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# taz.de -- Ceylans Film "Drei Affen": Schuld und Schande
> Jedes Bild eine Perle: "Drei Affen" von Nuri Bilge Ceylan studiert die
> Zerrüttungen in einer türkischen Kleinfamilie.
Bild: Regisseur und Schauspieler von "Drei Affen" auf dem Filmfestival in Canne…
Ein junger Mann. Schmal, verschlossen, brennender Blick. Und seine Mutter.
Immer noch schön, traurig, umschattete Augen. Sie stehen voreinander und
sagen kein Wort. Einen Augenblick später schlägt der Sohn zu. Nur die
beiden wissen warum. Die Wucht seines stummen Vorwurfs lässt sich nicht
mehr zurücknehmen. Schon jetzt ist klar, nichts wird wieder ganz oder gut.
Nichts wird sich zu einer Versöhnung fügen oder auch nur zu einer
gemeinsamen Geschichte. Vereinzelter als die Figuren in den Dramen von Nuri
Bilge Ceylan ist im Kino kaum ein Geschöpf gewesen. Vielleicht noch bei
Tarkowski, Bergman und natürlich bei Ceylans filmästhetischem Übervater
Antonioni.
Sohn, Mutter, Schlag. So in etwa soll sie ausgesehen haben, die erste
Szene, die Nuri Bilge Ceylan im Kopf hatte, bevor ihm die übrigen von "Drei
Affen. Nichts hören - nichts sehen - nichts sagen" einfielen. Der Film
erzählt von einer in Schuld verstrickten Familie, die zu ihrer eigenen
Auflösung am Ende nicht einmal mehr äußerliche Aggressoren, nicht einmal
die Ausbeutung und Erniedrigungen vom Chef benötigt.
Das ganze Drama beginnt mit einem schrecklichen Unfall. Mit einem von
Müdigkeit leergeräumten Blick. Nachts auf einer Landstraße. Es regnet. Das
Auto des Politikers Servet (Ercan Kesal) überfährt einen Fußgänger. Doch
Servet bleibt nicht stehen, er ruft auch keinen Krankenwagen, er gibt Gas.
Das Unglück passt nicht in seine Karrierepläne. Er überredet seinen Fahrer
Eyüp (Yavuz Bingöl) sich an seiner Stelle schuldig zu bekennen und für neun
Monate ins Gefängnis zu gehen. Im Gegenzug soll Eyüps Familie eine große
Stange Geld erhalten. Während der Haftzeit beginnt Eyüps Frau Hacer (Hatice
Aslan) eine Affäre mit Servet. Eine Verbindung, in der sich Abhängigkeit,
Mitwissertum und Schuld in einer bizarren Lust entladen, die eher etwas von
einer Selbstbestrafung als von Leidenschaft hat. Ganz so als verhänge diese
Liaison zur Tatzeit des Fremdgehens zugleich ein hartes Urteil über die
eigene Schande.
"Drei Affen" ist ein, für den türkischen Film, der in seinen
melodramatischen Massenproduktionen zumeist das wortreiche
Außer-sich-Geraten zelebriert, außergewöhnliches filmisches
Schweigemonument geworden. Ein Melodrama der tragischen Absencen und
ausgelassenen Dialoge. Stattdessen liegende, stehende, sitzende
Einzelkörper vor ins Abstrakte gezogenen Unschärfen. Vor Hintergründen, in
denen sich gleichgültig Tag und Nacht, Winter und Sommer abwechseln. In
einem bleichgesichtigen und wie durch eine Neutronenbombe anonymisierten
Istanbul, das man so noch nie gesehen hat.
Seit "Uzak" (2003) und "Jahreszeiten" (2006) avancierte Nuri Bilge Ceylan
auch auf den Festivals in Westeuropa zum legitimen Nachfolger großer
türkischer Regisseure wie Erden Kiral ("Eine Saison in Hakkari") oder
Yilmaz Güney ("Yol"). Mit seiner ikonografischen Strenge und unbeirrbaren
Stilsicherheit macht er regelmäßig auf sich und seine fotografische Kunst
aufmerksam. Wie in den Vorgängern wirken die Einstellungen auch in "Drei
Affen" wie von Punkt zu Punkt montiert. Von Ursache zu Wirkung, und
manchmal ist es umgekehrt. Dann sieht man erst den Effekt, das Ergebnis,
die Reaktion, bevor man ihren Grund erfährt: Die bodenlose Traurigkeit, die
Hacer in den Augenlidern hängt, die Schuld, die ihre Schultern
zusammenstaucht, die Perspektivlosigkeit, die ihre Schritte so schwer
machen.
Jedes Bild ist bei Ceylan eine Perle. Nacheinander aufgereiht ergeben sie
jedoch einen Film, der einem mit seiner Kunstfertigkeit gelegentlich zu
erschlagen droht. Scherenschnitt-Porträts vor Vorhängen, an denen der Wind
und mit ihm die Zeit zerren. Eine nackte Frau, deren Körper aus den Falten
der Bettdecke herausgemeißelt scheint. Alles wird bei Ceylan so sehr zur
Skulptur, dass das Auge sich bei so viel Manier unweigerlich auf die Reise
nach dem Unbeabsichtigten, einem übersehenen Detail, einem Fehler im System
begibt.
Doch nichts Kleines ist hier wirklich klein, nichts zufällig oder auch nur
geduldet. Keine Nuss, keine Fliege, kein Schuh liegt herum, der nicht auf
irgendeine verschnörkelte Weise die Beziehungen oder Zerrüttungen zwischen
den Figuren kommentiert. Und das macht die "Drei Affen" leider schnell zu
einer anstrengenden Demonstration ästhetischer Formelhaftigkeit.
"Drei Affen". Regie: Nuri Bilge Ceylan. Mit Ercan Kesal, Yavuz Bingöl,
Hatice Aslan. Frankreich/Italien/Türkei 2008, 109 Min.
5 Mar 2009
## AUTOREN
Birgit Glombitza
## TAGS
Science-Fiction
Schwerpunkt Türkei
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