| # taz.de -- Wissenschaftler über Islamisierung: "Man klebt das Label Islam dra… | |
| > Der Erfurter Islamwissenschaftler Malik erforscht die Mobilisierung von | |
| > Religion in Europa - und kritisiert die Islamisierung der Muslime durch | |
| > die deutsche Mehrheitsgesellschaft. | |
| Bild: Kommse rein, könnse rausgucken: Tag der offenen Moschee in Berlin. | |
| taz: Herr Malik, Sie gehen davon aus, dass die Bedeutung der Religion in | |
| Europa zunimmt. Man kann aber vielerorts beobachten, dass die kirchlichen | |
| Gemeinden keinen Zulauf mehr haben, im Gegenteil. Wie geht das zusammen? | |
| Jamal Malik: Die Bindungskraft der Kirchen in Europa nimmt ab, aber das | |
| bedeutet noch lange nicht, dass die Religiosität abnimmt. Wir haben das, | |
| was die englische Soziologin Grace Davie "believing without belonging" | |
| nennt. Religion hat enorme kulturelle Potenz. Mit ihrer Hilfe kann | |
| Nachbarschaft entwickelt werden, kann ziviles Engagement aufgebaut werden, | |
| können Leute dazu gebracht werden zu kooperieren - oder auch dazu, sich | |
| voneinander abzugrenzen. | |
| In dem Forschungsprojekt, das Sie in den vergangenen drei Jahren | |
| durchgeführt haben, sprechen Sie von der Mobilisierung von Religion in | |
| Europa. Das hört sich nach Instrumentalisierung an - und damit wenig | |
| positiv. | |
| Mobilisierung ist erst einmal wertfrei. Wir wollten untersuchen, wo, aus | |
| welchen Gründen und durch wen Religion im 20. und 21. Jahrhundert in den | |
| Vordergrund tritt. Häufig - aber nicht nur - geht es dabei um | |
| Instrumentalisierung der religiösen und religiös legitimierten Grenzen. | |
| Nehmen wir zum Beispiel die Debatte über die Europäische Union. Wenn man | |
| das christliche Abendland, was ja ein Kampfbegriff ist, der über die | |
| Kirchen Eingang in die Politik gefunden hat, in die Debatte einführt, kann | |
| der EU-Beitritt der Türkei infrage gestellt werden. Auch bei der | |
| innerislamischen Debatte über Selbstmordattentäter wird Religion | |
| instrumentalisiert. An diesem Beispiel wird aber auch deutlich, dass | |
| Religion selbst auch mobilisieren kann: Natürlich muss Radikalisierung im | |
| sozialen Kontext verortet werden, aber der heilige Text bildet das | |
| jeweilige Skript, nach dem die Konfliktsituation gedeutet wird. | |
| Bei all Ihren Beispielen geht es um den Islam. Hat die zunehmende | |
| Mobilisierung, die Sie beobachtet haben, immer mit dieser Religion zu tun? | |
| In unserem Forschungsprojekt haben wir uns durchaus auch das Christentum | |
| angeschaut, etwa die Vision vom Abendland in der katholischen Kirche oder | |
| auch die Bedeutung des christlichen Sonntags. Die Debatten über den Islam | |
| haben aber Vorrang in der medialen Darstellung von Religion. | |
| Seit wann beobachten Sie eine Mobilisierung des Islam? | |
| Eine Zäsur war sicher die islamische Revolution im Iran Ende der | |
| 70er-Jahre, überhaupt diese Islamisierungswelle in muslimischen | |
| Mehrheitsregionen. Das hat natürlich Rückwirkungen auf Europa gehabt: durch | |
| internationale Beziehungen und durch Migration. Auseinandersetzungen mit | |
| der PKK in der Türkei finden ihren Niederschlag in Köln, Kämpfe um die | |
| Babri-Moschee im indischen Ayodhya haben Auswirkungen in London. Das | |
| Rechtsgutachten über Salman Rush 1989 war eine weitere Zäsur: Man hat ja | |
| nicht nur das Buch verbrannt - durch die Fatwa von Chomeini legitimiert -, | |
| man gründete im Vereinigten Königreich sogar ein muslimisches Parlament. | |
| Wichtig war sicherlich auch die Veröffentlichung von Samuel Huntingtons | |
| Werk "Kampf der Kulturen", das 1996 auf Englisch und zwei Jahre später auf | |
| Deutsch erschienen ist. Huntington hat mit seinem Buch offensichtlich einen | |
| Nerv getroffen. Damit wurde ein Islambild aktualisiert, das eine lange | |
| Tradition hat und später über Luther oder auch Karl May in die Gegenwart | |
| transportiert wurde. Das Ergebnis: Selbst Historiker wie Hans-Ulrich Wehler | |
| wittern plötzlich die Türkengefahr , wenn es um die Zukunft der | |
| Europäischen Union geht. | |
| In Deutschland war der Islam lange gar kein Thema - obwohl Gastarbeiter | |
| bereits seit Jahrzehnten in Hinterhofmoscheen beteten. Wann hat sich das | |
| geändert? | |
| Stimmt, früher waren das eben die Türken, und die hatten ethnische | |
| Probleme. Aber seit zehn, fünfzehn Jahren wird der politische Diskurs in | |
| vielerlei Hinsicht islamisiert, der 11. September hat die Lage verschärft. | |
| Jetzt werden Muslime in muslimischen Minderheitsregionen in einem Maße | |
| islamisiert, wie es in ihren Herkunftsländern niemals der Fall wäre. | |
| Was meinen Sie damit: Dass sich die Migranten selbst stärker der Religion | |
| zuwenden, oder dass sie von der Mehrheitsgesellschaft religiös definiert | |
| werden? | |
| Natürlich trifft beides zu, aber ich meine jetzt vor allen Dingen die | |
| Islamisierung durch die Mehrheitsgesellschaft. Es handelt sich um | |
| Projektion auf den anderen, sozusagen als gängige Kulturtechnik zur | |
| Selbstaffirmation und Abgrenzung. In der Tat finden sich Muslime vermehrt | |
| aus dem von ihnen wahrgenommenen Grund ihrer Diskriminierung, nämlich wegen | |
| ihrer religiösen Zugehörigkeit, zusammen. Die Parallele zum andorranischen | |
| Juden von Max Frisch liegt nahe. Aber das ist nicht nur negativ. | |
| Was soll daran positiv sein? | |
| Die Muslime sehen darin auch die Möglichkeit, zu mobilisieren und von den | |
| Hinterhöfen in die Öffentlichkeit zu treten. Als Akteure ziviler | |
| Gesellschaft ringen sie um staatliche Anerkennung, ob das jetzt beim | |
| Religionsunterricht ist oder bei islamischen Friedhöfen oder | |
| repräsentativen Moscheen. Das sind alles Felder, auf denen diese | |
| Anerkennungsdiskurse ausgefochten werden. | |
| Haben Sie bislang nicht eher von Abgrenzungsdiskursen gesprochen? | |
| Das widerspricht sich ja nicht. Die Mehrheit muss einige Dinge abgrenzen, | |
| wegprojizieren, Erinnerungen an das Judentum im 19. Jahrhundert werden | |
| wach. Ich habe den Eindruck, dass man jetzt ähnlich mit den Muslimen | |
| verfährt. Es geht um eine Domestizierung und Homogenisierung des Islam - | |
| obwohl die Muslime doch wie ein bunter Flickenteppich sind. | |
| Immerhin hat Bundesinnenminister Schäuble im Zuge der Islamkonferenz | |
| sinngemäß davon gesprochen, dass der Islam zu Deutschland gehört. Das ist | |
| doch schon was. | |
| Ja, aber Minister Schäuble geht es in erster Linie um Sicherheitspolitik. | |
| Er sieht ja sogar den islamischen Religionsunterricht als Terrorprävention. | |
| Und die Deutsche Islamkonferenz ist auch ein Beispiel dafür. Ich habe davor | |
| gewarnt, sie einzurichten. | |
| Warum? | |
| Auch da geht es um die Islamisierung der Muslime. Da werden Leute | |
| nominiert, die mit dem Islam nur am Rande zu tun haben, und plötzlich sind | |
| sie Vertreter in der Deutschen Islamkonferenz. Natürlich finden das manche | |
| positiv, weil sie damit einen neuen Markt für sich entdecken. Und | |
| muslimische Funktionäre machen gerne mit, weil sie dadurch an Prestige zu | |
| gewinnen glauben. Aber was soll das alles? Dahinter steht eine | |
| Homogenisierungs- und Sicherheitspolitik: Ziel ist ein nationaler Islam, | |
| eine Verkirchlichung. Da wirft man ganz verschiedene Akteure in einen Topf, | |
| klebt das Label Islam drauf, und fertig. Aber mal ehrlich: Was hat ein | |
| indonesischer Muslim mit einem Türken zu tun? Oder ein Alevit mit einem | |
| Ahmadi? Plötzlich ist es egal, ob ich gläubig bin oder nicht, ob ich | |
| praktiziere oder nicht - zack, ich bin Muslim. Und das bedeutet leider | |
| auch, dass meine Loyalität zum Grundgesetz in Zweifel gezogen wird. Da | |
| stellt man sich schon die Frage: Was soll diese Überislamisierung? | |
| Wie äußert sich das alles für Sie persönlich? | |
| Diese Überislamisierung kann man sehr schön nachvollziehen auf | |
| Dialogveranstaltungen und bei öffentlichen Vorträgen, die immer schwieriger | |
| werden. Die Leute haben zunehmend Angst vor dem Islam, und diese wird auf | |
| den muslimischen Vortragenden projiziert, auch wenn dieser als vorbildhaft | |
| integriert daherkommen mag. Die Menschen sind heute zwar interessierter, | |
| aber auch aggressiver. | |
| Auseinandersetzung ist doch besser als Ignoranz. Danach kann, so meinen | |
| viele Migrationsforscher, vielleicht die Annäherung kommen. | |
| Ja, aber die Auseinandersetzung muss eine andere als eine primär religiöse | |
| sein. Der interreligiöse Dialog, egal ob im kleinen Kreis oder in der | |
| Deutschen Islamkonferenz, bringt wenig. Da treffen sich immer die gleichen | |
| Vertreter und klopfen sich auf die Schulter, aber das kommt bei den | |
| Menschen nicht an, löst nichts aus. Außerdem soll es ja um Integration | |
| gehen, aber Integration hat nur sekundär mit Religion zu tun. Wenn man | |
| Integration wirklich will, dann muss man den Integrationsdiskurs ganz | |
| schnell dekonfessionalisieren, diese religiöse Semantik muss da raus! Wir | |
| sind in einer Sackgasse. Denn wer einmal Muslim ist, ist immer Muslim. Aus | |
| dieser essenzialisierten Position kommt man nicht mehr raus. | |
| 2 Mar 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| ## TAGS | |
| „Islamischer Staat“ (IS) | |
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