# taz.de -- Geflügel-Skandal in Ostwestfalen: Der Schwindel mit den Bio-Puten | |
> Berthold Franzsander war einer der größten deutschen Biogeflügelhändler. | |
> Nach taz-Informationen ermittelt nun die Staatsanwaltschaft gegen ihn. | |
Bild: Bio wären diese Puten nur, wenn sie auch Bio-Futter fressen würden. | |
Oktoberfest 2008 - das waren noch gute Zeiten. Berthold Franzsander liefert | |
knapp 20.000 "Wiesn-Hendln" von seinem ostwestfälischen Biogeflügelhof nach | |
München. Und zwar in die älteste Braterei auf der Wiesn, die Hendl-Braterei | |
Ammer. Er macht das schon seit sieben Jahren. Mancher Urmünchner raufte | |
sich anfangs die Haare - preußische Hendl! Aber: "Die Qualität der Hendl | |
ist hervorragend", sagt Claudia Trott, die die Braterei führt. "Wir haben | |
nur die besten Erfahrungen gemacht." Oder besser gesagt: hatten. "Wir sind | |
erschüttert", sagt Trott nun. | |
2008 - das war die letzte Lieferung von Franzsander. Der Hof in Delbrück | |
ist gesperrt, er darf seine Waren nicht mehr als bio verkaufen. Die | |
Staatsanwaltschaft Paderborn ermittelt, wie ein Sprecher am Mittwoch | |
erklärte. Der Grund: Sauereien mit Futter - in ganz großem Stil. | |
Es ist ein Absturz. Franzsander galt etwas in der Ökobranche, alle sprechen | |
nur von "dem Berthold". Er führt den Hof zusammen mit seiner Frau, "der | |
Roswitha". Als "Pioniere der Biogeflügelhaltung" bezeichnen sie die einen, | |
andere sprechen vom "Vorzeigebetrieb". In jedem Fall gehören sie zu den | |
ganz Großen der Branche, sie halten tausende Puten, schlachten pro Jahr | |
180.000 Hähnchen und ziehen 900.000 Küken für andere Kollegen auf. Sie | |
füttern Gänse, Enten, Perlhühner. Sie liefern ihre Produkte bundesweit, | |
auch an Hof- und kleine Bioläden. Doch das ist nun Vergangenheit. | |
"Franzsander hat Biowaren auf den Markt gebracht, die keine sind", sagte | |
Babette Winter vom zuständigen Landesamt für Natur, Umwelt und | |
Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen der taz. Ihre Kollegen hätten dem | |
"ökologisch wirtschaftenden Betrieb einen nicht zulässigen Einsatz von | |
konventionellen Futtermitteln nachgewiesen". | |
Aufgefallen ist der Betrieb schon Ende letzten Jahres - über Umwege. | |
Routinemäßig kommen auf jeden Biobetrieb einmal im Jahr Kontrolleure. Sie | |
sind allerdings nicht vom Amt, sondern von privaten - staatlich | |
zugelassenen - Ökozertifizierungs-Unternehmen. Das ist ähnlich wie in | |
Industrieunternehmen, die einmal im Jahr die Wirtschaftsprüfer ins Haus | |
lassen müssen. Die Biokontrolleure nehmen sich die Geschäftsbücher vor, in | |
denen der Bauer etwa auflistet, welche Tiere er hat und wie viel Futter er | |
kauft. "Plausibilitätsprüfung" nennt sich das. | |
Und im Mai 2008 war für die Kontrolleure der Firma Abcert auch noch alles | |
plausibel auf dem Hof von Franzsander. Drei Tage haben sie dort verbracht. | |
Monate später, nämlich im November, nahmen dann Winters Kollegen einen | |
Raiffeisen-Futtermittelhandel unter die Lupe, wie sie es immer mal wieder | |
machen. In diesem Fall wollten sie wissen, ob das Sojafutter, das aus | |
Brasilien geliefert wurde, gentechnikfrei war. Dabei fiel ihnen auf, dass | |
auf der Liste der Raiffeisen-Kunden auch Franzsander stand. | |
Das kam den Beamten komisch vor. Ein Biobetrieb darf nur in engen Grenzen | |
konventionelles Futter kaufen. Sie sprachen sich mit der Firma Abcert ab | |
und fuhren zum Hof. Nach und nach fanden sie heraus: Franzsander hat 2008 | |
mehr als 900 Tonnen konventionelles Futter von verschiedenen Händlern | |
bezogen. | |
900 Tonnen, für Friedrich Ostendorff ist das eine enorme Menge. Ostendorff | |
ist selbst Ökobauer und Biofleischhändler, aber auch Agrarexperte des | |
Umweltverbandes BUND. Er rechnet vor: "Damit lassen sich 330.000 Hähnchen | |
schlachtreif mästen oder 25.000 Puten." | |
So sei es aber nicht, sagt Berthold Franzsander. Er erzählt der taz, dass | |
er nach der Routinekontrolle im Mai ein Problem bekam. "Jungputen nahmen | |
das Biofutter nicht an." Die Tiere sind anspruchsvoll, sie brauchen zum | |
Beispiel viel Eiweiß. Sie sterben leicht. Franzsander behalf sich mit | |
konventionellem Futter. Er habe 250 Tonnen an 9.000 Puten gegeben, aber nur | |
in ihren ersten Lebenswochen. Der Rest des stinknormalen Futters sei an das | |
Vieh gegangen, das er konventionell halte. | |
Der Biobauer hat 1994 seinen elterlichen Hof auf bio umgestellt, aber im | |
Laufe der Jahre auch noch Ställe hinzugepachtet. Er arbeitet nicht in allen | |
ökologisch, sondern in manchen auch konventionell. Das ist so lange nach | |
der EU-Ökoverordnung in Ordnung, wie es eine klare Teilung gibt: Die Ställe | |
müssen voneinander getrennt sein, es dürfen nicht die gleichen Tierrassen | |
sein. Im Amtsdeutsch: Die Betriebsabläufe müssen sich unterscheiden. | |
Doch diese klare Unterscheidung hat es für die Kontrolleure vom Landesamt | |
nicht gegeben: "Anhand der Unterlagen und in Anhörungen konnte Franzsander | |
nicht nachweisen, welche Chargen betroffen sind." Deshalb darf er nun weder | |
seine Puten noch seine Hühner oder Küken als bio verkaufen. Ein Silo voll | |
mit normalem Futter ist mindestens - das haben die Ermittlungen ergeben - | |
auch an ältere Bioputen gegangen. | |
Für Babette Winter ist es der "mit Abstand größte Bioschwindel, den es in | |
Nordrhein-Westfalen bisher gab". In Ostwestfalen wurden zwar schon mal | |
konventionelle Schweine, im Märkischen Kreis herkömmliche Milch als Öko | |
verkauft. "Aber nie hatten die Betriebe diese Marktbedeutung", meint die | |
Frau vom Landesamt. Für bundesweites Aufsehen sorgte in der Ökobranche vor | |
allem der Nitrofenskandal. Das war vor sieben Jahren. Das giftige Nitrofen | |
war über Futtergetreide in Biofleisch und Bioeier gelangt. Dieses hatte in | |
einer mit Ackerchemie belasteten Lagerhalle gelagert. | |
"Der Fall Franzsander ist anders", sagt Winter, es gebe keine Gefahr, "aber | |
eine Täuschung". Schließlich wolle, wer ins Ökoregal greift, zumeist etwas | |
für die Umwelt und für die Tiere tun. Die Kunden seien bereit, dafür auch | |
zu zahlen. Also müsse auch der Standard stimmen. | |
Und der Standard von Franzsander ist Bioland-Standard. Franzsander ist | |
einer der knapp 5.000 Bauern und gut 800 Lebensmittelhersteller, die sich | |
im größten Ökoanbauverband zusammengetan haben. Sie alle versprechen nach | |
Richtlinien zu arbeiten, die strenger sind als die EU-Ökoverordnung. | |
Konventionell und bio auf einem Betrieb geht da zum Beispiel nicht, der | |
Bioland-Bauer muss eine zweite Firma auf einem anderen Gelände anmelden, | |
wenn er auch konventionell arbeiten will. Schummeleien sollen so verhindert | |
werden. | |
"Für mich ist der Fall ein Schock", sagt Bioland-Chef Thomas Dosch, "auch | |
weil der Bauer viel für artgerechte Tierhaltung geleistet hat". Der Verband | |
hat Franzsander gekündigt - und RoBerts Bio-Geflügel auch. Das ist eine der | |
größten Biogeflügelhandelsfirmen in Deutschland. Die Gesellschafter heißen: | |
Roswitha und Berthold Franzsander. Die Behörden haben gegen RoBerts nichts | |
unternommen. "Das Vertrauen ist weg", sagt aber Dosch. | |
Mittlerweile gibt es auch in der Biobranche kaum noch zu durchschauende | |
Firmen- und Gesellschafterverflechtungen, die lange Zeit nur aus dem | |
konventionellen Agrobusiness bekannt waren. Das Ökosystem wird größer - und | |
anfälliger. Wie sicher kann man also noch sein, dass Bio hält, was es | |
verspricht? | |
Für Dosch ist das die "falsche" Frage. "Der Fall zeigt doch: Die | |
Ökokontrollen funktionieren", sagt er. "Wir haben die Fakten analysiert und | |
sofort gehandelt, besser kann es in so einem Fall nicht laufen." Das sieht | |
Biobauer Friedrich Ostendorff anders. Er findet: "Die Kontrolleure müssen | |
besser hinschauen, auch mal in die Ställe gehen und sowieso öfter | |
auftauchen auf dem Hof." | |
Irgendwie gibt das auch Bioland zu, der Verband stellt seinen Rhythmus um: | |
"Wir werden diejenigen, die mehrere Betriebe führen, jetzt doppelt so oft | |
kontrollieren wie per Gesetz gefordert", sagt Dosch, ab sofort also | |
mindestens zweimal im Jahr. Der Bioland-Mann meint aber auch: "Sie können | |
den Menschen nicht permanent überwachen." Für ihn ist der Fall Franzsander | |
ein "Einzelfall". | |
Matthias Wolfschmidt von Foodwatch geht ebenfalls nicht davon aus, dass es | |
flächendeckend Missstände gibt. Allerdings sei das auch nicht einfach zu | |
überprüfen: "Die Ergebnisse der Ökokontrollstellen werden nicht automatisch | |
auf den Internetseiten der Biobetriebe veröffentlicht." Transparenz sei | |
etwas anderes, meint der Verbraucherschützer. | |
Wie viele Kunden in dem nun öffentlich gewordenen Skandal mit Tieren | |
abgespeist wurden, die zu viel konventionelles Futter bekommen haben, ist | |
unklar. Berthold Franzsander sagt: "Wir haben alle Bioprodukte | |
zurückgerufen." Hätte er das nicht freiwillig getan, wäre eine Aufforderung | |
dazu vom Amt gekommen. Er verbuche "einen Einnahmeausfall von bis zu 50.000 | |
Euro", sagt der Ex-Hühnerbauer. Er ziehe sich aus allen Firmen zurück, | |
wisse nicht, was er jetzt Neues machen wolle. "Wir haben uns entschuldigt", | |
sagt Franzsander noch - bei Mitarbeitern und Geschäftspartnern. | |
Mancher von ihnen hat nun ein Problem: Bauern bekommen kaum noch Ökoküken, | |
sie müssen die Kleinen von konventionellen Betrieben zukaufen. Das ist | |
legal, das machen viele immer so, aber manchem eingefleischten Öko | |
widerstrebt das. Und Besitzer von kleineren Biohöfen erzählen in diesen | |
Tagen, dass sie Anrufe von Händlern bekommen, die sich lange nicht gemeldet | |
haben: Sie wollen Putenbrust und Hühnerschenkel kaufen. Fleisch ist knapper | |
geworden. | |
Lang dauern soll der Lieferengpass allerdings nicht: Die Mitarbeiter von | |
RoBerts Bio-Geflügel wollen den Vertrieb von Geflügel unter anderem Namen | |
weiterführen. Und Bioland will sie dann auch wieder als Mitglied | |
akzeptieren. | |
Bioland-Chef Dosch versichert: "Bis zum Oktoberfest läuft alles wieder." | |
Immerhin: Für den Nachschub an echten Bio-Wiesn-Hendln wird gesorgt. | |
22 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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