." Geht es nach ihm, müssen Kochrezepte neu | |
geschrieben werden. | |
7 Feb 2009 | |
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[1] http://Brigitte.de | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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