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# taz.de -- Kolumne Nebensachen aus Dehli: Wenn Inder nach Sternen greifen
> Inder des Jahres wurde nicht die Polizisten aus Bombay. Das Rennen machte
> ein Raketenwissenschaftler.
Bild: Cricketspieler aus Indien bei Freudensprüngen in die Luft
Was haben ein Guru, ein Mullah, ein Raketenwissenschaftler, ein
Mikrokreditaktivist und eine Bürgerorganisation gemeinsam? Sie alle sind
Anfang Februar für den Titel "Inder des Jahres 2008" im Bereich
"Bürgerschaftliches Engagement" nominiert gewesen. Der Guru erreichte mit
seinen Yogashows bis zu 85 Millionen TV-Zuschauer. Der Mullah brachte den
muslimischen Klerus zu klaren Worten gegen Terrorismus. Der
Raketenwissenschaftler leitete Indiens erste unbemannte Mondmission,
während Millionen Arme dem Kreditaktivisten Mikrodarlehen verdanken. Und
dank der Bürgerorganisation nehmen wieder mehr junge Menschen an indischen
Wahlen teil.
Seit drei Jahren vergibt der Privatsender CNN-IBN, der indische Ableger des
US-Nachrichtenkanals aus Atlanta, den Titel "Inder des Jahres". Zu den
sechs Kategorien zählen neben erwartbaren wie "Politik", "Wirtschaft",
"Sport" und "Unterhaltung" auch der Titel "Globaler Inder". Hier waren der
von Islamisten verteufelte Autor Salman Rushdie und der Booker-Preisträger
Arvind Adiga ("Der weiße Tiger") in der engeren Wahl. Die Nominierten waren
ein Spiegelbild des heutigen Indiens, seiner Werte, Probleme und Visionen -
allerdings nur, was den männlichen und städtischen Teil betrifft.
Denn die Show mit den nationalistischen Untertönen litt schon wie die
Besetzung der Jury darunter, dass Frauen kaum und die Mehrheit der
Landbevölkerung so gut wie gar nicht vorkamen. Von den 38 Kandidaten waren
nur vier Frauen, davon die Hälfte im Bereich "Unterhaltung". Auch die Jury,
die aus Prominenten der sechs Kategorien bestand, zählte nur eine Frau. Die
Preisverleihung in einem Luxushotel in Delhi wurde selbstverständlich live
übertragen. Dabei spielten viele der Zuschauer in dem Ballsaal mit ihren
Blackberrys oder telefonierten. Selbst bei den Licht- und Tontechnikern
klingelten die Handys. Auf der Bühne und in den vorderen Publikumsreihen
gaben sich zahlreiche Minister, Industrielle und Showbiz-Größen die Ehre.
Über allem thronte, stellvertretend für den erkrankten Regierungschef,
Außenminister Pranab Mukherjee. Er bekam einen Applaus für das Atomabkommen
mit den USA, das fast seine Regierung zu Fall gebracht hätte.
Immer wieder waren auch die Terroranschläge von Bombay Thema. Mukherjee
wurde aus dem Publikum angefahren, wann Indien endlich gegen Pakistan
vorgehe. "Wir gewinnen nichts, wenn wir die Geduld verlieren", sagte er
cool. Später bekamen die 16 Polizisten, die in Bombay von den Terroristen
getötet worden waren, einen Sonderpreis "für außergewöhnliche Dienste"
sowie eine Schweigeminute.
Beispielhaft hervorgehoben wurde aber nicht der tote Chef der
Antiterroreinheit, sondern ein Stellvertreter. Der Chef hatte kurz vor
seinem Tod bei einem anderen Anschlag Beweise für die Täterschaft radikaler
Hindus gefunden und damit Hindunationalisten erzürnt.
Bevor im Finale der "Inder des Jahres" gekürt wurde, forderten Teile des
Publikums den Titel für Bombays Polizei oder die 16 getöteten Polizisten.
Die Jury kürte jedoch den Raketenwissenschaftler Madhavan Nair und sein
Team der umgerechnet 60 Millionen Euro teuren Mondmission. Gegen den
ehrgeizigen Griff zu den Sternen, der das irdische Elend vergessen lässt,
kommt im heutigen Indien nicht mal mehr ein Guru an, von den getöteten
Polizisten ganz zu schweigen.
8 Feb 2009
## AUTOREN
Sven Hansen
Sven Hansen
## TAGS
Indien
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