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# taz.de -- Ökologisch-industrielle Revolution: Der Umweltretter Michael Braun…
> Die deutsche Umweltbewegung will die Welt retten. Und macht alles nur
> noch schlimmer, sagt der Chemiker Michael Braungart. Kann er es besser?
Bild: Für Trigema-Chef Wolfgang Grupp (l.) entwarf Braungart (r.) ein komposti…
Als Michael Braungart dem Präsidenten der USA seinerzeit vorschlug, die
elektrischen Stühle in Texas aus Gründen des Umweltschutzes künftig mit
Windenergie zu betreiben, lachte George W. Bush amüsiert, wie es seine Art
ist.
"Der findet so was lustig", sagt Braungart.
Er auch.
Braungart predigt die ökologisch-industrielle Revolution. Und er hat in
Amerika gelernt, dass man seine Zuhörer niemals langweilen darf, wenn man
sie erreichen will. Das hilft ihm auf dem Weg, der erste Weltstar des 21.
Jahrhunderts zu werden, der von Beruf Chemiker ist. Okay, in Deutschland
hält sich sein Ruhm noch in Grenzen. Aber sonst gilt der alte Witz: Wer ist
der Typ da neben Michael? Ach, Arnold Schwarzenegger?
Kaliforniens Gouverneur steht auf ihn. Seine Heimatstadt Graz auch. Steven
Spielberg dreht einen Film über ihn. In den Niederlanden ist er ständig im
Fernsehen. Bei der Konferenz des Nachhaltigkeitsportals utopia.de stach er
den Hollywoodstar Daryl Hannah aus. Und Brad Pitt sagt, Braungarts "Cradle
to Cradle" sei eines der drei wichtigsten Bücher, die er gelesen habe.
Worauf Braungart sagte, danke, sehr nett. Aber er wisse ja nicht, ob Pitt
tatsächlich schon drei Bücher in seinem Leben gelesen habe.
Frage 1: Was will Braungart? Er will eine Welt ohne Umweltverschmutzung und
Abfall. Eine Welt, in der man alle Verbrauchsgüter gefahrlos aufbrauchen
kann, weil sie nützlich für die Umwelt sind. Und in der man alle
Gebrauchsgüter endlos wiederverwerten kann.
Frage 2: Was bedeutet das für mich als Konsumenten? Es heißt, dass ich auch
künftig nicht kalt duschen oder Energie sparen oder verzichten muss,
sondern weiter in Saus und Braus leben kann, weil alle Produkte nützlich
und "gesund" sind. Es heißt, dass mein Toilettenpapier oder mein Shampoo
das Grundwasser nicht vergiftet und dass alle Teile meines alten Fernsehers
Teile eines neuen Fernsehers werden.
Im Prinzip ist Braungart Designer. Einer, der neue Produkte konzipiert und
herstellt. Der Witz: Sie sind "rematerialisierbar". Das heißt: Sie werden
nicht weggeschmissen, verbrannt oder beim Recyceln ganz schnell immer
weniger, sondern sollen in zwei geschlossenen Kreisläufen entweder
schadstofffrei in die Natur zurückgehen oder endlos wiederverwertbar sein.
Braungart glaubt, dass man Veränderung eher über Design erreichen kann als
über Bewusstsein.
Am ehesten trifft man ihn auf Flughäfen. Er lehrt in Rotterdam.
Weltunternehmen wie Philipps oder Ford lassen sich von ihm beraten. Eines
seiner eigenen Unternehmen ist in Virginia. An diesem Tag sitzt er mal in
einem Büro seines Umweltforschungsunternehmens EPEA in Hamburg, im Hause
der Patriotischen Gesellschaft an der Trostbrücke. Und führt erst die
Aussicht vor, dann einen schwarzen Büstenhalter. "Wenn Ihre Freundin einen
schwarzen BH trägt", sagt er, "dann sagen Sie ihr: Zieh den sofort aus."
Der Laie wundert sich womöglich über eine solche Ansage, aber Braungart
sagt, diese Kleidungsstücke seien "nicht für Hautkontakt gemacht".
Ausnahme: der vom ihm selbst entwickelte schwarze Büstenhalter, der
schadstofffrei und daher hautverträglich ist.
Für die Fotografin posiert er dann mit weiteren seiner Erfindungen: Da sind
die komplett recycelbaren Schuhen für Nike. Das kompostierbare T-Shirt für
Trigema. Ein Bürostuhl namens "Think!", dessen Einzelteile entweder
kompostierbar sind oder dem technischen Kreislauf zugeführt werden können.
Eine Eiskremverpackung, die bei Raumtemperatur schmilzt. Kinderspielzeug,
das nicht giftig ist (auch das ist die Ausnahme, nicht die Regel). 600
Produkte hat er mittlerweile entwickelt. Der absolute Renner sind die
"essbaren" Sitzbezüge in der First Class des Langstreckenflugzeugs Airbus
A380. Klar: Wer isst schon Stoff? Aber theoretisch kann man.
Das Konzept, das er mit seinem Partner William McDonough erfunden hat,
heißt Cradle to Cradle, abgekürzt C2C. Von der Wiege zur Wiege. Statt von
der Wiege zum Grab. Das Buch "Cradle to Cradle" ist in der amerikanischen
Originalausgabe aus synthetischem Papier. Fühlt sich gut an. Etwas schwer.
Dafür kann man es in der Badewanne lesen. Unter Wasser.
C2C ist für Braungart der Gegenentwurf zu allem, was derzeit ökologisch und
ökonomisch gemacht und vor allem auch gedacht wird. Er will nicht weniger
Energie und CO2 verbrauchen, er will "alles neu erfinden", um anders und
besser zu produzieren. Die Vision lautet: Verschwendet! Aber richtig. Zum
Beispiel die Sonne. Erneuerbare Energie. Davon gibt es genug. Seid wie die
Ameisen! Konsumiert. Aber macht keinen Müll.
Der Kern der Ökonomie ist der Prozess der Umwandlung von Ressourcen und
Energie. Er basiert derzeit noch hauptsächlich auf der Umwandlung
nichterneuerbarer Ressourcen. Allerdings nicht mehr lange, denn die gehen
bekanntlich zu Ende. Der vom derzeitigen Wirtschaftsprozess erzeugte Müll
ist nicht nur ein Umwelt-, sondern auch ein Wirtschaftsproblem, denn er
wandelt nutzbare in verlorene Energie um.
Es läuft grundsätzlich falsch, sagt Braungart. Und was machen die
perfektionistischen Deutschen? Erfinden "nachgeschaltete Umwelttechnik",
also "hoch optimierte falsche Systeme, und machen damit die falschen Dinge
perfekt falsch". Zum Beispiel recyceln sie Dinge, die nicht für Recycling
geschaffen sind, etwa Toilettenpapier. Jetzt wollen sie auch noch
Kohlekraftwerke weniger schädlich machen. Und dadurch neue rechtfertigen.
Unfug.
Wie ist das, Herr Braungart: Man tauscht sein Auto, das sieben Liter
fossilen Brennstoff verbraucht, gegen ein modernes Auto, das nur drei Liter
braucht, und reduziert damit den CO2-Ausstoß um mehr als die Hälfte. Ist
das nicht gut?
"Kommt drauf an. Das ist, als ob sie Ihr Kind vorher siebenmal geschlagen
haben und jetzt nur noch dreimal."
Das ist der Kern von Braungarts Botschaft: Wir haben uns in diese
Perfektionierung des Falschen verbissen. Braungarts zweite Botschaft: Wir
sind nicht zu viele auf dem Planeten, wenn wir das tun, was ihm vorschwebt:
nützlich sein. Braungart wendet sich damit nicht nur gegen die praktizierte
Kultur des Industrialismus, er wendet sich radikal gegen führende
Umweltschützer und Systemkritiker, weil es seiner Meinung nach innerhalb
des falschen Systems und in einem Denken, das sich um das Bestehende dreht,
keine Lösung gibt. Seinen Ansatz nennt er Ökoeffektivität. Die anderen
wollen "Ökoeffizienz". Bei dem Wort schüttelt es ihn.
Weniger CO2 verursachen, gar das Ziel formulieren, "klimaneutral" zu sein,
um den menschengemachten Klimawandel global erträglich zu gestalten, das
ist für ihn der falsche Denkansatz, weil er Schuld und Sühne in der
Vordergrund stellt. "Wir Menschen haben das Gefühl bekommen, dass wir
schädlich sind. Und die deutsche Umweltbewegung hat auf merkwürdige Weise
mitgeholfen, dass es dazu gekommen ist."
In Fortsetzung der ersten Umweltbewegung beim Übergang vom 19. zum 20.
Jahrhundert tendiere die zweite Ökobewegung seit den mittleren Siebzigern
dazu, die Umwelt als "Mutter Natur" zu romantisieren. Weil der Fortschritt
durch die Misshandlung dieser Mutter gekommen sei, regiere nun das
"schlechte Gewissen". Entsprechend sei das Vokabular: "Nullemission,
Passivhaus, Abfallvermeidung", lauter negatives Zeug. Weg mit so einem
Denken. "Wir dürfen uns nicht schuldig fühlen, dann ist man nicht kreativ."
Dann sei die nahe liegende Schlussfolgerung: "Es wäre besser, es gäbe uns
Menschen nicht."
Das sei "pseudopsychologischer Unsinn", sagt Braungarts großer Antipode,
Friedrich Schmidt-Bleek. Er hat das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt
und Energie geleitet und geprägt. Er ist Vater der "Faktor 10"-Lehre; das
ist das Konzept, mit "Ökoeffizienz" und "Dematerialisierung", also mit
weniger Natur-, Energie- und vor allem auch weniger Stoffverbrauch, mehr
Wohlstand zu schaffen. Es geht um Effizienz, aber auch um Suffizienz; das
ist ein Euphemismus für "Verzicht".
Auch Schmidt-Bleek ist ein Mann, der strahlen und vor großem Publikum
glänzen kann. Humor hat er auch. Er ist jetzt 76 und lebt in Frankreich, wo
er sein "Faktor 10 Institut" leitet. Braungart, sagt er, gehöre "zu den
ideenreichsten Umweltchemikern der Welt". Was seine Erfindungen angehe:
"Ich kann mich auf Michaels Sitzbezügen im Flugzeug sehr wohl fühlen. Ich
warte aber noch immer auf den detaillierten Vorschlag, die anderen 99,99
Prozent des Airbusses A380 nach seinen Prinzipien zu gestalten." Was heißt:
Er glaubt nicht daran, dass Cradle to Cradle in großem Rahmen umzusetzen
ist. "Es scheint mir völlig ausgeschlossen, die Stoffkreisläufe der
menschlichen Wirtschaft ohne Massen- und Energieverluste zu schließen - sie
vollständig in die stofflichen Umsätze der Natur einzugliedern -, ohne die
lebensnotwendigen Dienstleistungen der Natur zu schädigen."
Friedrich Hinterberger ist Gründer und Geschäftsführer des Sustainable
Europe Research Institute. Das ist ein europäischer Thinktank für
Nachhaltigkeitsentwicklung in Wien. Braungart habe "im Detail gute
Ansätze", sagt er. Aber dass sein Rematerialisierungsversprechen auf den
gesamten Stoffumsatz der Weltgesellschaft anzuwenden sei, "das ist eine
bloße Behauptung". Er hält das für ausgeschlossen. Man brauche beides: die
Dematerialisierung, also das Einsparen, und die Rematerialisierung, das
Wirtschaften in geschlossenen Kreisläufen. Braungarts Fehler sei es, die
beiden nicht komplementär zu verstehen, sondern "gegeneinander
auszuspielen". - "Viel Idee, wenig Hardware", sagt auch Gerd Rosenkranz,
politischer Leiter der Deutschen Umwelthilfe. Trotzdem findet er ihn gut.
Er erreiche mit seinen Ideen und seiner "Unterhaltsamkeit" neue und viele
Leute. Vermutlich eben weil er weit weg von den deutschen
Umweltbewegungsbeamten denkt.
Es gibt allerdings auch Momente in seinen Vorträgen, in denen Braungart
seine Zuhörer verstört, weil er über die unausgesprochen vereinbarte Grenze
geht. Zum Beispiel wenn er sagt, wozu die Philosophie der
Dematerialisierung, des "Wenigerwerdens", letzlich führe: "Sie führt dazu,
dass wir Kinder in Afrika als Problem sehen und verrecken lassen." Denn:
Wozu helfen, wenn "wir" eh zu viele sind auf dem Planeten? Da spürt man so
etwas wie peinliche Berührung im Saal. Würden "wir" tatsächlich so denken
und handeln? Darauf angesprochen, sagt Braungart, für ihn sei das
Überschreiten der Grenze kein Problem, "ich kann ja immer wieder zurück".
Macht er auch, mit einem Scherz. Da lacht der Saal befreit auf. Eigentlich,
glaubt er, sind fünfundneunzig Prozent der Menschen freundlich und
großzügig. Nur wenn man ihnen Angst mache, würden sie klein und gemein.
Michael Braungart ist der Sohn eines baden-württembergischen Schulrektors.
Also Bildungskleinbürgertum. Geboren 1958 in Schwäbisch Gmünd. Zu jung für
1968, grade richtig für die Umweltbewegung der Siebziger. Wie viele seines
Alters alarmierte ihn der Umweltbericht des Club of Rome von 1972 über die
"Grenzen des Wachstums". Er wurde Chemiker. Weil er fand, dass das
wichtiger war als Germanistik. Zusätzlich inspirierte ihn wohl auch ein
Verhältnis mit seiner Chemielehrerin. Er wurde dann Gründungsmitglied der
Grünen.
Bei Greenpeace fuhr er mit dem Schlauchboot vor Abflussrohre der
Chemieindustrie. Und lernte seine Frau kennen; Monika Griefahn, die spätere
niedersächsische SPD-Umweltministerin Gerhard Schröders und heutige
Bundestagsabgeordnete. Er nannte sie die "Königin von Greenpeace", sie ihn
den "intelligentesten Menschen, den ich kenne".
Gilt der Satz noch? "Ja, der Satz gilt noch", sagt Griefahn. Außerdem habe
er noch viel mehr gute Eigenschaften. Allerdings sei er "intelligent, aber
nicht klug". Er habe nämlich "Lösungen präsentiert und nicht nur neue
Probleme formuliert". Dafür aber gebe es im Wissenschaftsbetrieb kein Geld.
"Ich sehe, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt." In den
Niederlanden habe man längst angefangen, Braungarts Entwicklungen
umzusetzen, "nur in Deutschland überwiegen die Skeptiker, die sagen, dass
das alles nicht geht".
Tatsächlich kam es im limburgischen Maastricht bereits 2007 zu dem
legendären Beschluss: "Lets cradle". Damit erklärte sich die südlichste der
zwölf niederländischen Regionen - sonst nicht gerade als Ökotopia bekannt -
zur weltweit ersten "Cradle to Cradle"-Region. Vorausgegangen war ein
Auftritt Braungarts und seines Partners McDonough im niederländischen
Fernsehen, der bleibenden Eindruck hinterließ, die Dokumentation "Afval is
Voedsel", Abfall ist Nahrung. Seither fungiert er als Berater des Limburger
Projekts, das sich bemüht, seine Idee des Kreislaufs in Industrie- und
Gebietsentwicklungen zu integrieren.
Paul Levels ist in der limburgischen Verwaltungsbehörde in Maastricht
zuständig für Nachhaltigkeit. "Cradle to Cradle ist nicht die Rettung der
Welt", sagt er, "aber es ist ein Konzept für nachhaltige Entwicklung, mit
dem wir große Schritte nach vorn machen können." Braungart habe in den
Niederlanden ein Fenster aufgemacht. In Venlo ist C2C ein eingeführter
Begriff. Die dortige Weltgartenbauausstellung Floriade 2012 wird nach dem
C2C-Prinzip geplant. Levels sagt, dass Braungart "die Fähigkeit hat, Leute
enthusiastisch zu machen. Er bringt sie auf Ideen." Man versuche,
Kreisläufe zu schließen, stoße dabei aber bisher auch an Grenzen. Man wolle
auch nicht ausschließlich ökoeffektiv sein, sondern auch ökoeffizient, also
energiesparend. "Das ist einfach billiger und liefert schneller Resultate."
Es gibt Hinweise darauf, dass Braungart sein könnte, was man mit "kein
einfacher Mensch" umschreibt. Das meint der Konsensmainstream in der Regel
negativ. Vermutlich ist es aber Voraussetzung für jemand, der mehr will.
Dass er "eitel" ist, sagt er lieber gleich selbst, bevor er einem all die
Artikel auf den Tisch legt, die man über ihn in chinesischer Sprache
verfasst hat. Wenn ihn jemand als "nobelpreiswürdig" bezeichnet, hat er
jedenfalls kein Problem damit. Er kann in fünf Minuten jemandes Sicht der
Welt ziemlich erweitern. Er kann klug, nachdenklich, witzig sein. Er kann
ganz schön austeilen. Mit Ökoeffektivität, sagt er, können zehn Milliarden
Menschen in fünfzig Jahren auf der Erde menschenwürdig ernährt werden und
andere Lebewesen unterstützen. Die andere Möglichkeit sei, dass nur eine
Milliarde Menschen übrig bleibt, davon 200 Millionen mit einem guten Leben,
der Rest als eine Art Nutztierbestand. Dieses Polarisieren verärgert die
anderen. Er wünsche sich, teilt Schmidt-Bleek aus Frankreich mit, Braungart
hörte auf, "zu glauben, der Ruhm und die Anerkennung seiner Leistungen
hingen davon ab, andere in unsinniger Weise kleinzureden".
Aber was hat einer zu erwarten, der seit Jahren eine abweichende Position
einnimmt? Da bietet es sich an, Hermann Scheer zu fragen, Träger des
Alternativen Nobelpreises und SPD-Bundestagsabgeordneter. Sein Engagement
für eine Energiewende in Hessen wurde parteiübergreifend bekämpft. Manche
argwöhnen: auch aus dem Willy-Brandt-Haus. "Alle Ideen, die konträr zur
herrschenden sind und damit nicht kompatibel mit den bestehenden
Strukturen, stoßen auf harte Widerstände bei der bestehenden Wirtschaft und
auf mentale Widerstände bei denen, die sich eine andere Funktionsweise
nicht vorstellen können", sagt Scheer. Braungarts Kritik an der deutschen
Verzichtethik teilt er. "Die ist entstanden in einer Zeit, als die
Umweltbewegung keine Idee hatte vom Potenzial der erneuerbaren Energien."
Die Bewegten habe die Vorstellung, dass eigentlich genug Energie für alle
da ist, sogar entsetzt: "Das ist ja furchtbar", habe man gestöhnt, "dann
spart ja keiner mehr." Scheer sieht regionale Kreisläufe kommen. Bezogen
auf alle Produkte, seien globale Kreisläufe zu kompliziert, zu teuer und zu
umweltbelastend.
Was heißt das denn nun alles für mich und meinen Konsum? Es heißt, sagt
Braungart, dass ich kein "Verbraucher" mehr sein will, sondern ein
Gebraucher. Insofern stellen sich beim Kauf drei Fragen:
1. Kann ich es wegschmeißen und Kompost draus machen?
2. Kann ich es verbrennen und die Asche in den Garten tun?
3. Nehmen Sie das zurück?
Er hat da noch so ein Beispiel, das er gern bringt. Er untersuchte mal vor
Jahren einen Fernseher und fand 4.360 giftige Chemikalien. Dabei will er
nur fernsehen. Aber nicht die Haftung für die 4.360 Giftstoffe übernehmen.
Die Lösung: Man mietet Fernseher oder Computer für eine bestimmte Zahl von
Betriebsstunden. Man mietet Autos für 100.000 Kilometer. Man mietet
Fenster, genauer gesagt, man zahlt für fünfundzwanzig Jahre Durchgucken.
Die Verantwortung für den gesamten Produktkreislauf sollen die Hersteller
übernehmen, also ihre Geräte nach Benutzung gefälligst zurücknehmen. Und
nur wenn die Hersteller dazu gesetzlich verpflichtet sind, werden sie
anders und besser produzieren.
Wenn man ihn fragt, ob ihn wie Al Gore die Verantwortung für die Welt
unserer Kinder antreibe, erzählt Michael Braungart, dass seine Tochter zu
ihm sage: "Papa, von dir hab ich die Nase."
Offenbar versteht er diese Aussage als Vorwurf, denn seine Schlussfolgerung
ist: "Für alles, was in ihrem Leben falsch läuft, machen Kinder am Ende die
Eltern verantwortlich. Alles, was sie hinkriegen, das haben sie selber
hingekriegt." Daraus folgt: "Das für unsere Kinder zu machen, das finde ich
ziemlich abgeschmackt."
Was will er uns damit sagen? Dazu sollte man wissen, dass er über Gore gern
sagt, er habe als Vizepräsident der Clinton-Regierung in Sachen Klimawandel
"acht Jahre nichts getan". Weshalb der ehemalige grüne Umweltminister auch
den Friedensnobelpreis verdient habe.
"Denn du", habe er zu Jürgen Trittin gesagt, "hast nur sieben Jahre nichts
getan."
Demnach ist die Sache so: Nicht von der Welt der Kinder reden. Sondern
machen. Jetzt. Wie er.
PETER UNFRIED, Jahrgang 1963, ist stellvertretender taz-Chefredakteur und
Autor des Buchs "Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich" (Dumont
Buchverlag, 2008). Der Konsumbürger ist für ihn ein politischer Akteur des
21. Jahrhunderts. Die Umwelt liegt ihm schon wegen seiner Kinder am Herzen.
7 Mar 2009
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
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