# taz.de -- Provokantes Schauspiel Dresden: Der Mythos von der Wunde | |
> Zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens provoziert Volker Lösch am | |
> Staatsschauspiel Dresden mit der Inszenierung: "Die Wunde Dresden" - eine | |
> Entmystifizierung der Opferrolle. | |
Bild: Trainierte Laienschar: der Chor der Bürger Dresdens. | |
"Aber keinen Unfug anstellen!", ermahnt mich die Polizistin, als ich | |
schließlich die Brückenbarriere passieren darf. Sie schützt die Altstadt | |
Dresdens vor den aus der Neustadt auf der anderen Seite der Elbe vergeblich | |
anstürmenden Trupps der Antifas. Um das hinter dem Zwinger liegende | |
Schauspielhaus, mein Ziel an diesem Abend, ist alles still. Dies trifft | |
erst recht auf die Bühne zu, auf der in weißen Bettgestellen liegend | |
blütenweiß gewandete Patienten des Beginns der Vorstellung harren - es sind | |
die Teilnehmer des Dresdener Bürgerchors, eine überaus trainierte | |
Laienschar. Der innovative Einsatz dieses Chors war es vor allem, der | |
Löschs Inszenierungen zu frühem Ruhm verholfen hat. | |
Es ist der 14. Februar, zum 44. Mal jährt sich der Gedenktag der Zerstörung | |
Dresdens. Neonazis haben in erschreckend großer Zahl demonstriert, eine | |
noch größere überparteiliche, hauptsächlich von Gewerkschaftern besuchte | |
Gegendemo hielt dagegen. Gerade dieses Datum und diesen Ort hat der | |
Regisseur Volker Lösch für die Premiere seiner neuen Produktion "Die Wunde | |
Dresden" gewählt. | |
Das Stück, von Volker Lösch und seinem Dramaturgen Stefan Schnabel | |
erarbeitet, ist eine Collage, also ein Zusammenschnitt aus literarischen, | |
politischen und journalistischen Dokumenten, der von der Spätphase der | |
Weimarer Republik bis in unsere Tage reicht. In drei Akten werden drei | |
Zeitabschnitte behandelt: Dresden als Nazistadt, die Zerstörung Dresdens am | |
Kriegsende und schließlich der Wiederaufbau, die "Wunde" und der Neubau der | |
Dresdener Frauenkirche. | |
Der Titel des Stücks enthält eine Diagnose. "Die Wunde", die Zerstörung der | |
Stadt, ist immer noch nicht vernarbt. Sie schwärt. Lösch geht es bei diesem | |
Befund nicht darum, subjektive Einstellungen, Befindlichkeiten von | |
Überlebenden der beiden Bombennächte und von deren Nachkommen auf die Bühne | |
zu bringen. Indem der Bürgerchor diesen Stimmen zum Ausdruck hilft, | |
objektiviert er sie. Wie in früheren Inszenierungen Löschs verkörpert der | |
Chor nicht "Volkes Stimme" - etwa im Gegensatz zum Auftritt der | |
Machteliten. Lösch ist kein Agitpropper, sein Chor demonstriert nicht die | |
gerechte Seite. Er versucht, "Wirklichkeit" darzustellen, vor allem auch | |
den Wankelmut und den Opportunismus der Dresdener Bürger. | |
Lösch ist auch mit "Die Wunde Dresden" als Provokateur erfolgreich. Seine | |
Regie bemüht sich um die Entmystifizierung der Dresdener | |
Lieblingserzählung. Sie lautet: Dresden, das wunderbare Elbflorenz, die | |
Heimat der Künste, eigentlich ganz unpolitisch, wurde kurz vor Kriegsende | |
zum Opfer einer Terroraktion, die nicht nur grausam war, sondern auch | |
gänzlich sinnlos. Der erste Akt demonstriert, wie willig sich die Bürger | |
Dresdens dem NS-Regime ergaben, wobei Lösch den Tatort in just das | |
Schauspielhaus verlegt, in dem sein Stück Premiere hatte. | |
Eine grausig-burleske, an Brechts Arturo Ui erinnernde Szenerie, die | |
Marlene Meyer-Dunker Gelegenheit gibt, sich anlässlich des Theatertreffens | |
1934 auf geschmeidige Weise an die neuen Nazi-Herren ranzuschmeißen. Seinen | |
letzten Höhepunkt feiert die freudige Erniedrigung im Bericht zweier | |
BDMlerinnen, denen es, allen Widrigkeiten zum Trotz, gelang, bis zum Führer | |
vorzustoßen, ihm Blumen zu überreichen und aus seiner Hand je ein | |
Schinkenbrötchen zu empfangen. | |
Der zweite Akt handelt von den beiden Nächten der Zerstörung. Hier ist | |
Lösch und dem Dresdener Bürgerchor eine ganz außerordentliche Demonstration | |
gelungen. Der Chor rezitiert einen langen Brief, den der Soldat Gottfried | |
Frühmaier, Zeuge der Bombardierungen des 13. und 14. Februar, an seine | |
Brüder an der Front schrieb, um sie vom Tode der Eltern zu unterrichten. | |
Der Brief wurde erst 1975 bei Grabarbeiten in einer Tonurne gefunden. Es | |
ist ein sehr anrührendes Dokument, dem allerdings durch den Vortrag des | |
Chors jeder Anflug von Rührseligkeit genommen wird. Keine Betroffenheit | |
wird evoziert. Es ist die strenge, kalte Botschaft aus dem Hades. | |
Der dritte und letzte Akt collagiert die Nachgeschichte der Zerstörung. Er | |
zeigt, wie unter der Herrschaft der SED sich ein Opfermythos herausbildet, | |
der die Bombardierung als Werk des aggressiven amerikanischen Imperialismus | |
(die Engländer werden zunehmend verschwiegen) darstellt. In diesem | |
Opfermythos werden selbst die Ruinen der "gemordeten" Stadt für schöner | |
erklärt als die Ruinen anderer deutscher Städte. | |
Dem Mythos gesellt sich das Pathos sozialistischen Aufbauwillens zu. Noch | |
einmal hat der Chor einen starken Auftritt. Er spricht den Text der | |
DDR-Nationalhymne, der bekanntlich in den letzten Jahrzehnten der DDR nicht | |
mehr gesungen werden durfte. Die Hymne enthält die Vision eines | |
friedlichen, vereinten Deutschland. Sie soll bei Lösch als Kontrast dienen | |
zur Realgeschichte der deutschen Wiedervereinigung. | |
Der Schluss des dritten Akts der Collage wirkt etwas zerfleddert. Was etwa | |
der damalige BDI-Chef Hans-Olaf Henkel zum Wiederaufbau der Frauenkirche zu | |
sagen hat, ist zwar belustigend, überrascht aber niemanden und zwingt | |
keinen zum Nachdenken über den Ertrag solcher erbaulicher Propaganda. Am | |
Ende hören wir Stimmen nicht versöhnter Dresdener Bürger, Auszüge aus | |
Leserbriefen des letzten Jahres, die sich gegen die Relativierung des | |
Verbrechens der Bombardierung zur Wehr setzten. Die offene Wunde - und das | |
beunruhigende Fazit einer aufregenden Inszenierung. | |
16 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Christian Semler | |
## TAGS | |
Literatur | |
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