# taz.de -- Blaue Karawane, Blaumeier-Atelier: Kulturpreis für Bremens Blaue | |
> Die Blaue Karawane und das Blaumeier-Atelier entstehen während der | |
> Auflösung der geschlossenen psychiatrischen Anstalt Blankenburg 1982. | |
> Jetzt bekommen sie den Kultur- und Friedenspreises der Villa Ichon. | |
Bild: Blaumeiers "Elisabeth Suite" | |
taz: Sie werden ausgezeichnet für Verdienste um den "Sozialen Frieden". | |
Können Sie sich damit identifizieren? Vor allem Blaumeier kämpft ja immer | |
darum, primär als künstlerische Institution wahrgenommen zu werden. | |
Hellena Harttung, Blaumeier-Atelier: Das Blaumeier-Atelier ist ein | |
Kunstprojekt, mit unterschiedlichen künstlerischen Bereichen, das | |
integrativ arbeitet: sogenannte behinderte und nicht behinderte Menschen | |
arbeiten hier künstlerisch zusammen und gehen mit Projekten, Performances | |
und Ausstellungen an die Öffentlichkeit. In unserer Arbeit steht die | |
künstlerische Qualität im Zentrum. Und Blaumeier lebt in seiner | |
künstlerischen Arbeit Integration. Über die Kultur engagieren wir uns stark | |
für das Zusammenleben verschiedenster Menschen. Die Auszeichnung mit dem | |
"Kultur- und Friedenspreis" ist für uns eine hohe Wertschätzung, über die | |
wir uns sehr freuen. | |
Klaus Pramann, Blaue Karawane: Als Krieg gegen psychisch Kranke wurde die | |
Praxis psychiatrischer Verwahranstalten bezeichnet. Sich dagegen zu wehren | |
ist ein Akt des Friedens und der Kultur, insofern fühlen auch wir uns mit | |
diesem Preis zu hundert Prozent richtig wahrgenommen. | |
Mit der Verleihung im Bremer Rathaus schließt sich ein Kreis, hier wurde | |
1980 die Auflösung der Anstalt Blankenburg beschlossen. Wie zufrieden sind | |
Sie mit der seither eingetretenen Entwicklung? | |
Pramann: Nicht zufrieden. Man muss wissen, dass seit der Psychiatrie-Reform | |
der 80er Jahre parallel zum Bettenabbau in psychiatrischen Kliniken mehr | |
Menschen in Heimen untergebracht wurden als zuvor. Andererseits stimmt es, | |
dass Alternativen denkbarer geworden sind. Vor 25 Jahren war es kaum | |
möglich, mit Heim-Mitarbeitern kritisch über deren Einrichtungen zu | |
diskutieren. | |
Harttung: Für mich klingt "Kreis" zu sehr nach Abschluss, die Gesellschaft | |
ist immer noch auf dem Weg. Ich betrachte die Preisverleihung eher als | |
erneutes Zusammentreffen, der damalige Gesundheitssenator Herbert Brückner | |
wird bei der Preisverleihung auch sprechen. Im Übrigen würde ich schon | |
sagen, dass sich seit den 80er Jahren gesellschaftlich sehr viel verändert | |
hat, was unserer Arbeit zu Gute kommt, aber andererseits auch durch unsere | |
Arbeit, mit der wir ja stark an die Öffentlichkeit gehen, befördert worden | |
ist. Heute sind sogenannte behinderte und psychiatrisierte Menschen mehr | |
und mehr in die Medien vertreten, sind in Kunst und Kultur, Film und | |
Fernsehen mittlerweile präsent. | |
Blankenburg ist bundesweit die einzige geschlossene Anstalt, die planmäßig | |
aufgelöst wurde. Wobei vermutlich auch eine Rolle gespielt hat, dass | |
ambulante Betreuung billiger ist als stationäre. | |
Pramann: Im Vergleich zu anderen Bundesländern haben wir in Bremen die | |
fortschrittlichste Psychiatrie-Situation. Wenn ich in Gefahr stünde, als | |
Behandelter in die Klinik zu kommen hätte ich immerhin die Chance, relativ | |
rasch wieder rauszukommen. Trotzdem ist es eine nicht zu Ende gebrachte | |
Reform, gleich zu Beginn wurde wieder in der Kategorie Unterbringung | |
gedacht. Das Bremer Konzept der "gemeindenahen Psychiatrie", also der | |
Stadtteil-orientierten Versorgung, bedeutet: Man entgeht wohlmöglich der | |
Klinik, nicht aber der Psychiatrisierung als solcher. Auch die "bessere" | |
Psychiatrie hat sich als eine Eigenwelt neben dem Leben in der Stadt | |
etabliert. Das Ziel muss meines meines Erachtens nicht die "gute" | |
Psychiatrie sein, sondern weniger Psychiatrie. | |
Sie selbst sind Psychiater mit eigener Praxis, haben aber auch im | |
Krankenhaus gearbeitet. Wie geht das? | |
Pramann: Es ist sehr schwierig in einem System zu funktionieren, das man | |
ablehnt und von dem man weiß: Hier kann ich nichts verändern. Wegen der | |
Blauen Karawane von 1985 drohte man mit Disziplinarmaßnahmen mit | |
Kündigungen. Insofern stimmt das Bild vom Kreisschluss schon: Erst sollten | |
unsere Aktivitäten von behördlicher Seite verboten werden, jetzt werden wir | |
offiziell gewürdigt. | |
"Ausgangspunkt" Ihrer Arbeit als Karawane und Blaumeier-Atelier waren 300 | |
als "unheilbar" definierte Menschen mit einer durchschnittlichen | |
Anstalts-Verweildauer von 17 Jahren. | |
Pramann: Man macht sich heute keinen Begriff davon, als wie aufrührerisch | |
die Auflösung dieser Anstalt empfunden wurde. Allein schon die | |
anschließende Eröffnung von gemischtgeschlechtlichen Wohngemeinschaften | |
galt als großer Schweinkram. Es ging und geht darum, Autonomie zu | |
ermöglichen auch für diejenigen, die schwierig oder skurril sind und | |
Menschen lebendig sein lassen, auch mit ihren Ängsten. | |
Harttung: Für uns gab es von Anfang an nicht solche Schwierigkeiten, wir | |
wurden mit unserer Kunst offen empfangen. Es gab immer wieder ein | |
Erstaunen, daß wir es schaffen, eine Plattform für behinderte und | |
nicht-behinderte Menschen und deren Kunst zu bieten. Bei uns gibt es keine | |
Differenzierung, wer "behindert" oder "nicht-behindert" ist. Die | |
künstlerische Arbeit ist da komplett offen. | |
Herr Pramann, Sie kritisieren immer wieder das Wachsen "neuer Mauern" - die | |
sogar mit Mitteln des Reformprogramms errichtet worden seien. Gehört dazu | |
auch das Betreuungs-Konzept, das von der von Ihnen mit gegründeten | |
Initiative zur Rehabilitation psychisch Kranker" heute praktiziert wird? | |
Pramann: Die ambulante häusliche Betreuung wurde Anfang der 80er von der | |
Initiative "vorübergehend" übernommen, weil sich das die anderen | |
potentiellen Träger zunächst nicht zutrauten. Wir wollten beweisen, dass | |
diese Menschen mit entsprechenden Hilfestellungen sehr wohl selbstständig | |
leben können. Ursprünglich sollte sich die Initiative auflösen, so bald | |
diese Aufgabe wieder vom öffentlichen Dienst übernommen würde. Doch das ist | |
lange her und wurde von der Politik nie ernsthaft in Erwägung gezogen. | |
Heute sehe ich die initiative als einen Träger unter vielen. Die | |
anfänglichen Gegensätze haben sich im Lauf der Jahre verschliffen. | |
Nach der Schließung von Blankenburg gab es eine Art Aufgabenteilung: Die | |
"Initiative" übernahm die Betreuung eines Teils der nunmehr selbstständig | |
und in WGs lebenden Ex-Insassen, die "Karawane" hielt unter anderem die | |
weit gespannten politischen Ansprüche hoch. Und Blaumeier nabelte sich in | |
den 80er Jahren ab und baute seine Ateliers auf. | |
Harttung: Wir haben sehr früh ein künstlerisches Profil entwickelt, | |
Blaumeier vermittelt den integrativen Gedanken über seine Kunst. So | |
erreichen wir auf unterhaltsame und leichte Art ein breites Publikum. Und | |
geben damit Anstoß für eine Diskussion, ein Umdenken oder vielleicht auch | |
für eine neue Normalität. | |
In Oldenburg gibt es "Blauschimmel", in Lüneburg die "Blaue Salzsau". Kann | |
man von einer überregionalen blauen Bewegung sprechen, die von Blankenburg | |
beziehungsweise Bremen ihren Anfang nahm? | |
Harttung: Das sind jeweils eigenständige Projekte an verschiedenen Orten, | |
die sehr unterschiedlich sind. Blaumeier drängt mit seinen Kunst- und | |
Theaterprojekten auf den allgemeinen und internationalen Kunstmarkt und ist | |
dort anerkannt. | |
Pramann: Ich würde mir durchaus wünschen, dass es so etwas wie eine blaue | |
Bewegung gäbe. Andererseits gibt es ein sehr großes | |
Unabhängigkeitsbedürfnis der einzelnen Projekte. | |
Von Außen konnte man gelegentlich den Eindruck gewinnen, dass sich die | |
Akteure der blauen Bewegung nicht immer gegenseitig grün waren. | |
Pramann: Ich habe es immer bedauert, dass Blaumeier und die Karawane zwei | |
getrennte Vereine wurden - der ursprüngliche Wunsch war es, zusammen zu | |
bleiben. Bei Blaumeier entwickelte sich der Wochenablauf immer | |
professioneller, dessen Umfang passte platzmäßig und inhaltlich auf Dauer | |
nicht mehr mit uns zusammen. Aber das hat nichts mit irgendwelchen | |
Streitigkeiten zu tun - ich war Blaumeier immer grün. Und ich würde mich | |
glücklich schätzen, wenn wir wieder mehr als im Moment zusammen arbeiten | |
würden. | |
Harttung: Harttung: Wir sind am gleichen Punkt gestartet und haben | |
unterschiedliche Profile und Zielsetzungen entwickelt. Und da müssen wir im | |
konkreten Fall schauen, an welchen Punkten wir miteinander kooperieren | |
können. | |
Pramann: Wir könnten vielleicht trotzdem gemeinsame Aktionen machen. Unser | |
Traum ist es ja, in der Überseestadt eine Art blaue Manege zu bauen, damit | |
sich die dortige Umgebung aus Glas und Beton mit Leben füllt. | |
Was genau planen Sie? | |
Pramann: Ein Wohn- und Arbeitsprojekt, das ausdrücklich kein | |
Betreuungsprojekt ist. Wenn ein therapeutischer Effekt erzielt wird, ist es | |
ja nicht schlimm - aber das ist nicht unsere Absicht. Wir wollen | |
Nachbarschaft statt Betreuung und uns damit im neuen Stadtteil verankern. | |
Harttung: Das ist vielleicht ein Unterschied zu dem, wo Blaumeier jetzt | |
steht: Wir sind in Bremen und Walle schon stark verankert und gehen von | |
hier aus heraus in die Stadt, in die Welt und bauen gerade unsere | |
internationalen Kontakte aus. | |
Pramann: Es stimmt schon, dass wir diesbezüglich eine andere Ausgangsbasis | |
haben. Obwohl wir als Karawane sozusagen die Mutter von Blaumeier sind, | |
sind wir als Institution mit einem eigenen Sitz deutlich jünger: Wir haben | |
erst seit 2003 einen eigenen Ort im Speicher XI. Aber jetzt sind wir wieder | |
soweit, unsere dritte Karawane mit 50 bis 80 TeilnehmerInnen zu starten: Am | |
10. Juli brechen mir mit unserem schwimmenden Kamel und einem weiteren | |
Katamaran, der gerade gebaut wird, nach Berlin auf, um vor der Wahl den | |
Sozialabbau zu thematisieren. Über die Spree wollen wir anschließend in die | |
Stadt Brandenburg. Da gibt es eine große Klinik, also unser klassisches | |
Thema. In der Stadt war außerdem die erste deutsche Euthanasie-Einrichtung. | |
Wenn wir auf dem Mittellandkanal dann nach Wolfsburg kommen, machen wir ein | |
Projekt mit dem Titel "Zum Glück geht es anders" über den Zusammenhang von | |
Arbeit und psychischer Erkrankung. | |
Und zurück in Bremen? Was thematisieren Sie in Ihrem Heimathafen? | |
Pramann: Wir landen um 8. August an der Schlachte und organisieren | |
anschließend ein dreitägiges Festival in der Überseestadt zum Thema "Anders | |
zusammen leben" Dabei geht es natürlich auch um unser Hausprojekt an der | |
Hafenkante, für das wir noch dringend Unterstützung brauchen. Auch der | |
Preis gibt uns dafür hoffentlich Rückenwind. | |
Harttung: Blaumeier thematisiert in seinem Heimathafen und an vielen | |
anderen Orten in nächster Zeit eine Fülle von Projekten: die Masken treten | |
mit abendfüllenden Programmen in unserem Theatersaal auf und als walking | |
acts z.B. beim Kirchentag, die Maler beginnen mit einem Fotografieprojekt | |
und widmen sich dem Stillleben. Unser Chor Don Bleu wird 15 Jahre und kommt | |
anlässlich dessen mit einem Pubertätsprogramm auf die Bühne. Die "Süßen | |
Frauen" verzaubern das Publikum in diesem Jahr zwischen Bonn und Berlin. | |
Und das große neue Theaterprojekt "In 80 Tagen um die Welt" wird das | |
Publikum im Frühsommer verzaubern, anschließend geht es damit auf Tournee. | |
Andererseits sind wir mit unserer gerade beginnenden Zusammenarbeit mit der | |
Moskauer Gruppe "Krug" beschäftigt. Wir planen ein dreijähriges gemeinsames | |
Projekt und reisen Ende März erstmals nach Russland. | |
12 Mar 2009 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
Henning Bleyl | |
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Dada | |
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