# taz.de -- Fashion Week Paris: Im Reich der Zitate | |
> Die Mode als Maskenball: In den Kollektionen, die zur Fashion Week in | |
> Paris präsentiert werden, offenbart sich ein irritierender Zeichensalat - | |
> besetzt mit Strass und Glitzersteinen. | |
Bild: Die Models präsentieren die Kreationen des britischen Designer John Gall… | |
In dem Viertel von Paris, wo man in stillen Boutiquen bestickte Handtücher | |
und zartrosa Bademäntel kaufen kann, im 16. Arrondissement, liegt der | |
Palais Galliera, in dem das Musée de la Mode de la ville de Paris | |
untergebracht ist. Hier werden zurzeit Reifröcke aus dem Zweiten | |
Kaiserreich gezeigt, aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts also, als | |
Frankreich zur Weltmacht und Paris zur Hauptstadt des Luxus aufstieg. | |
Fächer, Parfüms, Kaschmirschals und Spitze wurden in der Stadt hergestellt, | |
Frankreich baute ein Schienenetz, und die ersten Warenhäuser wie Bon Marché | |
öffneten. | |
Mütter haben ihre kleinen Töchter mit in die Ausstellung genommen, um ihnen | |
die prächtigen Kleider zu zeigen, das schwarz-rot gestreifte Tageskleid der | |
Kaiserin Eugénie oder auch die 150 Jahre alten Flakons des Hoflieferanten | |
Guerlain. Die Kinder stehen mit großen Augen vor den Vitrinen. Mode ist in | |
Frankreich kulturelles und historisch relevantes Ereignis, und niemand | |
bestreitet hier, dass sie eine Aussage über die Epoche trifft, in der sie | |
getragen wird. | |
Aber die Sprache der Mode ist nicht immer einfach zu verstehen. In dieser | |
Woche werden in Paris die Prêt-à-porter-Kollektionen für den Herbst 2009 | |
gezeigt, und es ist ein bisschen so, als würde man einen Roman von Alain | |
Robbe-Grillet lesen - das sieht alles schön aus und ist lustig und rasant, | |
aber eigentlich kapiert man nichts. | |
Denn was zum Beispiel hat es zu bedeuten, dass die Designer die Schultern | |
der Frauen immer noch breiter werden lassen? Bei Nina Ricci, wo der | |
32-jährige Belgier Olivier Theyskens noch entwirft (es heißt, man habe ihm | |
gekündigt, aber er sei trotzdem geblieben), tragen die Models | |
skulpturartige Blazer, die über und über mit Swarovski-Steinchen besetzt | |
sind: die Schultern gerade und kräftig wie die eines Mannes, doch dann | |
macht die Silhouette eine scharfe Kurve, denn die Taille wird durch die | |
Schößchen ebenfalls betont. Erweist Theyskens mit seiner kraftvollen | |
Kollektion Thierry Mugler und Helmut Newton eine Reverenz, weil er meint, | |
dass Frauen so viel Power haben oder haben sollten? | |
Eher scheint es so, als wären die Pariser Kollektionen ein einziger | |
Zeichensalat: Zitate, Anspielungen, Neuinterpretationen, und die | |
ursprüngliche Bedeutung dieser Zeichen ist unwichtig. Ein "Gewebe von | |
Zitaten", würde Roland Barthes vielleicht sagen. Er ist allerdings seit | |
über dreißig Jahren tot. Ist die Mode einfach etwas langsamer als Literatur | |
und Kunst? Wie auch immer, man kann das offene Zeichenspiel ja mal | |
mitmachen. | |
Theyskens Models tragen zu bodenlangen Kleidern kniehohe geschnürte | |
Stiefel, deren Plateausohle mehr als zehn Zentimeter hoch ist (die Schuhe | |
haben erstaunlicherweise außerdem keinen Absatz). Natürlich ist auch dieses | |
Schuhwerk ein Zitat: Mitte der Neunzigerjahre stolperte Naomi Campbell bei | |
der Vivienne-Westwood-Schau in ihren riesigen blauen Plateauschuhen, die | |
ihrerseits wiederum an die Disco-Jahre der Siebziger erinnerten. | |
Nicolas Ghesquières Herbstkollektion für Balenciaga ist eine eindeutige | |
Hommage an Yves Saint Laurent, der in Paris noch überall präsent ist, eben | |
wurde im Grand Palais seine Kunstsammlung versteigert. Ghesquière drapiert | |
Hosen und Röcke aus schwarzem, champagnerfarbenem, nachtblauem Satin, so | |
dass sie weich fallen. Er zeigt viel Samt, Spitze, kunstvolle Muster, und | |
tatsächlich sieht man die Yves-Saint-Laurent-Frau vor sich, Catherine | |
Deneuves bürgerlichen Sexappeal in "Belle de jour". | |
Marco Zanini, langjähriger Assistent von Donnatella Versace und neuer | |
Chefdesigner im Traditionshaus Rochas, ließ sich von den Zwanzigerjahren | |
inspirieren: tiefe Taille, Pailletten, Charmeuseseide, Ponyfell, | |
smaragdgrün, puderfarben, strahlendes Rot, dunkelbraun. In den | |
Zwanzigerjahren lief es ziemlich gut für die Frauen, sie durften wählen, | |
hatten das Korsett abgelegt, gingen tanzen und schnitten sich die Haare ab. | |
Will Zanini an die Anfänge der Frauenbewegung erinnern? Kann sein. Aber man | |
sollte sich besser damit abfinden, dass die Garderobe nicht mehr unbedingt | |
eine Aussage über Identität, Status oder gar politische Ansichten des | |
Trägers macht. Die Zeit ist längst vorbei, als man mit einem Haarschnitt | |
quasi sein ganzes Inneres offenbaren konnte. Zum Beispiel die Punks, in | |
deren Irokesenkämmen sich Aggression, Verzweiflung und Trotz ausdrückten. | |
Bei der A.F.-Vandevorst-Schau versucht ein junger Mann mit Wasserstoff-Iro, | |
sich an der Security vorbeizudrängeln, denn er hat, wie sich herausstellt, | |
keine Einladung. Ein Akt der Rebellion? Natürlich nicht, denn jemand, der | |
wie ein Punk aussieht, muss heute nicht unbedingt ein Punk sein. Der Iro | |
sitzt später jedenfalls still auf seinem Platz und nippt am Champagner, man | |
hat ihn doch noch reingelassen. | |
Bei Balmain, wo Christoph Decarnin entwirft, tragen die Models knallenge, | |
strassbesetzte Miniröcke mit suggestiven Reißverschlüssen und SM-artige | |
Lederkleidchen. Aber nicht Escort-Girls werden diese Stücke tragen, sondern | |
Redakteurinnen, Schauspielerinnen und Erbinnen. | |
Mikio Sakabe, ein Absolvent der Royal Academy of Fine Arts in Antwerpen (wo | |
auch Dries Van Noten und Ann Demeulemeester studiert haben), zeigt in einem | |
Showroom im Marais seine Kollektion. Überall werden gerade gedeckte Farben | |
verwendet, sagt der junge Designer, er wollte etwas anderes machen. Das | |
Ergebnis: schwingende Dior-New-Look-Röcke in den Schlafanzugfarben Mint, | |
Babyblau und Rosa. Warum auch nicht? | |
Es scheint, als wäre die Mode zurzeit ein großer Maskenball. Man zieht | |
Kostüme an, die schön aussehen, sich gut anfühlen und nichts bedeuten. Die | |
Leere, die solche Beliebigkeit manchmal hinterlässt, ist irritierend. Aber | |
vielleicht sollte man einfach noch mal Roland Barthes lesen. | |
7 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Raether | |
## TAGS | |
Roland Barthes | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Autor über die französische Gesellschaft: „Rechtes Denken verstopft Diskurs… | |
Sein Roman „Die siebte Sprachfunktion“ handelt nicht nur vom Ende des | |
Strukturalismus, sondern auch vom Beginn des Neokonservatismus, sagt Binet. |