| # taz.de -- Besuch bei einer Unternehmerfamilie: Herr Li und die Mao-Lieder | |
| > Li Hongfu kauft und verkauft Papier. Seiner Firma geht es schlecht, weil | |
| > der Papierpreis gestiegen und die Nachfrage gesunken ist. Wie kommt er | |
| > durch die Krise? | |
| Bild: Die Zeitung von heute ist das Altpapier von morgen | |
| PEKING taz Li Hongfu fährt einen schwarzen Audi A 6 mit 2,4-Liter-Motor. Um | |
| Gesicht zu zeigen, fahre er einen großen Wagen, sagt Li. Unternehmer | |
| müssten in China ständig Gesicht zeigen, sagt Li. Es klingt angestrengt. | |
| Draußen friert es. Li trägt ein aufgeknöpftes weißes Hemd unter einer | |
| dünnen schwarzen Lederjacke. Er wirkt darin fast jugendlich. Aber Li ist 66 | |
| Jahre alt. Er darf sich das jetzt nur nicht anmerken lassen. Sonst könnte | |
| man den Glauben an ihn und seine Firma leicht verlieren. Und mithin den | |
| Glauben an China. An Typen wie ihm liegt es jetzt, ob die junge | |
| Privatwirtschaft des Landes ihre erste große Krise meistert - oder die | |
| drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt mit ihr untergeht. | |
| Li drückt auf das Gaspedal. Hinter ihm liegt seine luxuriöse Wohnung im | |
| Pekinger Nobelvorort Yizhuan, seine Frau hat ihm gerade Maultaschen mit | |
| Fleisch- und Gemüsefüllung zum Frühstück bereitet. Vor ihm liegt der Weg | |
| zum eigenen Unternehmen. An diesem Morgen ist die Straße frei. Li könnte | |
| stolz auf sein neues Peking sein. Er könnte die vierspurige Autobahnen | |
| loben. Er könnte auf die verglasten Apartmentblocks hinter den Böschungen | |
| zeigen. Er könnte den Fortschritt preisen, so wie es Unternehmer wie er in | |
| China bisher zu tun pflegten. Stattdessen trägt er sich mit schweren | |
| Gedanken. "Meine ganze Energie werde ich in das Unternehmen stecken. Da | |
| muss ich jetzt durch", sagt er. | |
| 22 Jahre ist seine kleine Papierfirma alt. Sie hat 16 Angestellte. | |
| Gegründet hat Li das Unternehmen im Jahr 1986, als es Privatunternehmer wie | |
| ihn nach dem Gesetz der Volksrepublik noch gar nicht geben durfte. Erst | |
| 1992 wurde sein Geschäft legalisiert. Seither ging es steil bergauf. Doch | |
| jetzt hat es Li mit Chinas schwerster Wirtschaftskrise seit Zeiten der | |
| Planwirtschaft zu tun. Das Wirtschaftswachstum des Landes ist innerhalb | |
| eines Jahres von 13 auf 7 Prozent eingebrochen. Die Arbeitslosigkeit | |
| steigt. Schon können nach offiziellen Angaben 25 Millionen Wanderarbeiter | |
| keinen Job mehr finden. Nach Auskunft der europäischen Handelskammer in | |
| Peking dürften sogar 40 Millionen chinesische Arbeitsmigranten in diesem | |
| Frühjahr arbeitslos bleiben - das wären fast so viele Menschen, wie nach | |
| Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen | |
| (ILO) weltweit in diesem Jahr der Arbeitsplatzverlust droht. (Die ILO zählt | |
| die chinesischen Wanderarbeiter, die fast alle keinen festen Vertrag haben, | |
| nicht mit.) | |
| Wird also auch Li den eigenen Leuten kündigen müssen? | |
| Er stoppt seinen Audi vor einem taiwanesischen Teehaus am dritten Pekinger | |
| Autobahnring. Das abgedunkelte, verrauchte Lokal dient ihm für | |
| Geschäftstermine. Drinnen behält er seine Lederjacke an. Er raucht nicht, | |
| obwohl an allen anderen Tischen geraucht wird. Auch auf den Tee legt er | |
| keinen Wert, er trinkt lieber Wasser. | |
| Er kommt sofort zur Sache. "November und Dezember waren schrecklich, der | |
| Januar etwas stabiler", sagt Li. Seine Firma kauft Papier von Fabriken und | |
| verkauft das Papier weiter an Unternehmen mit großem Papierbedarf. Im | |
| letzten Herbst zahlte er bei Großeinkäufen 7.000 Yuan (umgerechnet 700 | |
| Euro) für eine Tonne Papier. Doch seither wird er das Papier nur zum | |
| Tonnenpreis von 6.000 Yuan (umgerechnet 600 Euro) los. "Die Lagerbestände | |
| sind immer weniger wert. Das spüren wir täglich mehr", sagt Li. | |
| Weggebrochen seien ihm die Privatkunden in Südchina. Er habe Papier für | |
| Verpackungen an die dortigen Spielzeugfabriken geliefert, | |
| Mobiltelefonfabriken habe er das Papier für ihre englischen | |
| Bedienungsanleitungen besorgt. Doch seit Amerikaner und Europäer weniger | |
| Spielzeug und Mobiltelefone aus China kaufen, ist ein Kunde nach dem | |
| anderen bankrottgegangen. Zwei Fünftel seines Umsatzes hat Li damit | |
| verloren. | |
| Zum Glück läuft das Kundengeschäft in der Hauptstadt noch normal. Da geht | |
| es nicht um Export, erklärt Li. Er beliefert die großen Buchverlage. Sie | |
| druckten zwar auch weniger als früher, weil die Nachfrage nach Büchern | |
| insgesamt sinke. Aber das sei ein langfristiger Trend, kurzfristig könnten | |
| die Verlage durch neue staatliche Aufträge im Erziehungswesen sogar an | |
| Aufträgen gewinnen. "Für mich ist der chinesische Markt größer als der | |
| Auslandsmarkt. Das könnte meine Firma retten," sagt Li. Die Aussicht hilft | |
| auch seinen Angestellten. Li will noch niemanden entlassen. "Aufgrund des | |
| menschlichen Faktors", aber auch, weil er seine Leute angelernt habe und | |
| sie schwer ersetzbar seien. | |
| Wie er über seine Firma denken heute viele westliche Ökonomen über die | |
| Weltwirtschaft: Chinas Binnennachfrage soll sie retten. Weil hunderte | |
| Millionen Chinesen in den Hinterlandprovinzen noch arm sind, weder moderne | |
| Mobiltelefone noch ausreichend Spielzeug für ihre Kinder haben, könnte ihre | |
| Nachfrage für den nächsten großen Wachstumsboom in China sorgen, der dann | |
| auch die Weltwirtschaft mitzöge. Diesen Boom zu entfachen, wäre dabei | |
| Aufgabe der Regierung. Und tatsächlich ist Peking ja dabei, für die | |
| nächsten zwei Jahre ein riesiges Konjunkturprogramm aufzulegen: Über 400 | |
| Milliarden Dollar sollen investiert werden, die das Bruttosozialprodukt in | |
| den Jahren 2009 und 2010 um jeweils 7 Prozent anheben könnten. Doch ob das | |
| reicht? Li findet es richtig, dass die Regierung Maßnahmen zur Stärkung der | |
| Binnennachfrage ergreift. Aber er ist sich nicht sicher, ob sie damit eine | |
| große Krise abwenden kann. "Nach dem Naturgesetz der Partei muss es Jahr | |
| für Jahr besser gehen. Aber dieses Jahr ist anders," sagt Li. Er habe da | |
| seine eigene Meinung. Er glaubt, dass die chinesischen Wirtschaft nicht auf | |
| eigenen Beine steht. "Wenn Amerika hustet, dann ist China gleich erkältet." | |
| Doch darüber könne man ein anderes Mal reden - Li lädt am Wochenende zu | |
| einem Familienfest ein. | |
| An diesem Sonntag sind bei ihm Verwandte aus der Provinz Hunan zu Besuch. | |
| Auch die Familien der Geschwister aus Peking sind gekommen. Sie vergnügen | |
| sich seit dem Morgen in Lis großer Wohnung mit Karaoke-Bar, Billardtisch | |
| und Tischtennisplatte. Jedem von ihnen öffnet Li im weiß gestreiften | |
| Schlafanzug die Haustür. Bis zur Verabschiedung am späten Abend legt er das | |
| einfache Nachtkleid nicht ab. "Als Familienchef will ich Vertrautheit | |
| vermitteln", sagt er. | |
| Die anderen akzeptieren seine Hausherrenrolle. Als ältesten Bruder steht | |
| sie ihm zu, nicht als Unternehmer. Vielmehr tut Li zu Hause alles dafür, | |
| seine Unternehmertätigkeit unter den Scheffel zu stellen. Sein jüngster | |
| Bruder sei Abteilungsleiter bei der Nationalen Entwicklungs- und | |
| Reformkommission, er habe es gesellschaftlich viel weiter gebracht, sagt | |
| Li. Er zeigt auf die Tugendsymbole der konfuzianischen Beamten, vier | |
| holzgeschnitzte Pflanzen, die er in seinem Arbeitszimmer aufgehängt hat. | |
| Von der eigenen Firma findet man in seiner Wohnung keine Spur. | |
| Li hat Probleme mit seinem Selbstverständnis. Für Konfuzius stand der gute | |
| Beamte im Mittelpunkt der Gesellschaft, für Mao Tse-tung der gute Arbeiter. | |
| Der gute Unternehmer kommt in der chinesischen Überlieferung nicht vor. | |
| Unternehmer gelten vielmehr als listig und hintertrieben. Li will genau das | |
| nicht sein. In seiner Karaoke-Bar im Keller singt er im Schlafanzug stehend | |
| laut und lange alte Mao-Lieder. "Meine Generation ist vom Geist Maos | |
| beeinflusst, anders als die Jungen", sagt er. Sein Motto sei: Wer gute | |
| Geschäfte machen wolle, müsse auch ein guter Mensch sein. Es klingt, als | |
| habe er als Profitmacher vor seinem Jugendgott Mao bis heute ein schlechtes | |
| Gewissen. | |
| Seine Tochter Li Huan macht es ihm nicht einfacher. Sie ist Mitte zwanzig | |
| und arbeitet in der Kontrollbehörde des Umweltministeriums. Der jüngste | |
| Bruder hat ihr den Job verschafft. Jetzt weiß sie viel von den Umweltsünden | |
| der Papierindustrie. Der Vater kann das Problem nicht leugnen. Am | |
| Küchentisch erzählt er der Tochter, wie die Papierfabriken, die er oft | |
| besucht, schließen müssen, wenn Politiker aus Peking anrücken. Dann tun die | |
| lokalen Behörden so, als ob es bei ihnen keine umweltschädliche | |
| Papierindustrie mehr gäbe. Später öffneten die Fabriken wieder. Die Tochter | |
| findet das nicht gut. | |
| "Ich war lange Jahre Sportlehrer. Ich habe mich dann in den 80er-Jahren ins | |
| Meer gestürzt, wie man damals sagte. Aber ich würde mich immer noch nicht | |
| als Unternehmer bezeichnen", sagt Li. Er sitzt immer noch am Küchentisch. | |
| Sein jüngster Bruder hört ihm schweigend zu. Unten im Keller spielen die | |
| Verwandten inzwischen Karten, einige schauen im Wohnzimmer Fernsehen auf | |
| einem Großbildschirm. | |
| Nach einer Weile ergreift der jüngste Bruder das Wort. Li Hongqing trägt | |
| ein blaues Jeanshemd. Er spricht als Einziger unter den Geschwistern | |
| Englisch. "Nein," sagt er, "das Konjunkturprogramm wird nicht reichen. Ohne | |
| ein Plus bei den Exporten gibt es in China kein Wachstum mehr." Im Grunde | |
| will er damit sagen: Ohne die Privatwirtschaft, ohne Leute wie seinen | |
| ältesten Bruder geht es nicht mehr. Die Privatwirtschaft hat China zur | |
| zweitgrößten Exportnation der Welt gemacht. Ohne sie ist der chinesische | |
| Staat machtlos. | |
| Die Brüder Li sind also keine Keynesianer, setzen nicht auf Vater Staat, | |
| und das, obwohl sie dem Wesen des Unternehmertums skeptisch | |
| gegenüberstehen. Li Hongqing ist dreizehn Jahre jünger als sein ältester | |
| Bruder. Für ihn gibt es keinen sentimentalen Blick zurück auf Maos Zeiten. | |
| Li Hongfu aber entspringt genau der Generation, die heute China regiert. | |
| Parteichef und Premierminister haben sein Alter. Sie alle haben Mao | |
| irgendwann verehrt. Sie sind eine Generation, für die der Kapitalismus | |
| immer noch neu ist, die von klein auf die Kapitalismuskritik im Blut hatte. | |
| Ob ihnen das in der Krise hilft? Oder nur Selbstzweifel weckt? Jedenfalls | |
| denkt Li Hongfu noch nicht an den Ruhestand. "Ich arbeite jetzt 12 Stunden | |
| am Tag. Ich muss den Umsatz halten", sagt Li. Die Weltwirtschaft kann mit | |
| ihm rechnen. Seiner Familie aber erzählt Li von seinen Firmensorgen nichts. | |
| 24 Feb 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Blume | |
| Georg Blume | |
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