# taz.de -- Tragisches Ende: Keine Zukunft im Miniatur-Ischl | |
> Die Stadt Petrópolis, ehemalige Sommerfrische von Kaiser Pedro II., ist | |
> einer der schönsten Aufenthaltsorte in der Nähe von Rio de Janeiro. | |
> Ausgerechnet hier nahmen sich der Schriftsteller Stefan Zweig und seine | |
> Frau 1942 nach anfänglicher Begeisterung für Brasilien das Leben | |
Bild: Quitandinha-Palast, Petrópolis | |
Zwei Fachwerkgiebel, die aus dichtem Grün hervorlugen, ein rauschendes | |
Bächlein und dahinter Berge: Fast sieht es aus wie im Schwarzwald, wäre da | |
nicht die tropische Vegetation. Bananenstauden, Bromelien und üppige | |
Bougainvilleen umwuchern die Veranda des Farmhauses, im Garten stehen | |
Bambussträucher und Palmen. Der Landsitz ist typisch für die Bebauung von | |
Petrópolis, das etwa siebzig Kilometer von Rio de Janeiro entfernt im | |
gleichnamigen Gebirge liegt. | |
Vor Jahrhunderten siedelten sich hier Deutsche, Schweizer und andere | |
Europäer an und prägten mit ihrem Baustil das Stadtbild. Zu Häusern im | |
Fachwerkstil gesellen sich stattliche Villen, wie man sie auch an der Côte | |
dAzur oder in Südengland finden könnte. Dazwischen Springbrunnen, | |
Parkanlagen und gepflegte Gärten. Es lebt sich gut hier oben. Die Luft auf | |
achthundert Metern Höhe ist auch im Hochsommer noch erfrischend. Nachts | |
bleibt man auch von der schwülen Hitze der Küste verschont. Und wer nach | |
etwa eineinhalb Stunden Fahrt auf kurvenreicher Straße in Petrópolis | |
ankommt, hat die Hektik des stickigen Rio schnell vergessen. Kein Wunder, | |
dass der Ort im 19. Jahrhundert zur Sommerfrische der brasilianischen | |
Kaiser wurde! | |
Dafür ließ sich Dom Pedro II. um 1845 von Baumeister Friedrich Köler den | |
neoklassizistischen Palácio Imperial errichten, in dem zwischen prunkvollen | |
Möbeln und Porträts der kaiserlichen Familie noch immer die mit 639 | |
Brillanten besetzte Kaiserkrone aufblitzt. Zwar ist Petrópolis inzwischen | |
eine Stadt mit rund 300.000 Einwohnern, zu den verspielten Villen ist so | |
manches Hochhaus gekommen. Aber noch heute verbringen hier viele | |
wohlhabende Cariocas, wie die Bewohner von Rio heißen, gern ihre | |
Wochenenden. Wobei sie jetzt verstärkt dem Wandern, Klettern, Reiten, | |
Mountainbiken und Canyoning nachgehen. Schließlich wurde die Region mit dem | |
Nationalpark Serra Órgãos für den Ökotourismus erschlossen. | |
Der spielte noch keine Rolle, als Stefan Zweig 1941 hierher kam. Und der | |
Österreicher ließ sich hier auch nicht unbedingt nieder, weil das damalige | |
"Kurörtchen", das "Sommerresidenzchen" des Habsburger-Abkömmlings Dom Pedro | |
für ihn eine Art "Miniatur-Ischl" darstellte. Immerhin kam er als Jude auf | |
der Flucht vor den Nazis nach Brasilien. Jahrelang war er von einem Exil | |
ins andere geirrt, nun hielt er Ausschau nach einer Bleibe in angenehmem | |
Klima, wo er zur Ruhe kommen würde. "Heute glücklich übersiedelt", schreibt | |
er Ende 1941 an seine erste Frau Friderike in New York. "Es ist ein | |
winziges Häuschen, aber mit großer gedeckter Terrasse und wunderbarem | |
Blick, jetzt im Winter reichlich kühl (?) Aber endlich ein Ruhepunkt für | |
Monate und die Koffer verstaut?" | |
Er hat einen bescheidenen Bungalow in der Rua Gonçalves Dias 34 gemietet. | |
Zwei Zimmer, Küche, Bad, Veranda: kein Vergleich mit dem Schlösschen, das | |
er in Salzburg bewohnte. Doch liegt er im Stadtteil Valparaíso - im | |
Paradiestal. Und für ihn ist Petrópolis auch eine Art Paradies. Wie das | |
ganze Land. | |
Das erste Mal war der Schriftsteller 1936 nach Brasilien gekommen. Anlass | |
war eine Tagung des PEN-Clubs in Buenos Aires. Was er damals erwartete? | |
"Irgend eine der südamerikanischen Republiken, die man nicht genau | |
voneinander unterscheidet, mit heißem, ungesundem Klima, mit unruhigen | |
politischen Verhältnissen und desolaten Finanzen, unordentlich verwaltet | |
und nur in den Küstenstädten halbwegs zivilisiert." Doch kaum läuft sein | |
Schiff in den Hafen von Rio de Janeiro ein, ist er begeistert. "Die | |
Schönheit dieser Stadt, dieser Landschaft lässt sich wirklich kaum | |
wiedergeben", schwärmt er. Als offizieller Gast des Außenministeriums wird | |
er mit entsprechenden Ehren empfangen und im Hotel Copacabana Palace | |
untergebracht, das damals wie heute erste Adresse der Stadt ist. Dann | |
folgen Empfänge, Gala-Diners und Lesungen, bei denen er ausgiebig gefeiert | |
wird. In Brasilien war der Autor der "Sternstunden der Menschheit" immerhin | |
der meistübersetzte zeitgenössische Autor. Ihm schlägt eine Welle der | |
Sympathie entgegen, die ihn wiederum für Land und Leute einnimmt. | |
"Brasilien ist unglaublich, ich könnte heulen wie ein Schlosshund, dass ich | |
hier weg soll", notiert er nach zwölf Tagen und nimmt sich vor, möglichst | |
bald wiederzukommen. | |
1940 ist es so weit. Inzwischen ist der Zweite Weltkrieg in vollem Gang. | |
Der Schriftsteller hat sein Domizil in Salzburg aufgeben müssen und in | |
England Zuflucht gesucht. Lotte, die vorher nur seine Sekretärin war, ist | |
jetzt seine angetraute zweite Frau. Brasilien könnte jetzt vielleicht zu | |
ihrer neuen Heimat werden - und zum Thema eines nächsten Buchs. Ob er, als | |
er "Brasilien - ein Land der Zukunft" in Angriff nimmt, auch seine eigene | |
Zukunft im Blick hat? | |
Jedenfalls reist er herum und recherchiert, beendet das Buch in New York | |
und kommt Ende des Jahres zurück, um sich - mit der dauerhaften | |
Aufenthaltsgenehmigung in der Tasche - in Petrópolis einzumieten. Hier, in | |
der Abgeschiedenheit des Gebirges, will er sich neuen Buchprojekten über | |
Montaigne und Balzac widmen. Doch die Rechnung geht nicht auf. | |
Zwar ist das Ehepaar bezaubert von der Freundlichkeit der Menschen, sieht | |
in ihnen die Verkörperung von Humanität und gelebter Toleranz. Doch die | |
Verständigung ist schwer, die Kost ungewohnt und die Luftfeuchtigkeit tut | |
der asthmakranken Lotte nicht gut. Noch schwerer wiegt, dass Stefan Zweig | |
auf den Austausch mit Freunden und eine gute Bibliothek verzichten muss. | |
Völlig unerwartet gerät er zudem mit seinem inzwischen veröffentlichten | |
Buchs "Brasilien - ein Land der Zukunft" in die Kritik. Die einen werfen | |
ihm vor, es sei ein Lobgesang auf die Regierung des Diktators Getúlio | |
Vargas, die ihn dafür bezahlt hätte. Die anderen wiederum bemängeln, dass | |
das Land in seinen Betrachtungen zu schlecht wegkäme. Hatte er darin nicht | |
von den malerischen Favelas und den liebenswerten alten bondes, den | |
Trambahnen, geschwärmt, anstatt die neuen Hochhäuser und Fabriken | |
herauszustellen? Gewiss, es gibt fragwürdige Sätze wie den, dass "ein Jahr | |
unter der Ära Getúlio Vargas heute, 1940, mehr leisten (könne) wie ein | |
Jahrzehnt unter Dom Pedro II. 1840". | |
Zweig mag das Land aus seiner Verzweiflung heraus idealisiert haben. Doch | |
musste ihm Brasilien im Vergleich zu Deutschland wie ein vorbildliches | |
Gegenmodell erscheinen. "Wie ist auf unserer Erde ein friedliches | |
Zusammenleben der Menschen trotz aller disparaten Rassen, Klassen, Farben, | |
Religionen und Überzeugungen zu erreichen?", fragt der Pazifist und fährt | |
fort: "Keinem Lande hat es sich durch eine besonders komplizierte | |
Konstellation gefährlicher gestellt als Brasilien, und keines hat es - und | |
dies dankbar zu bezeugen, schreibe ich dieses Buch - in so glücklicher und | |
vorbildlicher Weise gelöst wie Brasilien." | |
Er fühlt sich mit seiner Liebeserklärung an Brasilien gründlich | |
missverstanden, einsam und isoliert. Immer wieder klagt er in Briefen an | |
Freunde über seine "schwarze Leber", Synonym für Melancholie und | |
Depressionen. Hinzu kommt die beunruhigende politische Entwicklung. Vor | |
allem der Fall Singapurs Anfang 1942 ist für ihn ein tiefer Schock. | |
Gleichzeitig muss er erfahren, dass brasilianische Schiffe von deutschen | |
U-Booten versenkt werden. Wie sicher ist er noch in seinem Paradies? Ist es | |
überhaupt ein Paradies? Oder vielmehr die Hölle? Seine Stimmung verdüstert | |
sich. Am 22. Februar nehmen er und seine Frau Gift, am nächsten Tag werden | |
sie von Hausangestellten in ihrem Bett gefunden: er mit gefalteten Händen, | |
sie seitlich an ihn geschmiegt, als würden sie beide schlafen. | |
In einer Erklärung, die er hinterlässt, dankt er noch einmal dem | |
brasilianischen Volk für seine Gastfreundschaft. "Mit jedem Tage habe ich | |
dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber | |
vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für | |
mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber | |
vernichtet." Doch ist er zu erschöpft für einen Neuanfang und schließt: | |
"Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der | |
langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus!" | |
Heute erinnert eine unscheinbare Gedenktafel vor dem Haus in Petrópolis an | |
ihn. Die Casa Stefan Zweig selber ist leer und verschlossen, ringsum sind | |
neue Bungalows und Mietshäuser die grünen Hänge hoch gewachsen, darunter | |
braust der Verkehr. Doch zum Ende dieses Jahres soll aus dem ehemaligen | |
Wohnhaus ein Museum werden. Ein Verein unter Vorsitz des brasilianischen | |
Journalisten Alberto Dines, der auch Autor der beeindruckenden | |
Zweig-Biografie "Tod im Paradies" ist, hat dafür das Grundstück erworben. | |
Nun wird es hergerichtet, um künftig mit Fotos, Büchern, Zweigs Totenmaske | |
und anderen Exponaten das Schicksal der Exilanten zu veranschaulichen. | |
Für viele wurde Brasilien tatsächlich zum Land der Zukunft, für Zweig | |
stattdessen zur Endstation. Ausgerechnet der Ort Petrópolis, sein | |
Miniatur-Ischl, das noch heute eins der schönsten Ausflugsziele von Rio | |
ist. | |
25 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Wiebrecht | |
## TAGS | |
Reiseland Brasilien | |
Kinofilm | |
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